Tritt ein Bundesratsmitglied zurück, so folgt die öffentliche Debatte einem ungeschriebenen Drehbuch: Die Arbeit der abtretenden Magistratin wird gewürdigt, erste Namen für die Nachfolge werden in den Raum geworfen, was dann kindlich «Karussell» genannt wird. Und irgendwann kommt ein weiteres Schlagwort hinzu: allfällige «Departementsrochaden».
Dieses Drehbuch wurde diese Woche im Schnellzugstempo abgearbeitet, nachdem mit SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga ein zweites Regierungsmitglied den Rücktritt per Ende Jahr bekannt gegeben hatte. Diesem Thema widmete sich auch die SRF-«Arena» am Freitag.
Eingeladen wurden dazu die Spitzenpolitikerinnen und -politiker aller grossen Parteien. Sie hätten zur Frage «Mit welchem Bundesrat durch die Krise?» diskutieren sollen, was aber nicht so einfach war: Bis zur Wahl am 7. Dezember dauert es noch lange und noch länger dauern wird es, bis klar wird, wer welches Bundesratsdepartement erhält.
Die Debatte wurde deshalb eher oberflächlich geführt und betraf in erster Linie allgemeine Fragen der schweizerischen Bundesratswahl. So etwa am Anfang der Sendung, als es um die Frauenfrage ging. Wir erinnern uns: Die SP-Parteileitung gab nach Sommarugas Rücktritt bekannt, dass eine Nomination von zwei Frauen angestrebt wird. Die Sozialdemokratie will so ihre gemischtgeschlechtliche Vertretung im Bundesrat beibehalten.
Die bürgerlichen Gäste in der «Arena» versuchten dies zu kritisieren, nachdem einzelne Medien eine ungewöhnlich scharfe Kampagne («Sexismus») gegen das Zweierticket hochfuhren. FDP-Nationalrat Andrea Caroni stellte dies als mögliche Gefahr für eine regionale Ausgewogenheit des Bundesrats dar und warf der SP eine «fetischartige Fixierung» vor. Mitte-Politikerin Marianne Binder betonte zudem: «Frausein allein ist kein Programm.»
Ihr Gegenpart war die Baselbieter SP-Nationalrätin Samira Marti, die gleich mehrfach solche Kritik abwehren musste. Erschwerend kam hinzu, dass der überparteilich beliebte SP-Ständerat Daniel Jositsch die angestrebte weibliche Nachfolge «diskriminierend» nannte und Spekulationen über eine «wilde» Bundesratskandidatur anfeuerte.
Martis Erwiderung darauf bestand aus einer Lobeshymne an Jositsch («ein ausserordentlich guter Politiker») und einer Art Resignation: «In jeder Partei gibt es mehr geeignete Kandidaten als Bundesratssitze. Da werden nie alle glücklich sein.» Sie nannte dazu auch eine Zahl: 174 Jahre lang habe es im Bundesrat eine Männermehrheit gegeben – nur in einem Jahr sei es eine Frauenmehrheit gewesen.
Den SVP-Präsidenten Marco Chiesa interessierte das alles nicht. Er schimpfte den weiblichen Zweierticket-Vorschlag der SP-Spitze als «Gender-Politik» und sagte: «Ich kann nicht verstehen, warum so ein guter Ständerat [wie Daniel Jositsch] nicht auf der Nominationsliste der SP stehen darf.» Jositsch werden diese Worte aber wenig bringen. Chiesa betonte in der Sendung, dass seine Partei «die Entscheidung der SP respektieren» werde. Das bedeute konkret: Die SVP werde die SP-Nomination nicht sabotieren und keine «wilden oder Sprengkandidaten» wählen.
