Ist es wirklich bald so weit? Die Verhandlungen über die Zukunft des bilateralen Wegs zwischen der Schweiz und der EU sollen kurz vor dem Abschluss stehen. Bis Ende des Jahres werde eine Einigung erzielt, liessen diese Woche gewisse Kreise aus Bern und Brüssel verlauten.
Was für einige nach einer grossen Chance tönt, betrachten andere als Gefahr. Für sie geht es nicht nur um die Beziehung zur EU, sondern vielmehr um die Souveränität der Schweiz.
Über die offenen Fragen zu den Verhandlungen und was danach passieren könnte debattierten in der «Arena» folgende Gäste:
Eine Aufwärmrunde brauchte es in dieser «Arena» nicht. Die Zuschauer merkten am Freitagabend bereits in den ersten Sendeminuten, wie emotional die Debatten in Bundesbern über die Beziehung zur EU geführt werden.
So stellte die Zürcher GLP-Ständerätin Tiana Angelina Moser schnell klar, dass es bei den Verhandlungen um nichts weniger als um die «Stabilisierung der Beziehung zu unserem engsten Partner» gehe. Sollten die Verhandlungen scheitern oder die Bevölkerung Nein sagen, sieht Moser schwarz: «Dann wird es die Bilateralen nicht mehr geben.» Als Option blieben dann nur noch ein EWR-Beitritt oder ein Freihandelsabkommen, was praktisch ein «Brexit auf Raten» sei.
Für den Zürcher SVP-Nationalrat Thomas Matter ist dieses Argument Unsinn. Die Schweiz sei noch nie Mitglied der EU gewesen, betont er. Gleichzeitig habe kein anderes Land vergleichbare Verträge zu anderen Ländern oder einem Staatenbund wie die Schweiz zur EU. Er sagt: «Die EU will ein Rahmenabkommen. Einen Vertrag, der nicht auf Augenhöhe ist. Wir müssten ihr Recht übernehmen und dafür sogar noch Milliarden bezahlen. Da muss einer ein Vollidiot sein, der so einem Verhältnis zusagt.»
Die Angst vor «fremden Richtern» treibt die SVP schon länger um. Alles nur «Lügen», erklärt Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter:
Es sei ein Schiedsgericht, das «paritätisch», also bei dem auch die Schweiz eine gleichmässige Stimme erhalte, zusammengesetzt sei. Schlussendlich sei es ein «Stabilisierungspaket», zu dem es keine Alternativen gebe, sagt sie.
Als «Demokratie-unwürdig» bezeichnet Matter die Ausführungen der Mitte-Politikerin. Er betont, dass eine dynamische Rechtsübernahme nichts anderes bedeute, als wenn man das (EU-)Recht nicht übernehme, es Sanktionen gebe. «Was ist das für eine Partnerschaft?» Ohne auf die Sanktionen einzugehen, sagt Schneider-Schneiter, dass das «Schweizer Stimmvolk zu allem Ja oder Nein sagen kann–» – «Mit einer Pistole an der Stirn», unterbricht sie Thomas Matter.
Die zwei Politiker gerieten auch später noch einmal aneinander, als Schneider-Schneiter sagte, die SVP würde generell nichts zustimmen, was man in den EU-Verhandlungen erreichte. Auf Nachfrage von Moderator Sandro Brotz, ob es ihm die Stimme verschlagen habe, sagte Thomas Matter: «Ich habe überlegt zu gehen.» Doch anstatt die Sendung zu verlassen, betonte Matter sein Argument mit den Sanktionen bei der dynamischen Rechtsübernahme und fügte an: «Wenn die EU sagt, die Bilateralen seien am Ende, müssen die zwei Frauen nicht von Bilateralen reden.»
Nebst der Rechtsübernahme sorgen bei den Verhandlungen mit der EU auch Schutzklauseln in der Personenfreizügigkeit für Gesprächsstoff. So hatte die EU den Schweizer Forderungen nach einer harten «Notbremse» bei der Zuwanderung eine Absage erteilt, da die Schweiz bereits Ausnahmen von der Personenfreizügigkeit habe, welche selbst EU-Mitglieder nicht hätten.
