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Korruption SBB: Wie ein Bauleiter Bestechungsgelder kassiert haben soll

Die Schweizerische Bundesbahnen AG, kurz SBB, franzoesisch Chemins de fer federaux suisses CFF, italienisch Ferrovie federali svizzere FFS, raetoromanisch Viafiers federalas svizras VFF, englisch Swis ...
Undurchsichtige Geschäfte bei den SBB.Bild: www.imago-images.de

Korruption bei den SBB: Wie ein Bauleiter Bestechungsgelder kassiert haben soll

Schon wieder erschüttert ein Kriminalfall das Vertrauen in den Staatsbetrieb. Auf den Spuren einer seltsamen Serie.
04.02.2025, 07:28
Andreas Maurer / ch media
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Heinz P. (Name geändert) ist 68 Jahre alt und hat viele Jahre als Baustellenleiter in der Immobilienabteilung der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) in Olten gearbeitet. Der Staatsbetrieb verabschiedete ihn mit Dank in den Ruhestand.

Was die SBB nicht merkten: Der Mann soll Bestechungsgelder von fast 20'000 Franken angenommen und einem befreundeten Architekten dafür Aufträge erteilt und überhöhte Honorare ausgezahlt haben.

Diesen Vorwurf erhebt die Bundesanwaltschaft gegen ihn und klagt ihn an, er habe sich bestechen lassen, sein Amt ungetreu geführt und Amtsgeheimnisse verletzt. Am Mittwoch beginnt der Prozess am Bundesstrafgericht.

Dort wird auch der Architekt Urs S. (Name geändert) erscheinen müssen, angeklagt wegen Bestechung und Gehilfenschaft zur ungetreuen Amtsführung. Dieser Beschuldigte ist 61 Jahre alt und stammt aus der Region Basel. Er ist ein angesehener Mann: Er führte einen renommierten Service-Club und besitzt ein stadtbekanntes Café. Jetzt muss er plötzlich um seinen Ruf bangen.

Und dies nur, weil er in seiner Buchhaltung mutmasslich zu ehrlich war. Denn er liess in seinem Abrechnungssystem Zahlungen auf das private Schwarzgeldkonto seines SBB-Kumpels unter der Rubrik «Provisionen» und dem Vermerk «SBB» verbuchen. Bei einer Kontrolle stiess die eidgenössische Steuerverwaltung zufällig auf diese verdächtigen Geldflüsse und erstattete Anzeige.

So kam ein langwieriges Verfahren in Gang. Die zeitlichen Dimensionen sind für Aussenstehende unglaublich: Die Justiz beurteilt nun Straftaten, die zehn Jahre und mehr zurückliegen.

«Vertraulich!!!»: Protokoll einer Vetternwirtschaft

Auch Heinz P. handelte nicht besonders klandestin, sondern verwendete für die Kommunikation seine offizielle SBB-Mailadresse. So war es den Ermittlern möglich, den Austausch der beiden Männer zu rekonstruieren. Sie besprachen dabei ihr Vorgehen.

E-Mail
Heinz P. verwendete für die Kommunikation seine offizielle SBB-Mailadresse.symbolBild: Shutterstock

Heinz P. schrieb: «Es ist schon nicht ganz einfach, bei uns Aufträge zu vergeben.» Er bezog sich auf neue Finanzvorschriften der SBB bei der Auftragserteilung.

Urs S. antwortete: «Ja ... in der Tat nicht einfach ... aber du findest bestimmt eine Lösung, dass wir hoffentlich vielleicht schon bald (?) wieder einen Auftrag für euch abwickeln dürfen!»

Heinz P. meldete sich später mit dem Betreff «Vertraulich!!!» zurück und schickte seinem Freund die Preise, welche die Konkurrenz für eine Offerte eingereicht hatte. Falls es zu einer weiteren Angebotsrunde gekommen wäre, hätte der Architekt so einen Vorteil gehabt. Doch Heinz P. konnte diesen Auftrag nicht alleine vergeben und so ging dieser an die Konkurrenz.

