Im letzten August hat der «Beobachter» über einen Missbrauchsfall im Bistum Basel berichtet. Ein Mädchen im Teenageralter wurde zwischen 1995 und 1998 mutmasslich mehrfach sexuell missbraucht durch einen Aushilfspriester aus Nigeria. Die Zeitschrift warf Gmür unter anderem vor, er habe die Meldepflicht ignoriert, sei mit Dokumenten fragwürdig umgegangen und habe das Berufsgeheimnis verletzt. Das Bistum Basel räumte in einer Medienmitteilung Versäumnisse ein.
Jetzt hat der Bischof aufgrund des Missmanagements bei diesem Missbrauchsfall eine Mahnung aus Rom erhalten, wie das Bistum Basel am Dienstag mitteilte. Das Dikasterium für Bischöfe im Vatikan hat zwei Verfahrensfehler festgestellt. Gmür habe zwar das zuständige Bistum in Nigeria über den Fall informiert. Es sei aber «nicht ratsam» gewesen, ihm die gesamte Dokumentation des Falles weiterzugeben.
Der Bischof verpasste es dadurch, sicherzustellen, dass sie nicht in den Besitz des Beschuldigten gelangen. Es ging dabei um intime Dokumente wie Tagebücher des mutmasslichen Opfers. Laut dem «Beobachter» kam der angeschuldigte Priester wegen der Dokumentation zudem in Besitz der aktuellen Telefonnummer und der E-Mail-Adresse des mutmasslichen Opfers. Der zweite Fehler: Gmür informierte Rom zu spät über die Anschuldigungen gegen den Priester.
Das Dikasterium für Glaubenslehre sprach gegen Gmür deshalb eine Mahnung aus wegen mangelnder Vorsicht im Umgang mit der Dokumentation und wegen Unachtsamkeit im zweiten Punkt. Gleichzeitig fand das Dikasterium keine Anhaltspunkte, dass Gmür die Geschichte absichtlich habe vertuschen wollen oder dass er dem mutmasslichen Opfer zu wenig Respekt entgegenbringe.
Die Mahnung hat für Gmür keine unmittelbaren Konsequenzen. Es handelt sich um eine Aufforderung, derartige Fehler in Zukunft zu vermeiden. Der Gerügte gelobt Besserung: «Ich setze alles daran, dass sich Verfahrensfehler, die insbesondere den Betroffenen Schaden zufügen, durch die heute geltenden Verfahrensbestimmungen und die standardisierten, unabhängigen Bearbeitungen der Meldungen nicht wiederholen», wird Gmür in der Medienmitteilung zitiert.
Medial breit thematisiert wurde das Thema Missbrauch in der katholischen Kirche vor allem ab dem 12. September letzten Jahres. Die Universität Zürich stellte an diesem Tag die Ergebnisse einer Pilotstudie im Auftrag der Bischöfe, der Landeskirchen und der Schweizer Orden vor. Die Forscherinnen und Forscher dokumentierten mehr als 1000 Fälle von sexuellen Übergriffen von 1950 bis heute. In der Folge hagelte es Kirchenaustritte.
Die grosse Publizität hat offenbar auch viele mutmassliche Opfer dazu ermuntert, ihre Erlebnisse den Meldestellen der Bistümer mitzuteilen. Allein beim Bistum Basel sind im letzten halben Jahr 92 neue Meldungen eingegangen. Damit ist die Zahl der Meldungen in der 13-jährigen Amtszeit von Bischof Felix Gmür auf 183 angestiegen. 78 der 92 neu signalisierten Vorfälle sind verjährt. In einem mutmasslich unverjährten Übergriff ermittelt die Staatsanwaltschaft. Zum grössten Teil passierten die sexuellen Übergriffe im letzten Jahrhundert, wie das Bistum am Dienstag mitteilte.
Nicht nur der sprunghafte Anstieg der Meldungen seit dem letzten September lässt aufhorchen. Auffallend ist auch, dass in 58 von 92 Fällen mutmasslich Kinder Opfer waren. Zwei der 58 Fälle passierten in diesem Jahrhundert. In 20 Fällen in dieser Deliktskategorie geht es um Berühren nackter oder bekleideter Körperteile, bei 22 Meldungen fehlen detaillierte Informationen.
Elfmal stehen sexuell motivierte Gesten oder Äusserungen im Vordergrund. In fünf Fällen geht es um Oral-, Anal- oder Geschlechtsverkehr. Die Mehrheit der Betroffenen sei minderjährig und männlich, die beschuldigten Personen zur Hauptsache erwachsene Männer, die allermeisten Priester, Diakone und Ordensleute.