Was für eine Reise. Aufgrund eines Missverständnisses lernen die beiden Bündner Buben Patrik und David Koller aus La Punt den Zürcher David Pröschel kennen. 23 Jahre später präsentieren die drei einen strassenzugelassenen, elektrisch angetriebenen Landwirtschafts- und Mehrzweckstransporter. watson hat einen kleinen Teil des steinigen Wegs der drei begleitet.
Jetzt wollen die drei Freunde und Geschäftspartner mit ihrem Fahrzeug endlich hoch hinaus – so hoch wie noch nie jemand zuvor mit einem Fahrzeug und damit auf die Spitze des Ojos del Salado in Chile. Das Fahrzeug befindet sich bereits auf dem Weg nach Südamerika, kurz vor ihrer Abreise hatte watson die Gelegenheit, noch einmal mit den Abenteurern zu reden.
Könnt ihr uns die Eckdaten eures Abenteuers geben? Wann beginnt ihr? Wo führt die Reise durch? Wie lange wird es dauern? Und wie viele Nusstorten habt ihr im Gepäck?
Patrik Koller: Unser Expeditionsfahrzeug kommt am 26. Oktober in Valparaiso, Chile an. Dann fliegen auch wir hin, um es am Containerhafen in Empfang zu nehmen. Von da geht die Fahrt zuerst ca. 1000 Kilometer nördlich nach Copiapo. Das ist die letzte Stadt vor der Wüste. Dort werden wir eine grosse Menge an Proviant einkaufen.
Der Ojos del Salado ist 350 Kilometer vom nächsten bewohnten Ort entfernt. Für unser Team mit sechs Leuten müssen wir mit 24'000 Kalorien pro Tag rechnen – und das für 30 Tage. Das kann jeder selbst in Nusstorten umrechnen (lacht). In der zweiten Novemberhälfte wollen wir bei der Laguna Verde am Fuss des Berges auf 4200 Meter mit der Akklimatisation starten. Diese dauert rund vier Wochen und führt uns über mehrere Schritte bis zum letzten Camp «Tejos» auf 5800 Meter. Von da werden wir Ende Dezember den Rekordversuch starten. Wenn alles ideal läuft, werden wir also bis Neujahr den Weltrekord haben. Wir hätten aber die Möglichkeit, bis Ende Januar 2024 zu warten, um den perfekten Zeitpunkt zu erwischen.
Auf einer Skala von 0 bis 10, wie zuversichtlich seid ihr, im Minimum einen Weltrekord zu holen?
Es gibt die generelle Kategorie «Höchster Punkt für Fahrzeuge» nicht, sondern nur für spezifische Fahrzeugkategorien. Deshalb haben wir uns für den Rekord «Highest point reached with an electric truck» angemeldet (Höchster erreichter Punkt eines Elektro-Trucks).
Und wo liegt dieser?
Es gibt ihn noch nicht! Deshalb hat Guinness für uns 5600 Höhenmeter als Schwelle gesetzt. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir das schaffen – sagen wir eine 8,5. Dass wir aber auch höher als jedes andere bisherige Fahrzeug kommen, wird schwierig und hängt sehr von äusseren Einflüssen ab. Diesen Rekordchancen gebe ich eine 5.
Was werden die grössten Herausforderungen?
Auf jeden Fall wird es physisch extrem anstrengend. Wir werden uns über Wochen auf über 5000 Metern aufhalten. Dort schläft man schlecht und nachts ist es extrem kalt. Durch den geringen Luftdruck ist die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Gleichzeitig müssen wir uns aber auf das Bedienen des Fahrzeugs konzentrieren können, und bei Bedarf auch mal zu Fuss vorauslaufen oder schaufeln. Das geschieht dann alles in Zeitlupe. Hinzu kommen die technischen Herausforderungen. Auch das Fahrzeug wird mit den Temperaturen zwischen +30 und –20 Grad kämpfen. Ausserdem laden wir nur mit Solarenergie. Wir haben keinen Notfall-Generator dabei. Unser selbst entwickeltes System muss also zuverlässig funktionieren, sonst sind wir aufgeschmissen.
Nehmen wir an, es kommt zu einem technischen Defekt: Welche Probleme an der Maschine könnt ihr selbst reparieren?
Wir haben eine voll ausgestattete Werkstatt dabei. Wenn nötig, können wir das Fahrzeug da oben komplett zerlegen. Wir haben auch eine grosse Auswahl an Ersatzteilen. Aber schlussendlich kann es an einem kleinen Stecker oder Ventil scheitern, das wir nicht haben. Schliesslich können wir nicht ein komplettes zweites Fahrzeug als Backup mitnehmen.
Welches Problem würde zum Abbruch der Expedition führen?
