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Zürcher Schulbesetzung der Klimajugend «Erde brennt» sorgt für Aufsehen

Video: watson

Die Klimajugend besetzt eine Schule und alle applaudieren – die Kritiker sind versteckt

Die Klimajugend sorgt mit Schulbesetzungen für Aufsehen. Nach Basel wurde sie nun auch in Zürich aktiv. watson war bei der Besetzung einer Kantonsschule dabei, wo sich nicht alle über die Aktion freuten.
08.02.2023, 05:1908.02.2023, 12:52
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Eigentlich hätte es ein ganz normaler Unterrichtstag an der Zürcher Kantonsschule Enge werden sollen. Bis frühmorgens die Klimajugend die Türschwelle übertritt, ausgerüstet mit Megafon und metergrossen Plakaten mit der Aufschrift «Schulbesetzung». Klare Ansage.

Klimaaktivisten fallen mit ihren Protesten vermehrt auf. Auf den Strassen kleben sie sich fest, in Museen bewerfen sie Kunstwerke und neu besetzen sie Schulhäuser, um ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen: der Klimakrise.

Nach einer Schulbesetzung vergangenen Freitag in Basel war nun am Dienstag die Stadt Zürich an der Reihe – mit der Besetzung der Kantonsschule Enge. watson war vor Ort, um mit Aktivisten, Gymnasiasten, Lehrpersonen und anderen darüber zu sprechen, was sie zur Aktion sagen.

Kollektiv «Erde brennt»

Organisiert wurde die Schulbesetzung von Aktivistinnen und Aktivisten der «Letzten Generation» des Kollektivs «Erde brennt» – einem Schweizer Ableger der internationalen Bewegung «End Fossil». Hierzulande sind vor allem Jugendliche, mehrheitlich Gymnasiasten zwischen 15 und 18 Jahren, dabei.

Zwei von ihnen erklärten nach der «Übernahme» der Kantonsschule Enge den Schülerinnen und Schülern, warum diese Aktion bei ihnen stattfindet. Und was sich im Schweizer Bildungssystem ändern muss.

Sie fordern «Gegenwartslektionen», in denen man mehr über Krisen und Aktuelles lerne. Sie fordern einheitliche und schweizweite Klimakursmodule. Und sie fordern mehr psychologische Betreuung und mehr Freiheiten im Absenzen-System. Alle im Klassenzimmer applaudieren.

Schulbesetzung Kantonsschule Enge Klimajugend Erde Brennt
Erhalten Zustimmung für ihre Forderungen: Kollektiv «Erde brennt». Bild: watson

Nach ihrer Eröffnungsrede sind die zwei Klimaaktivistinnen sichtlich motiviert. «Es war cool und es hat mehr interessierte Leute hier als gedacht», sagt eine von ihnen zu watson.

Auch ihre Kollegin ist sicher: «Ich glaube, kein einziger Schüler stört sich daran, dass der Tag heute etwas anders ist als sonst.» Beide von ihnen mussten den Tag in ihrer eigenen Schule «schwänzen», um an der Schulbesetzung in der Enge teilzunehmen.

Ebenfalls Mitglied des Kollektivs ist die 17-jährige Nora. Auch sie fehlt in ihrer Schule, um an diesem Dienstag bei der Besetzung dabei sein zu können. Wie freundlich man in der Enge empfangen wird, hätte die Aktivistin nicht gedacht. «Ich habe definitiv keinen Applaus erwartet, aber auch nicht, dass sie uns alle wieder herauswerfen», sagt sie.

Angesprochen darauf, ob man die Demo in die Schulen bringen müsse, weil keine Schüler mehr an Demos gehen würden, sagt sie: «Wir haben hier eine neue Art von Aktivismus gemacht, da sich mit den Demonstrationen auf den Strassen nicht sehr viel veränderte. Wir hoffen, dass wir so mehr erreichen.»

Schulbesetzung Kantonsschule Enge Klimajugend Erde Brennt
Kollektiv-«Erde brennt»-Mitglied Nora: «Keinen Applaus erwartet.»Bild: watson

Rektor Moritz Spillmann

Viel zu tun hatte während der Besetzung der Rektor der Kantonsschule Enge, Moritz Spillmann. Er glaubt, dass die Aktivisten ihren inhaltlichen Punkt hätten setzen können. Aber: «Wir haben niemanden eingeladen und möchten auch keine Schule sein, die jeden Monat besetzt wird.» Einer Debatte und Diskussion müsse man sich stellen. Dies sei auch bei anderen Gruppierungen der Fall – «solange dies auf einer Ebene der Rechtsstaatlichkeit passiert», sagt er.

