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Schafhirte sollen in Zukunft angreifende Wölfe abschiessen dürfen

Wolf
Ein Wolf kehrt zu einem gerissenen Hirschkalb zurück.bild: wildhüter sepp koller

«Beste Schutzmassnahme»: Dürfen Schafhirten künftig angreifende Wölfe abschiessen?

Wenn ein Wolf die Schafe angreift, soll der Hirte die Waffe zücken und das Raubtier abschiessen dürfen. Diesen Vorschlag bringt die Umweltkommission des Nationalrats ins Spiel – und weckt damit Widerstand.
15.08.2024, 06:2715.08.2024, 17:34
Maja Briner / ch media
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Auf der Alp Halde in Flums SG reisst ein Wolfspaar im Juli über zwanzig Schafe und verletzt einen Herdenschutzhund namens Fly. Im Tessiner Bedrettotal tötet ein Wolf Ende Juli insgesamt elf Schafe und Lämmer. Und in Boltigen BE werden diesen Sommer innert weniger Tage neun Schafe gerissen. Es sind solche Meldungen, die den Ruf nach einem härteren Durchgreifen befeuern.

Die Politik hat reagiert. Wölfe dürfen neu präventiv geschossen werden, noch bevor sie ein Nutztier gerissen haben. Derzeit wird um die genaue Ausgestaltung der Jagdverordnung gerungen – und dabei taucht eine neue Idee auf: Hirten sollen angreifende Wölfe selbst abschiessen dürfen.

In einer Medienmitteilung der Umweltkommission des Nationalrats heisst es etwas verklausuliert, die Verwaltung solle die «Möglichkeit prüfen, bei Wolfsangriffen Verteidigungsabschüsse zuzulassen». Die Kommission hat einen entsprechenden Auftrag erteilt. Den Antrag brachte der Walliser SVP-Nationalrat Michael Graber ein, wie der «Blick» berichtet.

Der Wolf müsse erkennen, dass sein eigenes Leben in Gefahr geraten könne, wenn er auf der Alp Schafe reisse, argumentiert er. Wenn man den Hirten erlauben würde, im Falle eines Angriffs Verteidigungsabschüsse abzugeben, könnten die Wölfe daraus lernen und würden sich künftig von den Herden fernhalten, erklärte Graber. Ihm sei bewusst, dass diese Methode sorgfältiger Abklärungen zu verschiedenen Aspekten erfordere.

Graubünden will zwei Drittel aller Jungwölfe schiessen
Der Kanton Graubünden will zwei Drittel aller diesjährigen Jungwölfe schiessen. Zudem sollen zwei Wolfsrudel komplett ausgelöscht werden. Der Kanton hat ein entsprechendes Gesuch beim Bund eingereicht.

Geschossen werden sollen die Wölfe im gesetzlichen Regulationszeitraum vom 1. September bis zum 31. Januar 2025, wie das Amt für Jagd und Fischerei, die Wildhut, am Donnerstag mitteilte. Ziel dieser Abschüsse sei die Reduktion der Konflikte mit der Landwirtschaft und die Erhöhung der Scheue gegenüber dem Menschen. Der Wolfsbestand soll dabei nicht gefährdet werden.

Die Anzahl Wölfe in Graubünden wuchs laut dem Amt auch in diesem Jahr an, insbesondere in den bislang rudelfreien Gebieten. Aktuell werden zwölf Rudel bestätigt. Die Wildhut geht davon aus, dass im Verlauf des Sommers noch weitere Rudel hinzukommen werden. (sda)

Der beste Schutz – oder nur Symbolpolitik?

Ist das Ziel, den Wolf tatsächlich zu treffen – oder ihn mit einem Schuss zu verjagen? Gegenüber CH Media schreibt Graber, es gehe darum, «dass die Menschen ihr Leben, jenes ihrer Mitmenschen, aber auch ihr Eigentum vor Wölfen schützen dürfen. Selbstverständlich dürfte man dementsprechend auf den Wolf schiessen.» Der Wolfsabschuss sei die beste Herdenschutzmassnahme.

Die Verwaltung werde nun prüfen, wie man das in der Praxis umsetzen könne. Graber geht davon aus, dass dann auch über die Verhältnismässigkeit diskutieren wird. «Für mich ist aber klar: Im Zweifel für den Menschen. Wenn der Staat nicht willens ist, sein Hab und Gut und Leben zu schützen, muss der Mensch das selbst in die Hand nehmen.»