Grundsätzlich haben wir alle entscheidenden Systeme redundant ausgelegt. Von der Batterie über das Solarladesystem zum Antrieb. Im Prinzip müsste derselbe Defekt mehrmals auftreten. Aber wie gesagt, manchmal ist es ein winziges Teil, das eine Maschine lahmlegt. Die Beschaffung eines Ersatzteils kann dann gut zwei Wochen dauern.
Könnte es sein, dass ihr im Extremfall euren Prototypen in der Wüste stehen lassen müsst?
[Lachend] So weit wollen wir nicht denken. Wir haben grosse Erfahrung mit prekären Situationen. Und die Erfahrung zeigt: Dann werden wir erst richtig kreativ.
Trotzdem hoffen wir, dass ihr möglichst wenig Kreativität benötigt. Was euch aber sicher nicht erspart bleiben wird, sind körperliche Qualen.
Wir werden sicher mehrere Tage auf über 6000 Metern verbringen und dort auch längere Erkundungstouren von 6 bis 8 Stunden am Tag unternehmen, um den besten Weg festzulegen. Das ist nicht ganz ohne.
Wie sieht euer Fitnessstand aus?
Der ist gut. Wir wissen, dass wir alle fit sind ... und wer am meisten und längsten auf dem Bike gedrückt hat.
Die Formulierung lässt nur einen Schluss zu: Das warst du (Patrik Koller).
(Lacht) *Hüstel* Genau *hüstel*.
Wie sieht die Strecke aus? Liegt Schnee?
Das kann man nie wissen. Das Wetter ist absolut unberechenbar. Bei unserer Erkundungstour vor vier Jahren war es oft so, dass das Wetter innerhalb von zwei Stunden von blauem Himmel zu Schneefall umschlug. Schneefall bedeutet in der Gegend meist auch Blitz und Donner. Wir sind aber in der niederschlagsärmsten Zeit dort und hoffen auf möglichst wenig Schnee.
Was ist euch bei eurer Erkundung vor vier Jahren noch aufgefallen?
Als wir da waren, hatte es laut lokalen Bergführern so viel Schnee wie seit Jahren nicht mehr. Deshalb haben wir nicht viel vom Gelände gesehen. Dafür haben wir es durch hüfttiefen Schnee zum Gipfel geschafft – als erste der Saison damals. Und wir wissen nun, dass wir den Berg meistern können.
Welche Temperaturen werden herrschen?
Man muss es sich ein wenig vorstellen wie im Weltraum. Wenn man in der Sonne steht, ist es extrem warm – also problemlos T-Shirt und kurze Hosen. Gleichzeitig herrschen im Schatten immer Minusgrade. Eine Wasserflasche, die man im Schatten des Autos vergisst, wird gefrieren, während man auf der anderen Seite oben ohne an der Sonne liegt. Das liegt an der extrem trockenen Luft und am tiefen Luftdruck.
Wie reagieren die Batterien auf solche Verhältnisse?
Wir haben ein Heizsystem für die Batterien verbaut, das sie immer im optimalen Temperaturbereich hält. Ausserdem ist die Hülle isoliert.
Ich nehme an, das habt ihr getestet?
Wir waren im Winter bei –10 Grad auf einer Tour von Sevelen nach Gstaad und zurück. Wir sind zuversichtlich, dass das System auch am Ojos del Salado funktioniert.
Gibt es andere Komponenten, die empfindlich auf Kälte reagieren?
Im Prinzip nur das Hydrauliköl für die Bremsen, die Lenkung und die Seilwinde. Das wird ein bisschen zähflüssiger. Die Pumpe benötigt auch etwas mehr Energie, bis sie warm wird. Aber auch das kennen wir bereits von der Schweiz.
Was passiert mental? Wart ihr bereits einmal so lange so hoch oben?
Ehrlich gesagt ist es für den Kopf sehr entspannend da draussen in der Wüste. Wir arbeiten seit Monaten fast immer sieben Tage pro Woche und sind völlig überlastet. In Chile werden wir, primär in der Phase der Akklimatisation, oft auch einfach Zeit haben, um nichts zu tun. Es ist das komplette Gegenteil der Reizüberflutung, die wir hier haben. Letztes Mal waren wir fünf Wochen da und hatten nahezu keinen Kontakt zur Aussenwelt. Diesmal haben wir ein Starlink-Terminal dabei. Am besten schalten wir das nur eine Stunde am Tag ein.
Trotz Abgeschiedenheit werden wir euren Weltrekord also quasi live miterleben dürfen. Wie am besten?
Ab November wird es auf unserer Webseite (www.peakevolution.ch) ein Dashboard geben. Dort kann man sämtliche Telemetriedaten live verfolgen – wie auch unseren aktuellen Standort. Ausserdem gibt es Einblicke in unser tägliches Leben auf:
Und übrigens, Anmerkung der Redaktion, es sind 430 Nusstorten.
Und ja, wir werden versuchen, die drei Abenteurer auch während des Rekordversuches zu interviewen.