Vor genau 16 Jahren sagte das Stimmvolk Ja zu den bilateralen Verträgen. Doch mal ehrlich: Wer von uns weiss schon genau, was diese alles beinhalten? Eben. Deshalb hier eine Liste mit Aspekten der Abkommen, von denen wir profitieren, die aber gerne übersehen werden.
Seit dem Ja des
Stimmvolks zur Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 hängt
das Schicksal der bilateralen Verträge mit der Europäischen Union
in der Schwebe. Wenn die Schweiz keine Einigung mit der EU über die
Fortführung der Personenfreizügigkeit findet, droht durch die so
genannte Guillotine-Klausel die Kündigung der Bilateralen I. Sie wurden 2006 durch die Bilateralen II ergänzt.
Durch dieses umfangreiche Vertragswerk ist die Schweiz eng mit der EU verbunden.
Es umfasst weit mehr als den Personenverkehr, das Abkommen von
Schengen/Dublin oder den Abbau technischer Handelshemmnisse. Die
Bilateralen bieten der Schweiz viele Vorteile, die in der breiten Öffentlichkeit teilweise nur wenig bekannt sein.
Alles Käse
Die Käseauswahl hat sich durch die Liberalisierung enorm vergrössert. Bild: KEYSTONE
Das
Landwirtschaftsabkommen hat den Handel mit Lebensmitteln zwischen der
Schweiz und der EU durch den Abbau von Zöllen und andere Hemmnissen
erleichtert. Bestes Beispiel ist der Käsemarkt, der vollständig
liberalisiert wurde. Seither findet man in den Schweizer Läden ein
weitaus grösseres Käsesortiment als früher. Umgekehrt konnten die
einheimischen Produzenten ihre Exporte in die EU steigern. Ausserdem
wurden hiesige Käser zu innovativen
Produkten animiert. Zur Freude der Konsumenten.
Kein Bündnerfleisch
aus Polen
Ob Bündnerfleisch oder St.Galler Bratwurst: Schweizer Ursprungsbezeichnungen sind EU-weit geschützt.Bild: KEYSTONE
Im Agrarabkommen
verpflichteten sich die Schweiz und die EU auch zur gegenseitigen
Anerkennung von geschützten Ursprungsbezeichnungen. Bündnerfleisch
darf in der EU nur unter diesem Namen verkauft werden, wenn es aus
dem Kanton Graubünden stammt und nicht etwa aus Polen. Der beliebte
Hobelkäse Tête de Moîne darf nur im Schweizer Jura hergestellt
werden, nicht ennet der Grenze in Frankreich. Geschützt ist übrigens
auch die St.Galler Bratwurst. Allerdings kann die Schweiz den
Europäern nicht vorschreiben, sie nur ohne Senf zu essen ...
Flüge nach ganz
Europa
Easyjet fliegt von Basel aus zahlreiche Destinationen in Europa an. Bild: KEYSTONE
Ein Flug von Zürich
nach Rhodos? Oder von Basel nach Catania? Kein Problem. Dank dem
Luftverkehrsabkommen können sämtliche Flughäfen in der EU von der
Schweiz aus angeflogen werden. Ausserdem können hiesige Airlines
Flüge innerhalb der EU anbieten.
Sollte das Abkommen wegfallen, müsste die Schweiz vermutlich mit jedem Land eine eigene Vereinbarung abschliessen, um ungehinderten Zugang zu den Flughäfen zu erhalten. Betroffen wäre auch die Swiss, die zwar eine Tochter der deutschen Lufthansa ist, ihren Sitz aber in der Schweiz hat. Gleiches gilt für Easyjet Schweiz, den führenden Carrier in Basel und Genf.
Austausch für
Lehrlinge
Auch Lehrlinge können vom Austausch mit der EU profitieren. Bild: KEYSTONE
Das
Studentenaustauschprogramm Erasmus ist weitherum bekannt. Je rund
3000 Studierende aus der Schweiz und der EU nutzen es jedes Jahr. Wer
aber weiss, dass auch Absolventen einer Berufslehre von ähnlichen
Programmen profitieren? Mit Erasmus+ wird dieser Aspekt gestärkt, doch die Schweiz ist nur im Sinn einer
Übergangslösung daran beteiligt. Eine definitive Teilnahme wird erst nach
einer Einigung bei der Personenfreizügigkeit möglich sein.
