sonnig20°
DE | FR
Schweiz
Medien

«Tagi» entlässt Journalisten nach Porträt mit antisemitischen Klischees

Nach antisemitischen Klischees: «Tagi»-Redaktion wehrt sich für entlassenen Journalisten

Der «Tages-Anzeiger» hat einen Redaktor nach einem missglückten Porträt entlassen. Dabei habe die Qualitätssicherung versagt.
17.02.2022, 03:32
Christian Mensch / ch media
Mehr «Schweiz»

Das Porträt der Zürcher FDP-Politikerin Sonja Rueff-Frenkel im «Tages-Anzeiger» war problematisch. Der Reporter Kevin Brühlmann bediente sich bei der Beschreibung antisemitischer Klischees. Was bereits am Tag der Publikation vor gut drei Wochen von kaum jemandem bestritten worden ist, war in der Produktion des Beitrags niemandem aufgefallen. Dabei hatte der Text das ganze «Qualitätsmanagement» durchlaufen, das die Zeitungsgruppe in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte.

Fünf Personen inklusive ein Mitglied der Chefredaktion hätten den Text vor der Publikation gelesen. Ohne dass jemand die Reissleine gezogen hat, erzählen mehrere Quellen. Nun muss der Autor gehen. Der Chefredaktor Arthur Rutishauser hat ihn entlassen.

Bei den Tamedia-Titeln wird die Qualitätssicherung gross geschrieben. Bei der Umsetzung scheint das System jedoch fehleranfällig zu sein.
Bei den Tamedia-Titeln wird die Qualitätssicherung gross geschrieben. Bei der Umsetzung scheint das System jedoch fehleranfällig zu sein.Bild: Gaetan Bally / KEYSTONE

Die Redaktion wehrt sich aber für ihren Kollegen. Sie schreibt in einer vorliegenden Stellungnahme:

«Ein grosser Teil der Redaktion hat bei der Chefredaktion und der Unternehmensleitung gegen die unverständliche Entlassung Kevin Brühlmanns protestiert.»

Die Solidarität scheint einzigartig: Sie gilt nicht dem Beitrag, sondern einzig dem Umstand, dass die Verantwortung dafür alleine dem Autor zugeschoben werde. Die Reaktion auf den Artikel erfolgte rasch und war eindeutig. Chefredaktor Rutishauser entschuldigte sich in der Zeitung dafür, dass im Artikel «ungewollt antisemitische Klischees» bedient worden seien. Der Autor entschuldigte sich über Twitter für seinen Text.

FDP Sonja Rueff-Frenkel anlaesslich der Stadtratswahlen im Stadthaus in Zuerich, aufgenommen am Sonntag, 13. Februar 2022. (KEYSTONE/Ennio Leanza)
Das Porträt von Sonja Rueff-Frenkel war problematisch.Bild: keystone

Die Angelegenheit schien bereinigt, die Angegriffene hielt sie nach einer Aussprache für erledigt. Wie die jüdische Zeitschrift «Tachles» berichtet, haben sich auch jüdische Zürcher Persönlichkeiten in einem Schreiben an den Verleger Pietro Supino gegen eine Entlassung ausgesprochen. Der Autor habe sich aufrichtig entschuldigt. Verbunden ist das Schreiben allerdings auch mit einer Spitze, die den links-liberalen «Tages-Anzeiger» im Mark treffen muss:

«Dass niemandem die Problematik des Artikels aufgefallen ist, beleuchtet, wie tief verwurzelt antisemitische Klischees in unserer Gesellschaft sind.»

Für die Redaktion ist dem Autor bloss die eine Fehlleistung anzukreiden, die zudem nicht auf antisemitischer Grundhaltung basiere. Chefredaktor Arthur Rutishauser und der Blattverantwortliche Mario Stäuble lassen sich jedoch mit dem Satz zitieren: «Es gab wiederholt unterschiedliche Auffassungen über Qualität im Journalismus.»

So erleben junge jüdische Schweizer Antisemitismus

Video: watson/lea bloch

Die «Weltwoche» meint eine Reportage über Wiesendangen, die im Januar 2021 im «Magazin» erschien, als solche Fehlleistung entdeckt zu haben, was allerdings keine Grundlage hat. Die «Republik» und «Insideparadeplatz» wiederum kolportieren, es sei ein Report über die finanzstarke Zürcher Baugarten-Stiftung gewesen, die auch den Verleger aufgebracht habe.

Allerdings hat auch dieser Text die Prüfung des internen Qualitätsmanagements bestanden. (saw/aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Themen

Antisemitismus-Eklat um jüdischen Sänger – Hotel-Mitarbeiter beurlaubt

Video: watson

Das könnte dich auch noch interessieren:

51 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Palpatine
17.02.2022 06:12registriert August 2018
Bin ich der einzige, der jetzt gerne ein paar konkrete Beispiele dieser antisemitischen Klischees gelesen hätte, um sich persönlich ein Bild davon zu machen?
2236
Melden
Zum Kommentar
avatar
Töfflifahrer
17.02.2022 06:21registriert August 2015
Also das sogenannte Bauernopfer, damit man sonst nichts unternehmen muss, bis zum nächsten mal.
Wie heisst es doch, der Fisch stinkt vom Kopf her.
865
Melden
Zum Kommentar
avatar
Salvatore_M
17.02.2022 07:38registriert Januar 2022
Die Chefredaktion des Tagi zeigt keine Größe in dieser Sache.
350
Melden
Zum Kommentar
51
Sparpotenzial vorhanden? Das ist 2024 die tiefste Krankenkassen-Prämie in deiner Gemeinde
Der Bundesrat hat heute Nachmittag die Krankenkassenprämien für das kommende Jahr präsentiert. Je nach Wohngemeinde können die Gesundheitskosten stark variieren – besonders günstig kommen Versicherte aus Appenzell Innerrhoden und der Innerschweiz davon.

Nach dem Prämienschock vom letzten Jahr steigen die Krankenkassenprämien auch für 2024 stark an. Das hat Bundesrat Alain Berset heute Dienstag an einer Pressekonferenz bekannt gegeben. Im Schnitt steigen die Prämien um 8,7 Prozent, die mittlere Monatsprämie beträgt im kommenden Jahr satte 359.50 Franken.

Zur Story