Für Ständerätin Tiana Moser stellt das kein Hindernis dar. Sie würde einen Vertrag mit der EU auch ohne Schutzklauseln in der Personenfreizügigkeit unterschreiben. Denn die Fortsetzung der Bilateralen wäre ein genug «grosser Schritt». Dem pflichtet auch Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter bei. Und überraschenderweise gesellt sich zu den beiden Politikerinnen auch SVP-Nationalrat Thomas Matter, dem die «Schutzklauseln egal» sind. Aber einzig, weil alles andere sowieso nur eine «Alibiübung» wäre.
Stattdessen geht die SVP mit der «Nachhaltigkeits-Initiative – Keine 10-Millionen-Schweiz» ihren eigenen Weg. Eine Annahme dieser Initiative würde nicht nur eine Kündigung der Personenfreizügigkeit nach sich ziehen, sondern von den gesamten Bilateralen, warnen Kritiker. Thomas Matter verteidigt das Vorhaben jedoch: «Wir wollen die Zuwanderung selber von einem volkswirtschaftlichen Aspekt aus steuern.» Es könne nicht so weitergehen wie in den letzten 20 Jahren seit der Einführung der Personenfreizügigkeit. Besonders stört ihn, dass «die meisten (Menschen), die kommen, nicht arbeiten» würden.
Tiana Moser widerspricht dem vehement. «Durch die Personenfreizügigkeit können nur Menschen in die Schweiz kommen, die einen Job haben, das ändert sich auch mit dem neuen Paket nicht, sollte es zustande kommen.» Wer keine Anstellung habe, müsse die Schweiz wieder verlassen. Es sei de facto eine «gesteuerte Zuwanderung der Wirtschaft». Zudem gebe es andere Methoden, um die Zuwanderung zu dämpfen, etwa eine stärkere Aktivierung des inländischen Arbeitskräftepotenzials, betont Moser.
Die Mitte und die GLP müssen sich bei der EU-Debatte aber nicht nur mit der sich querstellenden SVP herumschlagen, auch die SP kommt ohne Zusage für ihre Sonderwünsche nicht an den Verhandlungstisch.
Der Luzerner SP-Nationalrat und Syndicom-Gewerkschafter David Roth stellt sich zwar gegen die Haltung der SVP, so zu tun, als «ob wir im Ritt in die Vorhölle wären». Doch er betont, dass die Gewerkschaften und auch die SP zuerst schauen müssen, ob das neue Paket «ein Gewinn für die Schweizer Bevölkerung» sei. Konkret befürchtet er eine Verschlechterung bei den Gesamtarbeitsverträgen und beim Lohnschutz. «Es sind Dinge wie 17-Stunden-Arbeitstage. Wenn das alles nicht vom Tisch ist, werden Sie die Menschen nicht überzeugen können», sagt er gerichtet an Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter.
Diese holt gleich zu einem Rundumschlag aus: «Wir haben rechts die SVP, die ihre EU-Feindlichkeit an den Mann bringt. Und wir haben links die Gewerkschaften, die in der Diskussion versuchen, möglichst viel für ihre Position herauszuholen.»
Schneider-Schneiter betont, dass «die Bilateralen im Zentrum stehen» sollten und sagt dann: «Rechts und Links mit ihren verhärteten Positionen verhindern aus unterschiedlichen Gründen immer wieder den Wohlstand in unserem Land.»
Es scheint bei all diesen eingefahrenen Meinungen fast schon unausweichlich, dass das letzte Wort das Stimmvolk haben wird. So kündigt Thomas Matter auch in der «Arena» an, dass die SVP «selbstverständlich» das Referendum ergreifen würde, sollten die Verhandlungen mit der EU erfolgreich verlaufen. Was danach kommen würde, wäre laut dem Nationalrat «eine der wichtigsten Abstimmungen der Zukunft».
Noch dazu braucht es aus seiner Sicht keine Schutzklausel mehr. Und das Argument, dass man angeblich als EU Bürger ohne Arbeit in die Sozialsysteme einwandern kann, ist auch längst widerlegt.
Damit sind alle Verweigerungsargumente der Sünnelipartei nun definitiv obsolet.
Lasst uns also jetzt endlich die EU Verträge abschliessen. Sie sind vor allem zu unserem eigenen Vorteil.