Gleich geht's weiter in der Liste, vorher ein kurzer Hinweis:
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Schluss mit Vorurteilen gegenüber Europa
Die Schweiz steht gut da. Auch dank guter Beziehungen zu unseren Partnern in Europa. Diesen Platz wollen wir behalten. Ob tolle Schweizer Filme, Liebe über die Landesgrenze hinaus, uneingeschränkte und unkomplizierte Reisemöglichkeiten oder Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland – nur eine vernetzte Schweiz kann stark und erfolgreich bleiben. Trage Sorge dafür. Wie? Das erfährst du hier >>
Und weiter mit den nächsten 6 Vorteilen.
EU-Brummis finanzieren die Bahn
LSVA-Kontrollbrücke am Grauholz bei Bern.Bild: KEYSTONE
Die
Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) liefert jährlich 1,5 Milliarden Franken für die Kantone und die Verlagerung des
Güterverkehrs auf die Schiene. Rund ein Viertel steuern
Lastwagen aus der EU bei. Diese hat die LSVA im Landverkehrsabkommen
akzeptiert, gegen den Widerstand ihres Transportgewerbes. Für die
Fahrt von Basel nach Chiasso müssen durchschnittlich 275 Franken
bezahlt werden, die teilweise der Bahn zugute kommen.
Die Schweiz musste
im Gegenzug die Gewichtslimite für Lastwagen von 28 auf 40 Tonnen
anheben. Heute verkehren auf den Strassen der EU jedoch bereits
Brummis mit einem Gewicht von 60 Tonnen. Ohne Landverkehrsabkommen, das zu den Bilateralen I gehört, könnte die
EU die Schweiz unter Druck setzen, solche Gigaliner auf dem hiesigen
Strassennetz zuzulassen.
Schutz für die
Transpörtler
Schweizer Transportunternehmen können auch Waren aus einem EU-Land in ein anderes verfrachten, ohne zuhause Konkurrenz fürchten zu müssen. Bild: KEYSTONE
Dank dem
Landverkehrsabkommen können Schweizer Transporteure Waren von einem
EU-Land in ein anderes befördern. Umgekehrt ist der Schweizer Markt vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Fällt die
Guillotine und muss das Abkommen neu verhandelt werden, könnte die
EU auch in diesem Punkt auf eine Marktöffnung drängen. Die häufig
zu Dumpingtarifen arbeitenden EU-Spediteure könnten das hiesige
Gewerbe unter enormen Preisdruck setzen.
Verkaufserfolge für Industrie
Ex-SVP-Nationalrat Peter Spuler profitiert beim Export seiner Züge von den Bilateralen.Bild: Melanie Duchene
Zum Beispiel die Züge des
Thurgauer Unternehmens Stadler Rail. Sie sind ein
Verkaufsschlager und verkehren in Österreich, Polen, Ungarn und
anderen Ländern. Kürzlich kamen neue Aufträge aus Deutschland,
Schottland und den Niederlanden hinzu. Dafür ist nicht nur die Qualität des Rollmaterials verantwortlich. Möglich
macht dies auch das Abkommen über das öffentliche
Beschaffungswesen, das über die entsprechenden WTO-Regeln
hinausgeht.
Sollte es wegfallen,
könnte Stadler Rail von künftigen Ausschreibungen ausgeschlossen
werden. Allenfalls wäre das Unternehmen gezwungen, seine gesamte
Produktion und vielleicht auch den Firmensitz aus Bussnang in die EU
zu verlegen. Firmeninhaber und Ex-SVP-Nationalrat Peter Spuhler
bezeichnete eine Kündigung der Bilateralen in einem Interview
folglich als «Katastrophe».
Anti-Terror-Zentrum
Einsatz von Anti-Terror-Einheiten in Paris. Bild: Kamil Zihnioglu/AP/KEYSTONE
Der Terrorismus ist
eine der grössten Bedrohungen der Gegenwart. Beim Datenaustausch
zwischen den verschiedenen Ländern liegt jedoch einiges im Argen.
Die EU-Kommission hat darauf reagiert und zu Beginn dieses Jahres das
Europäische Anti-Terror-Zentrum (ECTC) mit Sitz in Den Haag
gegründet. Es ist der europäischen Polizeibehörde Europol
angeschlossen, mit der die Schweiz ein Abkommen im Rahmen der
Bilateralen II abgeschlossen hat. Sie kann dadurch auch als
Drittstaat mit dem neuen Anti-Terror-Zentrum zusammenarbeiten.
Galileo statt GPS
Start eines Galileo-Satelliten in Baikonur (Kasachstan). Bild: Getty Images Europe
Die Navigation via
Satellit wird derzeit vom amerikanischen GPS-System beherrscht.