Der SBB-Mann schrieb dem Architekten daraufhin: «Im Moment habe ich keine weiteren Planungen offen. Ich melde mich sicher frühzeitig bei dir, sobald ich oder auch meine Kollegen etwas auf den Tisch bekommen. Bei mir bist du ja der richtige Favorit für solche Arbeiten.»

In vier Jahren führte das Architekturbüro Aufträge für 65'000 Franken für die SBB aus. Heinz P. konnte gemäss der Anklageschrift über Aufträge bis 10'000 Franken selbst entscheiden. Eigentlich gilt für die Freigabe jeder Rechnung mindestens das Vier-Augen-Prinzip. Offenbar wurde es nicht konsequent umgesetzt.

Die beiden Männer sollen mit ihrem Vorgehen nicht nur die Konkurrenz ausgestochen haben. Sie sollen auch überhöhte Honorare ausgehandelt und Arbeitsstunden, die das Büro gar nicht ausgeführt hatte, abgerechnet haben. Der Architekt soll dem SBB-Bauleiter dafür Provisionen in vier Tranchen gezahlt haben – bar auf die Hand oder per Einzahlungsschein auf ein Schwarzgeldkonto bei der Aargauer Kantonalbank.

Der Strafprozess wird für die SBB zum Imageproblem

Der mutmassliche finanzielle Schaden für die SBB ist gering. Der Fall ist für den Bahnbetrieb vor allem ein Imageproblem. Gemäss der Bundesanwaltschaft schädigte Heinz P. die öffentlichen Interessen. Denn der Fall zeige, «dass bei der SBB AG freihändige Vergaben an immer dasselbe Unternehmen problemlos möglich waren». Diese Tatsache führe bei öffentlichem Bekanntwerden dazu, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die SBB Schaden nehme.

Beide Beschuldigten streiten alle Vorwürfe ab, wollen sich vor der Verhandlung aber nicht dazu äussern. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die SBB kommunizieren so: «Nach Compliance-Fällen überprüft die SBB konsequent, ob ihre Abläufe und Kontrollen verbessert werden können.»

Dazu hatte das Bahnunternehmen in der Vergangenheit gleich mehrfach Anlass. In Erinnerung bleiben vor allem drei Fälle.

Codewort «Mangoernte»: Der Fall des Elvetino-Chefs

Wolfgang Winter leitete von 2011 bis 2017 die SBB-Tochterfirma Elvetino. Sie führt die über hundert Speisewagen und Bistros der Bahn. Zu Winters Zeiten kamen noch die 200 legendären Minibar-Wägelchen hinzu. Doch Winter zog diese am Ende seiner Amtszeit aus dem Verkehr, um Geld zu sparen.

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Wolfgang Winter, CEO der Elvetino AG, begrüsste 2013 bei einem Medienauftritt Köche, die neue Menüs kreierten.Bild: keystone

Persönlich soll Winter nach anderen Kriterien gewirtschaftet haben. Er soll einen Freund als Berater engagiert haben, der dafür überhöhte Honorare kassiert haben soll. Einen Teil des Geldes überwies dieser als Kick-back-Zahlungen zurück. In den Zahlungsaufträgen vermerkte er dafür Codewörter wie «Kartoffelernte» oder «Mangoernte». Hinzu kamen diverse weitere illegalen Geschäfte.

Die SBB-Tochter hatte keine effektiven internen Kontrollen. Deshalb merkte jahrelang niemand etwas. Erst als ein neues Geschäftsleitungsmitglied bei einer Spesenabrechnung Verdacht schöpfte, flog alles auf.

Das Zürcher Bezirksgericht verurteilte Winter im vergangenen Jahr zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Der 68-Jährige meldete Berufung an. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Porsche und Privatpool: Der Fall der drei SBB-Bauleiter

Noch grösser war das Betrugssystem eines Thurgauer Bauunternehmers. Mit drei Komplizen in der Division Infrastruktur der SBB in St.Gallen baute er ein kriminelles Netzwerk auf. Die SBB-Bauleiter speisten fiktive oder überhöhte Rechnungen ins interne Finanzsystem ein. Die Bahn verlor 3,2 Millionen Franken, ohne es zu merken.

