Wer nach einem acht Jahre andauernden Kampf noch immer nichts erreicht hat, gibt sich allmählich geschlagen? Mitnichten! SP-Nationalrat Carlo Sommaruga nimmt im Streit um die Namensgebung des «Agassizhorns» noch einmal Anlauf: In den kommenden Tagen wird er eine Interpellation einreichen, in der er noch einmal fordert, dass der Berg in «Rentyhorn» umbenannt wird.
Der Grund: Bei dem bisherigen Namensgeber des Berges, Louis Agassiz (1807-1873), handelt es sich um einen Schweizer Natur- und Gletscherforscher mit einem mehr als zweifelhaften Ruf. Denn er war gleichzeitig auch Rassentheoretiker und gilt in gewissen Kreisen als Vater des wissenschaftlichen Rassismus.
In «Rentyhorn» soll der Berg aus dem folgenden Grund umbenannt werden: Renty hiess der Sklave kongolesischer Herkunft, den Agassiz in den 1850er-Jahren auf einer Plantage in South Carolina fotografieren liess, um die «Minderwertigkeit der schwarzen Rasse» zu belegen.
Das Agassizhorn befindet sich in den Berner Alpen und erstreckt sich über die drei Gemeinden Grindelwald BE, Guttannen BE sowie Fieschertal VS. Im Jahr 1840 wird der Gipfel nach Agassiz benannt, als dieser zu Forschungszwecken in den Berner Alpen unterwegs ist.
Den Anstoss für die Debatte der Umbenennung liefert der St.Galler Historiker Hans Fässler im Jahr 2005 mit der Herausgabe seines Buches «Reise in Schwarz-Weiss». In dem Werk, in dem es um die Verstrickung Schweizer Firmen und Persönlichkeiten in die Sklaverei geht, widmet er ein gesamtes Kapitel dem Wissenschaftler Louis Agassiz. Ein Jahr später wird das Buch ins Französische übersetzt.
«Agassiz war ein bedeutender Rassist und früher Vordenker der Apartheid», erklärt der Historiker im Gespräch mit watson, und weiter: «Als das Thema in der Westschweiz überhaupt nicht aufgegriffen und kein Wort darüber geschrieben wurde, habe ich mich sehr geärgert.» Darum lanciert Fässler Ende Mai 2007 – anlässlich des 200. Geburtstags von Agassiz – die Kampagne «Démonter Louis Agassiz» mit dem Ziel, den Berg umbenennen zu lassen.
Auf politischer Seite erhält Fässler Unterstützung von SP-Nationalrat Carlo Sommaruga. Dieser reichte noch im selben Jahr eine Interpellation ein unter dem Titel «Louis Agassiz vom Sockel holen und dem Sklaven Renty die Würde zurückgeben». In der Antwort des Bundesrates heisst es jedoch, der Bund sei für die Be- oder Umbenennung von Berggipfeln oder anderen geografischen Objekten nicht zuständig.
Ansprechpartner seien die Kantone und betroffenen Gemeinden. Die «Höchste Spitze» im Monte-Rosa-Massiv, die im Jahr 1863 auf Initiative des damaligen Bundesrates innert gerade mal vier Tagen in «Dufourspitze» umbenannt worden war, sei nur eine «Ausnahme» gewesen, so der Bundesrat.
Also tritt Fässler mit seiner Kampagne an die betroffenen Gemeinden heran. Dort beisst er jedoch auf Granit: Grindelwald, Guttannen und Fieschertal wollen an dem alten Namen festhalten. «Man habe ja gesehen, was es für Scherereien gibt, wenn man einen Ort nach einer Person benennt. Würde man den Gipfel jetzt umbenennen, hätte man dasselbe Problem vielleicht in ein paar Jahren wieder», so lautete eines der Argumente, erzählt Fässler.
Dieses Problem hält der Historiker jedoch für unsinnig: «Über Renty weiss man ja überhaupt nichts, er war schlicht ein armer Sklave. Es würde kaum einen Grund geben, den Namen ein zweites Mal zu ändern.» Eine weiteres Argument der Gemeinden lautete: zu teuer und zu aufwendig.
