März 2021. Eine Frau aus dem Bezirk Meilen holt zwei eingeschriebene Briefe bei der Post ab. Sie erwartet darin die stolze Summe von insgesamt 30'000 Franken. Doch als sie die Couverts öffnet, sind diese leer – das Geld ist verschwunden.
Die Frau zeigt den Diebstahl an. Die Polizei kombiniert: Ein Pöstler könnte der Täter sein. Interne Ermittler der Post werden eingeschaltet. Diese durchleuchten die Arbeitsabläufe und Dienstpläne der Poststelle, um den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen.
Innert weniger Wochen kommt es zu weiteren Diebstählen, wie die Zürichsee-Zeitung berichtet. 11'210 Franken verschwinden aus einem anderen Brief, gefolgt von weiteren 4200 Franken. Ein Muster wird erkennbar.
Um den mutmasslichen Täter zu entlarven, entwickeln die Ermittler eine ausgeklügelte Methode: Sie präparieren einen Brief mit 3000 Franken und Silbernitrat – einer chemischen Substanz, die bei Kontakt auf der Haut dunkle Flecken hinterlässt.
Die Falle wird platziert. Doch der Verdächtige ist vorsichtig. Er öffnet den Brief nicht. Er sortiert ihn aus – und legt ihn unter eine Kiste.
Eine Vertrauensperson beobachtet das Ganze. Später beschreibt sie das Vorgehen gegenüber der Polizei als «so was von komisch».
Zwei Wochen später wagt die Polizei einen weiteren Versuch mit einem präparierten Brief. Diesmal öffnet der Verdächtige das Couvert, lässt das Bargeld aber drin. Offenbar erkennt er die lukrative Sendung als Falle. Doch es ist zu spät.
Schalterschluss. Die Polizei und Kriminaltechniker überprüfen die drei Mitarbeitenden der Filiale. Zwei von ihnen weisen keine Auffälligkeiten auf. Doch der stellvertretende Filialleiter hat dunkle Verfärbungen an Daumen und Zeigefinger.
Chemische Tests bestätigen den Verdacht: Der 29-Jährige hat die Falle ausgelöst. Der Verdächtige wird verhaftet, vom Dienst suspendiert und später entlassen.
Der stellvertretende Filialleiter – ein 29-jähriger Mann aus dem Bezirk Horgen – wird befragt. Er gibt zu, den Brief aus «Neugier» geöffnet zu haben. Die insgesamt 43'400 Franken habe er aber nicht gestohlen, stellt er klar.
Warum hat er denn das Couvert geöffnet? Es habe ihn «einfach Wunder genommen», was darin sei, sagt der Pöstler. Ausserdem sei das Couvert «schon halb offen» gewesen. Er habe es wieder verschlossen, ohne etwas zu stehlen.
Wie es sich für die CSI Zürich Strafverfolgung gehört, wird der Lebensstil des Verdächtigen im Rahmen der Ermittlungen genauestens durchleuchtet – und dieser spricht eine deutliche Sprache. Kurz nachdem das Geld aus dem dritten Brief verschwunden war, gönnte sich der stellvertretende Filialleiter ein Luxusleben: Er flog mit seiner Freundin nach Dubai. Innerhalb von fünf Tagen gab das Paar dort rund 7600 Franken aus. Es mietete für 1000 Franken einen Lamborghini, eine Jacht für 1500 Franken und unternahm einen Helikopterflug für rund 600 Franken. Trotz bescheidenem monatlichen Nettolohn von 4200 Franken.
Die Erklärung des 29-Jährigen: Die Uhr habe er mit Gewinnen aus dem Onlinecasino und Geburtstagsgeld gekauft. Die Reise nach Dubai habe seine Freundin bezahlt. Belege für diese Behauptungen gibt es keine.
Das Bundesstrafgericht in Bellinzona entscheidet: Die Aussagen des Verdächtigen sind nicht glaubwürdig. «Schutzbehauptungen» nennt das Gericht die Erklärungen des Pöstlers. «Gemäss den allgemein bekannten Wahrscheinlichkeitsstatistiken sind bei Casinospielen die Verlustchancen erheblich grösser als die Gewinnchancen», heisst es im Urteil.
Der Richter stellt beim Beschuldigten «eine von Geldgier angetriebene, nicht unerhebliche kriminelle Energie» fest. Mit seiner Masche hat der 29-Jährige sein Einkommen um 41'000 Franken aufgebessert – um fast 75 Prozent seines Jahreslohns.
Das Gericht verurteilt ihn wegen gewerbsmässigen Diebstahls und Verletzung des Postgeheimnisses zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten sowie einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 200 Franken. Darüber hinaus muss er die 41'000 Franken zurückzahlen. Vom Vorwurf des Diebstahls der letzten 4200 Franken wird er freigesprochen.
Der Krimi ist damit gelöst – fast. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der beschuldigte Pöstler hat Berufung angemeldet.