Europa aber baut derzeit eine Alternative namens Galileo auf. Der
Sitz der entsprechenden Agentur ist in Prag. Die Schweiz beteiligt
sich an Galileo über ein 2013 abgeschlossenes bilaterales Abkommen
mit der EU, um vom GPS unabhängiger zu werden. Verbunden ist dies
mit einem jährlichen Beitrag von 30 bis 35 Millionen Franken, aber
auch mit der Lieferung von hoch präzisen Atomuhren.
Sauberes Badewasser
Dank der EU-Datenbank kann die Wasserqualität europaweit verglichen werden. Bild: KEYSTONE
Über die
Bilateralen II ist die Schweiz an der Europäischen Umweltagentur
(EUA) beteiligt und hat so Zugang zu ihrer europaweiten
Datenbank. Seither ist es möglich, den Zustand der hiesigen
Umwelt mit jener in Europa zu vergleichen. Das betrifft sowohl den
Gletscherschwund als Folge der Klimaerwärmung wie auch die
Wasserqualität an den Badestränden, zu der die EUA jährlich einen
Bericht veröffentlicht.
«More than Honey» von Markus Imhoof ist der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm der
Geschichte, nicht zuletzt dank den spektakulären Nahaufnahmen der
Honigbienen. Er kam in rund 30 Ländern ins Kino, was ohne
das EU-Filmförderungsprogramm MEDIA kaum möglich
gewesen wäre. Auch der Spielfilm «L’enfant d’en haut» von
Ursula Meier, ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären der Berlinale,
profitierte von diesem Programm.
MEDIA wurde 2014 in das neue
Rahmenprogramm «Kreatives Europa» integriert. Eine Teilnahme der
Schweiz ist jedoch wegen der Masseneinwanderungsinitiative blockiert.
Für den Verleih von Schweizer Filmen im Ausland stelle dies ein
gewaltiges Problem dar, klagt die Filmbranche. Das bedeutet, dass viel weniger Leute die Filme zu sehen bekommen. Deshalb haben gute Darsteller weniger Interesse mitzuwirken, springen namhafte Post-Produktionsfirmen nicht an und steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Film überhaupt nicht realisiert wird. Oder wie Driss, der Pfleger aus Senegal in Kino-Streifen «Ziemlich beste Freunde» sagt: «Keine Arme, keine Schokolade».
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Die beliebtesten Kommentare
Sapere Aude
21.05.2016 11:09registriert April 2015
Ich hätte da eine kleine Bitte Watson. Am Anfang von gesponserten Artikeln bereits die Info wer hinter diesem Artikel steckt und zwar transparent. Hinter der Seite europapolitik.ch stehen die bürgerlichen Parteien, Wirtschaftsverbände wie die economiesuisse und Grosskonzerne. Verwundert also nicht, dass 11 der 13 von Gründe rein wirtschaftlicher Natur sind.
Gäbe es in der Schweiz mehr Leute mit Geschichtssinn wären solche Artikel gar nicht nötig. Man muss gar nicht weit zurückgehen um zu erkennen wie ein Europa von insulären Nationalstaaten aussehen würde. Und ich rede noch nicht mal von Krieg. Allein schon ein Blick auf den grassierenden Merkantilismus und den dumpfen Nationalimus, der Europa bis zur Integration beherrschten zeigt, wie absurd und geschichtsblind diese Klischees von der EU als Hegemonialmacht wirklich sind.
"Der Terrorismus ist eine der grössten Bedrohungen der Gegenwert", meint ihr das jetzt echt ernst? Bedrohen mich Terroristen? Muss ich jetzt Angst haben wen ich Biken gehe? Oder wenn ich im Dunkeln nachhause schlendere? Oder meint ihr das die Terroristen zuerst Europa einnehmen, dann die Schweiz und zum Dessert die USA? Bitte gebt mir ein Hinweis warum "die Terroristen" für mich und Euch eine Gefahr sind. Klingt mir ein wenig nach Eurasien, Ostasien und Emmanuel Goldstein...... 1984 sollte zum Pflichtstoff in der Schule werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/1984_(Roman)
Er war ein humaner General und ein innovativer Kartograf. Doch Guillaume Henri Dufour war auch Mobilitätspionier, talentierter Ingenieur und ein Politiker wider Willen.
Vor 150 Jahren starb eine der bedeutendsten Schweizer Persönlichkeiten: Guillaume Henri Dufour (1787–1875). Der Genfer war ein genialer Kartograf und ein empathischer General. Seine topografische Karte war die erste präzise Gesamtvermessung des Landes und setzte internationale Standards. Sie wurde 1855 an der Weltausstellung in Paris mit einer goldenen Ehrenmedaille ausgezeichnet, obwohl sie noch gar nicht fertig war.