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Neue M-Budget-Kampagne: Die brutale Botschaft hinter den «mageren Kühen»

Migros rappelle aux Suisses qu'ils sont pauvres et affamés, dans une campagne choc.
Die Kampagne der Migros in der Romandie.bild: migros/watson

«Magere Kühe»: Die brutale Botschaft hinter der neuen M-Budget-Kampagne

Kaum sind die Buden der Weihnachtsmärkte eingepackt, sorgt eine Plakatkampagne in den Strassen der Westschweiz für Aufsehen. Die Botschaft? «Vaches maigres», also magere Kühe. Brutal, aber sehr deutlich.
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10.01.2024, 04:5710.01.2024, 05:46
fred valet / watson.ch/fr
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Die Bürgersteige sind weiss, die Lebern am Anschlag. Hier sind wir also am Anfang eines neuen Jahres. Wir fassen gute Vorsätze, schicken die Kinder zurück zur Schule, vermeiden eine Coronainfektion, machen uns Sorgen um die Steuern und trotzen der Depression. Kurzum: Wir befinden uns im «Januarloch». Mit anderen Worten: Nachdem wir den 13. Monatslohn für Geschenke verprasst haben, bleiben uns zwanzig Franken, um einen gerade begonnenen Monat zu überstehen.

So läuft das Spiel. Jeder spielt es auf seine Weise, mit dem Ziel, absichtlich zu übersehen, dass die Zeiten hart sind, um die Feiertage mit möglichst wenig Schäden zu überstehen. Na los, ein paar Tage voller Genüsse und Ausnahmen, es lebe der Lachs und der Sekt; diese verdammte Serafe-Rechnung kann sowieso bis Februar (oder März, Juni, Oktober oder bis zur Mahnung) warten.

Doch zum Spiel gehört eben auch: Das Erwachen ist brutal.

In der Westschweiz wird dieses Erwachen gerade zusätzlich von einer brutalen Werbekampagne begleitet, die uns daran erinnert, dass wir gerade arm und hungrig sind. Auf dem Weg zur Arbeit, in dieser Kälte der Wintermorgen (ja, wir übertreiben absichtlich), sehen wir uns mit einer Realität konfrontiert, die ohne Höflichkeitsformeln und ohne das geringste Verb ausgespuckt wird:

«Magere Kühe.»
Voilà. Das ist alles.
Die Werbekampagne im Herzen Lausannes.
Die Werbekampagne im Herzen Lausannes.bild: watson

Diese Schriftart und dieses grelle Grün sind den knapp bemessenen Familien und den Schweizer Studenten wohlbekannt.

Ja, das ist M-Budget.

Im ersten Moment, erstarrt vor dem Plakat, denkt man an eine Aktivistengruppe, die sich das Grafikdesign der berühmten Migros-Auswahl angeeignet hat, um den aktuellen Zustand der Klimapolitik anzuprangern. Man muss sagen, dass Renovate Switzerland Eindruck hinterlassen hat (und deren die Anwälte zur Verzweiflung getrieben hat), als sie das Logo von Rivella kopierten, um «1 Prozent der Schweizer Bevölkerung für das Klima auf die Strasse zu bringen».

Eine Aktion von Renovate Switzerland in Lausanne.
Eine Aktion von Renovate Switzerland in Lausanne.bild: keystone

Und dann diese Wendung, «magere Kühe», die für eine offizielle Kampagne etwas extrem erscheint. Man muss bis zur Bibel zurückgehen, um die Herkunft von «mageren Kühen» zu finden. In einem Traum sieht Joseph sieben fette Tiere, dann sieben abgemagerte, und er begreift, dass er sich bald auf mehrere Jahre Hungersnot vorbereiten muss. Natürlich sind wir nicht so weit. Für die meisten Leute geht es einfach darum, es mit dem Geld ein wenig ruhiger angehen zu lassen für einige Wochen. Lieber Dosennudeln bis zum Ende des Monats, als die ganze Nacht durchzufeiern.

Die Realisation, dass das Fest vorüber ist.

Es bleibt aber die Frage: Ist die Werbeanzeige von der Migros oder handelt es sich um eine Guerilla-Aktion?

Nachdem wir das Magazin des orangen Riesen durchgeblättert haben, wird klar, dass es tatsächlich eine Werbung von Migros ist. Ein paar Seiten weiter wird auch deutlich, dass der Schlag in zwei Phasen erfolgt. Ein erster Schlag ohne Vorwarnung, gefolgt von einem letzten mit dem traditionellen Eigenlob für die «kleinen Preise». Obwohl die Migros häufig durch unkonventionellere Werbung auffällt, ist die Botschaft dieser Werbung doch ziemlich provokant.