ARCHIV --- ZUR BERICHTERSTATTUNG �EIN JAHR VOR DEN EIDGENOESSISCHEN WAHLEN 2023�, STELLEN WIR IHNEN BILDMATERIAL ZU DEN KANDIDATUREN FUER DEN NATIONALRAT ZUR VERFUEGUNG --- Michael Graber, SVP-VS, spr ...
Will Verteidigungsabschüsse prüfen lassen: SVP-Nationalrat Michael Graber.Bild: keystone

Gegen Verteidigungsabschüsse wehrt sich David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz. Er verweist auf Erfahrungen aus dem Ausland: Frankreich sei dasjenige Land Europas mit den grössten Schäden durch Wölfe, sowohl in absoluten Zahlen als auch in Rissen pro Wolf – obwohl der Verteidigungsabschuss, der «tir de défense», dort schon lange möglich sei. Gerke: «Die wissenschaftlichen Untersuchungen in Frankreich zeigen, dass auch der ‹tir de défense› nicht zu einem Rückgang der Risse führt.»

Dass die Politik diese Massnahme fordert, zeigt nach Ansicht von Gerke, «dass man sich offenbar überhaupt nicht vertieft mit der Materie auseinandergesetzt hat und stattdessen eine Symbolpolitik betreibt». Verteidigungsabschüsse lösten keine Probleme, ist Gerke überzeugt. Denn der Hirte kann nur eingreifen, wenn er einen Wolf in flagranti erwischt.

Auch die Naturschutzorganisation Pro Natura sieht den Vorschlag, dass Hirten selbst zur Waffe greifen, sehr kritisch. «Bei grossem Schadenpotenzial werden Wölfe heute schon in der Nähe der Nutztierherde geschossen, wir sehen daher keine Notwendigkeit, die Abschussmöglichkeiten für einzelne Wölfe weiter zu lockern», erläutert Sara Wehrli, Fachexpertin für Beutegreifer und Jagdpolitik. «Dass Tierhalter oder Hirtinnen ohne Jagdbefähigung oder Jäger im Auftrag eines Tierhalters – und nicht des Kantons – Wölfe erlegten, ginge zu weit.»

Wölfe mit Petarden verscheuchen

Der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verband wiederum ist mit dem aktuellen Umgang mit dem Wolf nicht glücklich. Geschäftsführerin Selina Droz sagt: «Es dauert heute zu lange, bis eine Abschussbewilligung erteilt wird und ein Wolf abgeschossen wird. Das muss schneller gehen.» Somit begrüsse der Verband auch alle Möglichkeiten, die zu einer Vereinfachung der Regulierung führen.

Der Verband spricht sich zudem dafür aus, dass Schäfer gewisse Vergrämungsmassnahmen selbst ergreifen dürfen, einen Wolf also etwa mit Petarden verscheuchen können. Heute dürfen das in der Regel nur die Wildhüter. Bezüglich Verteidigungsabschuss sagt Droz: Es sei für sie nicht ganz klar, wie dieser in der Kommission definiert werde. Wichtig sei, dass der Abschuss durch eine abschussberechtigte Person erfolgen müsse, also durch jemanden, der unter anderem das Jagdpatent besitzt. (aargauerzeitung.ch)

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Auge in Auge mit einem Wolf
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Auge in Auge mit einem Wolf
Der «böse Blick»: Ein grosser männlicher Wolf merkt auf. Der Filmer ist unsichtbar versteckt und unter dem Wind, macht aber durch Imitation des Heulens auf sich aufmerksam. Die bersteinfarbene Iris der Wölfe war den Menschen so unheimlich, dass Hunde mit heller Iris getötet wurden.
quelle: videostill/stefano polliotto
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«Ich bin total gegen Wolfsabschüsse » – Jäger hat klare Meinung
Video: watson
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206 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Zeit_Genosse
15.08.2024 06:46registriert Februar 2014
In der Nacht, wenn ein Wolf zur Herde vordringt, wohin wird dann geschossen? Den Wolf kann man kaum erkennen. Wahrscheinlich einfach mal drauflos. Und was wird allenfalls getroffen? Wenn bewaffnete Hirten mit Abschusserlaubnis losballern, wird es besonders gefährlich. Bis zum unerlaubten Jagen und Fehlschuss auf Menschen und Tiere. Wo eine Waffe, dort ein Schuss.
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MacB
15.08.2024 06:58registriert Oktober 2015
Populismus von Graber, damit ihn seine Walliser Mitbürger als einen schätzen, der endlich was tut.
In der Sache nicht sinnvoll oder intelligent begründet.
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DasWölfchen
15.08.2024 07:13registriert April 2023
Wie wäre es, wenn man überhaupt Hirten hätte, die zu den Schafen schauen würden? Ich habe anno dazumals einen Alpsommer gemacht als Auszeit. Lohn gab es kaum, aber war eine gute Erfahrung. Es gab vor mir und nach mir keinen Hirten. Da ging irgendwer mal schauen. Mal = monatlich einmal. Aber wie böse war damals der Luchs, der von 200 Schafen 1 oder 2 riss. Jetzt ist der Wolf zurück, das ist ja naiv, Schafe alleine sömmern zu lassen.
Das Herdenschutzhundeprogramm wurde eingestellt. Auch eine Leistung von BR Rösti. Klar kommt dann Graber mit der Idee. Dort wo er herkommt, hat es noch ein Rudel.
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