Der Eurocity 98 ist ein perfekter Zug: Um 16.52 Uhr fährt er in München los, um 20.27 Uhr kommt er in Zürich an. Damit ist er sowohl für Geschäftsreisende als auch für Touristinnen und Touristen interessant. In den modernen Zügen lässt sich arbeiten oder im Speisewagen das Abendessen geniessen – und nach dreieinhalb Stunden ist das Ziel erreicht. So weit die Theorie.
In der Praxis stellt der Zug eine rollende Tortur dar. Am vergangenen Samstag schaffte er es etwa nur bis Winterthur. Am Sonntag traf er mit 33 Minuten Verspätung in Zürich ein, am Montag mit 25 Minuten, am Dienstag mit 27 Minuten, am Mittwoch mit 36 Minuten. Der EC 98 ist keine Ausnahme: Auch die anderen Züge auf dieser Strecke glänzten in den vergangenen Tagen mit Pannen, Verspätungen und Ausfällen.
Dabei hatten die SBB grosse Hoffnungen in das neue Angebot auf dieser Strecke gesetzt, die zwei Wirtschaftszentren verbindet und auf der die Nachfrage so hoch ist, dass neben dem Zug täglich bis zu 14 Fernbusse von Flixbus und Pinkbus verkehren und bis zu sechs Flüge der Lufthansa. Nachdem der deutsche Streckenteil elektrifiziert wurde, sank die Reisezeit mit der Bahn per Dezember 2021 von vier auf dreieinhalb Stunden. Seither kommen moderne Triebzüge des Typs Astoro von Alstom zum Einsatz.
Doch schon nach der Aufnahme des neuen Angebots machte die Bahn vor allem mit Verspätungen und Ausfällen auf sich aufmerksam. Die SBB gelobten Besserung: Sie setzten alles daran, die Situation so schnell wie möglich zu verbessern, sagte eine Sprecherin Anfang Jahr zu CH Media. Zwei Drittel der Züge waren damals unpünktlich. Gebracht haben die Bemühungen wenig.
Weil die Züge so unzuverlässig sind, greift die Bahn zu einem ungewöhnlichen Schritt: Sie streicht die Eurocity-Züge für gewisse Abschnitte aus den Fahrplänen. Wer von Zürich eine Verbindung an den Flughafen oder nach Winterthur sucht, findet sie nicht mehr – genauso wie in umgekehrter Richtung. SBB-Sprecherin Sabrina Schellenberg spricht von «Lenkungsmassnahmen» wegen der hohen Nachfrage und der Verspätungen.
Die SBB seien mit der Stabilität nach wie vor nicht zufrieden. Die Verspätungssituation habe sich «weder wesentlich verbessert noch verschlechtert». Die umgesetzten Massnahmen hätten bedauerlicherweise nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung geführt. Zu viele Züge erreichten ihr Ziel zu spät.
Gründe seien Baustellen, Einschränkungen der Infrastruktur in Deutschland und vereinzelt Störungen in der Fahrzeug-Neigetechnik, was zu Geschwindigkeitsreduktionen führe. Die lange Einspurstrecke und Zugskreuzungen im Allgäu machten den Betrieb «sehr anspruchsvoll». Die SBB seien nicht zufrieden und bäten die Fahrgäste um Entschuldigung. Mit der Deutschen und Österreichischen Bahn arbeite man weiterhin an Verbesserungen.
Hoffnungen auf eine schnelle Besserung dürfen sich Fahrgäste aber nicht machen. «Die Pünktlichkeit auf dieser Linie wird uns auch weiterhin beschäftigen und grosse Anstrengungen erfordern», sagt Schellenberg. Verspätungen würden im Detail analysiert, um die Verbindungen in kleinen Schritten pünktlicher zu machen.
Ein Problem ist, dass die Züge ausgebremst werden, wenn sie nur schon mit wenigen Minuten Verspätung in die Schweiz kommen. Dann müssen sie in Richtung St.Gallen und Zürich hinter einem Interregio herfahren, vor Zürich lässt sich wegen des dichten Verkehrs sowieso keine Zeit mehr aufholen. Das führt dazu, dass sich die Verspätung am Zielbahnhof Zürich meist auf fast eine halbe Stunde aufsummiert. Wer weiter reisen muss, hat dann seinen Anschlusszug verpasst.
Mit mehr Reserven lässt sich das Problem nicht lösen. Das enge Fahrplangefüge auf der Strecke lasse das ohne zusätzliche Infrastrukturmassnahmen nicht zu, sagt Schellenberg.
Die Strecke nach München ist nicht die einzige, die der Bahn Sorge bereitet. Die ICE-Züge von Deutschland über Basel in die Schweiz sind so unzuverlässig, dass seit dem 11. Dezember verschiedene Verbindungen in Basel enden statt in Zürich oder Chur (CH Media berichtete). Die Unzuverlässigkeiten kommen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Eigentlich wäre nach zweieinhalb Jahren der krisenbedingten schwachen Nachfrage der Zuspruch für internationale Bahnreisen gross.
Seit Mitte Jahr werden mehr Tickets für internationale Bahnreisen verkauft als vor der Krise. Im Oktober waren es über 15 Prozent mehr, wie Zahlen der SBB zeigen. Deutschland ist der wichtigste Markt – aber auch jener, der am meisten Probleme bereitet. (bzbasel.ch)
In Deutschland ist ein Zug, der pünktlich ist, ein kleines Wunder. Oder sie fallen gleich ganz aus.
Deutschland und die Schweiz sind in dieser Hinsicht nicht kompatibel.