Sind die Schweizer also arm und hungrig?

Der zweite Teil der Werbung.
Der zweite Teil der Werbung.bild: migros

Wenn man noch tiefer in die digitalen Kanäle des Einzelhändlers eindringt, stösst man auf die deutschsprachige Version dieser Kampagne. Überraschenderweise ist die Botschaft dort viel nüchterner und die Schadenfreude sehr viel weniger aggressiv als in der französischsprachigen Version. Dort sind wir keine «mageren Kühe», sondern wir befinden uns schlicht im «Januarloch».

Die deutsche Version der Werbung.
Die deutsche Version der Werbung.bild: migros

Warum diese nicht wörtliche Übersetzung? Warum so viel Zorn in der Romandie, liebe Migros? Ein Sprecher der Migros in der Romandie betont, dass der Bevölkerung diese Kampagne gut gefällt.

«Auch intern dachten einige Mitarbeiter an einen Markenhack von M-Budget. Das Logo ist derart erfolgreich, dass es häufig kopiert wird.»
Tristan Cerf, Sprecher der Migros in der Romandie

«Ich muss daran erinnern, dass der Januar der traditionelle Monat der M-Budget-Kampagne ist. Sicher, dieses Jahr ist die Kampagne auffälliger und provokanter als zuvor, aber es ist keine Guerillaaktion. Es bleibt beim Teasing», erklärt Tristan Cerf.

Was ist mit der etwas kraftvolleren Begriffswahl im Vergleich zur deutschschweizer Version? «‹Januarloch› ist ein sehr bekannter Begriff in der Deutschschweiz, ‹creux de janvier› ist in der Romandie weniger gebräuchlich und, um ehrlich zu sein, auch etwas lang und blass.»

«‹Vaches maigres›, das ist kurz, punchy und alle verstehen die Anspielung.»
Tristan Cerf

Sind die Geldbörsen leer, gibt es zum Glück noch M-Budget? «Der Januar ist für alle schwierig. Und das merken wir sehr deutlich in unseren Regalen. Aufgrund dieser Kampagne und nach einem Jahr der Inflation werden wir die Preise für Hunderte von herkömmlichen Produkten dauerhaft senken, und das im gesamten Sortiment. Das wird den Kühen sicherlich etwas mehr Fett geben», schliesst Tristan Cerf mit einem Augenzwinkern.

Wir verabschieden uns von der Migros mit dem Gedanken, dass doch ein Einkaufswagen, bestehend aus einer Zahnpasta für 60 Rappen, fünf Bananen zum Preis einer Busfahrkarte und einer Margherita für 2.40 Franken, das ideale Bild unserer aktuellen Realität ist: Im Januar wird alles fade sein. Von der Morgenroutine über den Nachmittagssnack bis zum Abendessen.

Doch der Januar geht vorüber, habt also Mut, meine Kühe.

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61 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlüsselblüemli
10.01.2024 07:25registriert April 2020
Ich dachte zu Beginn wirklich dass es um eine gute Botschaft geht, zuerst um eine bessere Tierhaltung , dann auf Armut aufmerksam zu machen.

Aber es geht doch wieder nur um Profitmaximierung und verkauf der eigenen Produkte - wie kann man nur so naiv sein 🙄
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Müller Lukas
10.01.2024 07:16registriert August 2020
Ich verstehe das ganze Januarloch-Thema nicht.
Im Dezember kommt ja der 13. Monatslohn. Klar kauft man noch Weihnachtsgeschenke, aber dafür geht ja kein ganzr Monatslohn drauf...
Was macht der Durchschnittsvertreter des Prekariats mit dem ganzen Rest? Sich an Silvester die Kante geben, und für 2'000 Stutz Böller abfeuern? 🙈😂
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Joseph Dredd
10.01.2024 08:57registriert Juli 2014
Ich habe das "Januarloch"-Plakat gestern in der Stadt Bern gesehen und finde es Top-Tier-Marketing. Genial, eine Produktelinie so im kollektiven Gedächtnis zu verankern, dass die Marke nicht mal mehr genannt werden muss, weil ein Plakat im grafischen Erscheinungsbild derselben bereits ausreicht, um die richtigen Assoziationen zu triggern.
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