Die Bürgersteige sind weiss, die Lebern am Anschlag. Hier sind wir also am Anfang eines neuen Jahres. Wir fassen gute Vorsätze, schicken die Kinder zurück zur Schule, vermeiden eine Coronainfektion, machen uns Sorgen um die Steuern und trotzen der Depression. Kurzum: Wir befinden uns im «Januarloch». Mit anderen Worten: Nachdem wir den 13. Monatslohn für Geschenke verprasst haben, bleiben uns zwanzig Franken, um einen gerade begonnenen Monat zu überstehen.
So läuft das Spiel. Jeder spielt es auf seine Weise, mit dem Ziel, absichtlich zu übersehen, dass die Zeiten hart sind, um die Feiertage mit möglichst wenig Schäden zu überstehen. Na los, ein paar Tage voller Genüsse und Ausnahmen, es lebe der Lachs und der Sekt; diese verdammte Serafe-Rechnung kann sowieso bis Februar (oder März, Juni, Oktober oder bis zur Mahnung) warten.
Doch zum Spiel gehört eben auch: Das Erwachen ist brutal.
In der Westschweiz wird dieses Erwachen gerade zusätzlich von einer brutalen Werbekampagne begleitet, die uns daran erinnert, dass wir gerade arm und hungrig sind. Auf dem Weg zur Arbeit, in dieser Kälte der Wintermorgen (ja, wir übertreiben absichtlich), sehen wir uns mit einer Realität konfrontiert, die ohne Höflichkeitsformeln und ohne das geringste Verb ausgespuckt wird:
Diese Schriftart und dieses grelle Grün sind den knapp bemessenen Familien und den Schweizer Studenten wohlbekannt.
Ja, das ist M-Budget.
Im ersten Moment, erstarrt vor dem Plakat, denkt man an eine Aktivistengruppe, die sich das Grafikdesign der berühmten Migros-Auswahl angeeignet hat, um den aktuellen Zustand der Klimapolitik anzuprangern. Man muss sagen, dass Renovate Switzerland Eindruck hinterlassen hat (und deren die Anwälte zur Verzweiflung getrieben hat), als sie das Logo von Rivella kopierten, um «1 Prozent der Schweizer Bevölkerung für das Klima auf die Strasse zu bringen».
Und dann diese Wendung, «magere Kühe», die für eine offizielle Kampagne etwas extrem erscheint. Man muss bis zur Bibel zurückgehen, um die Herkunft von «mageren Kühen» zu finden. In einem Traum sieht Joseph sieben fette Tiere, dann sieben abgemagerte, und er begreift, dass er sich bald auf mehrere Jahre Hungersnot vorbereiten muss. Natürlich sind wir nicht so weit. Für die meisten Leute geht es einfach darum, es mit dem Geld ein wenig ruhiger angehen zu lassen für einige Wochen. Lieber Dosennudeln bis zum Ende des Monats, als die ganze Nacht durchzufeiern.
Die Realisation, dass das Fest vorüber ist.
Es bleibt aber die Frage: Ist die Werbeanzeige von der Migros oder handelt es sich um eine Guerilla-Aktion?
Nachdem wir das Magazin des orangen Riesen durchgeblättert haben, wird klar, dass es tatsächlich eine Werbung von Migros ist. Ein paar Seiten weiter wird auch deutlich, dass der Schlag in zwei Phasen erfolgt. Ein erster Schlag ohne Vorwarnung, gefolgt von einem letzten mit dem traditionellen Eigenlob für die «kleinen Preise». Obwohl die Migros häufig durch unkonventionellere Werbung auffällt, ist die Botschaft dieser Werbung doch ziemlich provokant.
Sind die Schweizer also arm und hungrig?
Wenn man noch tiefer in die digitalen Kanäle des Einzelhändlers eindringt, stösst man auf die deutschsprachige Version dieser Kampagne. Überraschenderweise ist die Botschaft dort viel nüchterner und die Schadenfreude sehr viel weniger aggressiv als in der französischsprachigen Version. Dort sind wir keine «mageren Kühe», sondern wir befinden uns schlicht im «Januarloch».
Warum diese nicht wörtliche Übersetzung? Warum so viel Zorn in der Romandie, liebe Migros? Ein Sprecher der Migros in der Romandie betont, dass der Bevölkerung diese Kampagne gut gefällt.
«Ich muss daran erinnern, dass der Januar der traditionelle Monat der M-Budget-Kampagne ist. Sicher, dieses Jahr ist die Kampagne auffälliger und provokanter als zuvor, aber es ist keine Guerillaaktion. Es bleibt beim Teasing», erklärt Tristan Cerf.
Was ist mit der etwas kraftvolleren Begriffswahl im Vergleich zur deutschschweizer Version? «‹Januarloch› ist ein sehr bekannter Begriff in der Deutschschweiz, ‹creux de janvier› ist in der Romandie weniger gebräuchlich und, um ehrlich zu sein, auch etwas lang und blass.»
Sind die Geldbörsen leer, gibt es zum Glück noch M-Budget? «Der Januar ist für alle schwierig. Und das merken wir sehr deutlich in unseren Regalen. Aufgrund dieser Kampagne und nach einem Jahr der Inflation werden wir die Preise für Hunderte von herkömmlichen Produkten dauerhaft senken, und das im gesamten Sortiment. Das wird den Kühen sicherlich etwas mehr Fett geben», schliesst Tristan Cerf mit einem Augenzwinkern.
Wir verabschieden uns von der Migros mit dem Gedanken, dass doch ein Einkaufswagen, bestehend aus einer Zahnpasta für 60 Rappen, fünf Bananen zum Preis einer Busfahrkarte und einer Margherita für 2.40 Franken, das ideale Bild unserer aktuellen Realität ist: Im Januar wird alles fade sein. Von der Morgenroutine über den Nachmittagssnack bis zum Abendessen.
Doch der Januar geht vorüber, habt also Mut, meine Kühe.
Aber es geht doch wieder nur um Profitmaximierung und verkauf der eigenen Produkte - wie kann man nur so naiv sein 🙄
Im Dezember kommt ja der 13. Monatslohn. Klar kauft man noch Weihnachtsgeschenke, aber dafür geht ja kein ganzr Monatslohn drauf...
Was macht der Durchschnittsvertreter des Prekariats mit dem ganzen Rest? Sich an Silvester die Kante geben, und für 2'000 Stutz Böller abfeuern? 🙈😂