Damit war der erste Teil der Debatte beendet. Im zweiten Kapitel ging es um das Dauerthema «Zauberformel». An dieser Stelle ein bisschen Staatskunde: Die Schweizer Regierung wird seit über 60 Jahren so gewählt, dass die grössten Parteien anteilsmässig im siebenköpfigen Bundesrat vertreten sind. Klingt einfach, ist es aber nicht, weil sieben Sitze sich nicht ideal auf vier, fünf oder gar sechs grosse Parteien verteilen lassen können.
Historisch gesehen ist das eigentlich wurst: Die Bundesratswahl hängte immer davon ab, was die Positionen der Parteien und ihrer Kandidaten waren. Sprich: Die Zauberformel (2:2:2:1 – die drei grössten Parteien erhalten zwei Sitze, die viertgrösste Partei nur einen) entstand nicht aus rechnerischen Gründen, sondern weil bestimmte politische Kräfte eingebunden werden wollten und andere nicht.
Das ärgerte die Grünen-Ständerätin Mazzone. Sie kritisierte die «Übervertretung der FDP», was wiederum Caroni nicht passte. Er warf eigene Zahlen in den Raum, Mazzone lieferte andere und brachte damit auch die Mitte-Politikerin Binder in Bedrängnis, weil ihre die Mitte 2019 schlechtere Wahlresultate hatte als die bundesratslosen Grünen.
Die Kritik an der Unter- oder Übervertretung hätte zu einer grundsätzlichen Debatte etwa über die Bundesratsgrösse oder die Ausgestaltung der Konkordanz führen können. Was eigentlich gut zur Sendungsfrage «Mit welchem Bundesrat durch die Krise?» gepasst hätte. Sie verhallten aber in der Personifizierung der Bundesratswahldebatte.
Es wurde spekuliert, ob nun Berset, Keller-Sutter, oder sonst jemand in ein anderes Departement wechseln könnte. Den Weg zurück zur eigentlichen Frage fand die Runde einzig im Zusammenhang mit der SVP: Ihr Parteichef Chiesa konnte den «Kronfavorit Albert Rösti» fürs Umwelt- und Verkehrsdepartement (Uvek) bewerben – ein eher unwahrscheinliches Szenario angesichts Röstis Erdöl-Lobbyismus. Die Linke liess sich davon aber provozieren und erinnerte an die zahlreichen Klimakrisenleugner innerhalb der SVP.
Andere Departemente (Finanzen, Aussenpolitik) wurden gestreift, nicht aber im Zusammenhang allfälliger Anforderungen an die zwei neuen Bundesrätinnen und Bundesräte. Diskutiert wurde stattdessen darüber, ob die amtierenden Regierungsmitglieder noch glücklich in ihren Departementen sind und wie gut sie ihre Arbeit machen.
Das mündete gegen Sendungsende in einem klassischen, innenpolitischen Streit. Beispielhaft hierfür war der verbale Schlagabtausch zwischen Marti und Chiesa: Sie erklärte im Schnelldurchgang das sozialdemokratische Wahlprogramm, er ging gar nicht darauf ein und brachte das Totschlagargument mit dem EU-Beitritt.
Den politisch verorteten Zuschauerinnen und Zuschauern dürften solche Szenen gefallen haben. Klar ist aber, dass die Landesregierung eine andere Rolle haben wird, als dies in der «Arena» dargestellt wurde: Sie wird Krisen bewältigen müssen – und zwar gemeinsam, auch wenn Pandemie und Ukrainekrieg zu teilweise öffentlichen Fehden geführt haben.
Ein Schüler fasste dies so zusammen: «Jeder Bundesrat sollte das Kollegialitätsprinzip respektieren, Kompromisse mit den anderen Parteien und Bundesräten eingehen können, um das Beste für die Schweiz zu entscheiden.» Der Jugendliche gab zwar zu, dass er heute nicht wisse, ob das so gelebt werde. «Man müsste ins Bundesratszimmer schauen können», so seine Feststellung. Er blieb aber optimistisch: «Ich glaube schon, dass das momentan so ist.»