Die Betrüger verschönerten mit dem Geld ihre Einfamilienhäuser, bauten sich einen Swimmingpool im Garten, kauften sich eine Harley-Davidson oder einen Porsche. Erst als die Baufirma verkauft wurde, flog der Betrug auf. Die Nachfolgerin entdeckte die Abrechnungen und erstattete Selbstanzeige. Die Ermittlungen dauerten zehn Jahre.

Die Betrüger kamen 2022 vor Gericht glimpflich davon. Die Bundesanwaltschaft handelte mit ihnen einen Deal aus. In einem abgekürzten Verfahren erhielten sie nur bedingte Strafen. Und sie mussten auch nur einen Bruchteil des Schadens zurückzahlen. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Scheinaufträge : Der Fall des SBB-Projektleiters

Elf Jahre lang haben die SBB nicht bemerkt, wie ein Zürcher Projektleiter öffentliche Gelder in die eigene Tasche umleitete. Er vergab 604 Aufträge an Scheinfirmen und führte die Arbeiten teilweise selbst, teilweise gar nicht aus.

Zudem arbeitete er mit drei Komplizen einer Limmattaler Elektrofirma zusammen. Er bevorzugte die Firma bei der Auftragsvergabe und handelte mit ihr überteuerte Rechnungen aus. Damit erarbeitete sich der SBB-Mann bei der Firma ein Guthaben, über das er Unterhaltungselektronik für sich beschaffte. Ausserdem finanzierte er mit dem Geld die Privatschule seiner Tochter, Handwerkerrechnungen für sein Haus oder ein Motorrad der Marke Ducati. Die SBB verloren rund 2 Millionen Franken.

Das Bundesstrafgericht verurteilte den ehemaligen SBB-Angestellten 2018 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon ein Jahr unbedingt. Bei der Urteilsverkündung sagte der Richter: «Von den SBB hätte man mehr erwarten dürfen bei der Corporate Governance.» Auch dieses Urteil ist rechtskräftig.

Expertin: «Staatsbetriebe sind anfälliger für Korruption»

Die Fälle haben ein Muster. Die Täter sind ältere Schweizer Herren mit Vornamen wie Heinz und Urs. In den bisherigen Gerichtsverhandlungen entstand manchmal der Eindruck von Männern mit zwei Gesichtern. Einerseits engagierten sie sich für ihren Betrieb und identifizierten sich auch damit. Andererseits waren sie von einem Gefühl der Grossartigkeit beseelt und glaubten deshalb, dass ihnen mehr zustehe als anderen. Sie bereicherten sich, weil es offenbar einfach möglich war.

Die SBB haben allerdings 35'000 Angestellte und sind somit auch ein Abbild der Gesellschaft. Das relativiert die Zahl der Korruptionsfälle. Jeder Fall offenbart jedoch ein Kontrollversagen.

Katja Gloor kommt aus der Privatwirtschaft – sie war Compliance-Chefin bei Siemens Schweiz – und leitet heute die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International Schweiz.

Katja Gloor, Geschäftsleiterin von Transparency International Schweiz.
Katja Gloor, Geschäftsleiterin von Transparency International Schweiz.Bild: zvg

Sie sagt: «Staatsbetriebe hinkten lange den privaten Unternehmen bei der Umsetzung von Compliance-Systemen und Kontrollen hinterher. Inzwischen haben die Staatsbetriebe hier stark aufgeholt.» Dennoch seien sie anfälliger für Korruption, weil sich die Macht bei einzelnen Personen konzentrieren könne.

Die Schweiz gehört in Vergleichsstudien zwar zu den Ländern mit der tiefsten Korruption. Doch Katja Gloor sagt: «In der Schweiz beobachten wir im öffentlichen Sektor nach wie vor das Phänomen der Vetternwirtschaft, gepaart mit Interessenkonflikten.»

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Chäsbrot II.
04.02.2025 08:34registriert Januar 2024
Zu Fall 2: 3.2 Mio. Schaden verursachen, bedingte Strafen und nur einen Teil zurückzahlen müssen? Wo ist da die Strafe?
Man lerne: Wenn kriminell, dann richtig und im grossen Stil in der Finanzen stehlen. Oder nach B. Brecht: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«
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