Auch dieses entkräftet der Historiker: «Ich habe mich inzwischen mit einem Landestopografen unterhalten. Das Ganze wäre eine Sache von fünf Minuten. Der Name muss bloss in einer digitalen Karte abgeändert werden. Alle Karten, die fortan gedruckt werden, enthalten dann den neuen Namen.» Es sei auch nicht so, dass der Berg auf zahlreichen Postkarten abgedruckt ist – die dann sozusagen ungültig wären.
Weitere Unterstützung erhält Fässler von der schweizerisch-haitianischen Künstlerin Sasha Huber. Als Mitglied des 16-köpfigen Komitées «Démonter Louis Agassiz» lanciert sie damals eine Online-Petition, die schon nach kurzer Zeit mehr als 2000 Mal unterzeichnet wird. Die Gemeinden lassen sich dennoch nicht umstimmen.
«Auch unsere Alternativvorschläge wurden allesamt schroff abgewiesen», erinnert sich Fässler. Unter anderem hatte man angeregt, man könnte einen anderen – bisher namenlosen – Gipfel, der sich gleich gegenüber des Agassizhorns befindet, Rentyhorn taufen.
Am 21. August 2008 nimmt die Künstlerin die Sache also selbst in die Hand: Mit einer «Rentyhorn»-Gedenktafel ausgerüstet lässt sie sich von einem Helikopter auf das Agassizhorn bringen. Indem sie die Tafel mit dem Bild des Sklaven in 3946 Metern Höhe an der Grenze zwischen den Kantonen Bern und Wallis platziert, will sie den Berg symbolisch umbenennen. Die Aktion wird für eine ihrer Ausstellungen dokumentiert – die Tafel anschliessend wieder entfernt. Denn auch diese Aktion stösst bei den Gemeinden auf wenig Gegenliebe.
Trotz der zahlreichen gescheiterten Versuche, lässt das Thema den Beteiligten keine Ruhe. Sowohl Fässler als auch Huber organisieren weiterhin Ausstellungen, in denen es darum geht, die «dunkle Seite» des Schweizer Forschers Louis Agassiz ans Tageslicht zu bringen.
Während die Künstlerin mit ihrer Ausstellung unter anderem in Neuseeland unterwegs ist – denn auf der Welt gibt es noch zahlreiche weitere Orte, die nach Agassiz benannt sind –, präsentiert der Historiker entsprechende Werke in der Schweiz.
Doch nun rückt das Thema erneut in den Fokus politischer Diskussionen. Grund dafür ist die Tatsache, dass die «Ostspitze» im Monte-Rosa-Massiv im Jahr 2014 auf Initiative von Bundesrat Didier Burkhalter innert drei Wochen in «Dunantspitze» umbenannt wurde.
Nationalrat Carlo Sommaruga nimmt dies zum Anlass, um einen erneuten Angriff in der Streitsache «Agassizhorn» zu starten. In seiner Interpellation, in die watson vorab Einsicht hatte, möchte er vom Bundesrat wissen, wie diese gerade realisierte Umbenennung bezeichnet werden sollte: «Als ‹wiederholte Ausnahme›, als ‹Sonderfall› oder doch als ‹Präzedenzfall›?» Ausserdem stellt Sommaruga in seiner Interpellation folgende Frage:
Des Weiteren gibt Sommaruga zu bedenken, dass der Berg niemals zu Ehren Agassiz so genannt worden sei, sondern der Wissenschaftler selbst den Berg im Jahr 1840 so getauft habe. Angesichts der Fakten, die seither ans Licht getreten sind, und der Tatsache, dass andere Berge in der Zwischenzeit problemlos umbenannt werden konnten, hält es Sommaruga nur für angebracht, der Umbenennung des Agassizhorns zuzustimmen.
Carlo Sommaruga wird die Interpellation im Laufe dieser Woche einreichen. Dann geht der Gipfelstreit in die nächste Runde.
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Falls der Berg tatsächlich eines Tages umbenannt werden sollte, hat die Schweiz einen unglaublichen und gewaltigen Schritt gegen den Weltumspannenden Rassismus geschafft. Grossartig!
Frau Huber: Bitte nachdenken, ob es nicht etwas anders zu tun gibt, was der Menschheit eher weiter hilft, als sich selber in Szene setzen mit lächerlich blöden Ideen und Taten.