Als Bildungsinstitution stehe bei ihnen klar die Bildung im Vordergrund. Sollte diese aber wiederholt gestört werden, wäre es ein fragwürdiges Zeichen, meint er. Für den Rektor ist deshalb klar, dass keine Schulstunden wegen der Schulbesetzung ausfallen: «Es gilt, dass die Schülerinnen und Schüler die Lektionen besuchen müssen, der Besuch eines Workshops in einem «besetzten» Klassenzimmer führt zu einem Absenzeneintrag».

Schulbesetzung Kantonsschule Enge Klimajugend Erde Brennt
Volles Programm der Aktivisten – doch Gymnasiasten der Kantonsschule Enge, die daran teilnehmen, riskieren einen Absenzeneintrag.Bild: watson

Für die Forderungen der Klimaaktivisten hat Spillmann zwar «gewisses Verständnis». Doch gleicher Meinung ist der Rektor der Kantonsschule Enge nicht. «Wir hatten in den letzten Jahren einige Errungenschaften und Veränderungen in den Schulen. Meine Kritik an die Aktivisten ist, dass wenn man etwas verändern will, ist es am effektivsten, das direkt in den betreffenden Schulen zu machen». Nur auf politisch-aktivistische Veranstaltungen zu setzen, bringe wenig.

Queerfeministin Anna Rosenwasser

Ebenfalls vor Ort war die Zürcher Aktivistin Anna Rosenwasser. Sie leitete ein queerfeministisches Plenum. «Wir diskutierten darüber, was Jugendliche beschäftigt und welche Antwortmöglichkeiten sie haben», sagt sie zu watson.

Viele der Gymnasiasten wünschen sich beispielsweise, dass Geschlechtsidentitäten mehr zum Thema im Unterricht gemacht würden. Vorbildlich sei die Kantonsschule bereits mit den Unisex-WCs. «Es ist ein Weg, wie Schulen ihren Schülerinnen und Schülern gerechter werden können», sagt sie. Rosenwasser findet zudem, dass die Aktivisten von «Erde brennt» den Nerv der Zeit treffen.

«Wenn so viele Schüler alarmiert sind, dass sie eine Schule stören, sie besetzen, um ihr Anliegen zum Thema zu machen – dann sollte das uns alle auch alarmieren», sagt die Aktivistin. Es sei vielleicht nicht die letzte Schulbesetzung, an der sie teilnehmen werde.

Schulbesetzung Kantonsschule Enge Klimajugend Erde Brennt
Begrüsst die Unisex-WCs in der Kantonsschule Enge: Aktivistin Anna Rosenwasser. Bild: watson

Klimaaktivisten besetzen heute Gymi in Zürich – wir waren dabei

Video: watson

Schülerinnen und Schüler

Und was sagen denn eigentlich die Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Enge zur Besetzung ihres Gymnasiums? Die meisten von ihnen waren verwirrt, dass plötzlich eine Gruppe anderer Schüler ihren Unterricht torpedierte, wie sie gegenüber watson sagen. «Ich dachte zuerst, unsere Lehrer veranstalteten etwas», sagt ein 16-jähriger Schüler.

Seine Klassenkameradin pflichtet ihm bei: «Ich wusste auch von nichts, aber es ist cool, dass sich andere mit ihren Anliegen durchsetzen.» Eine andere Schülerin hätte es lieber gesehen, wenn die Kantonsschule selber einen Aktionstag angestossen hätte. Viele der Gymnasiasten teilen aber das Bedürfnis, mehr über die aktuellen Krisen und ihre Folgen aufgeklärt zu werden.

Schulbesetzung Kantonsschule Enge Klimajugend Erde Brennt
Beschäftigen die Jugend: die Krisen der Zeit.Bild: watson

Lehrpersonen und Schulangestellte

Was die Aktion der Klimajugend betrifft, halten sich die Lehrpersonen und Mitarbeiter der Kantonsschule Enge lieber zurück. Das wird in den Gesprächen klar – spätestens, als jemand aus der Schulleitung eine Lehrperson ermahnt, dass nur der Rektor mit Journalisten sprechen solle. Einige von ihnen haben etwas gesagt, aber nur anonym. Der Tenor: Wer etwas kritisiere, müsse sich verstecken.

So spricht jemand von einem «Chrüsimüsi» an Forderungen seitens der Aktivisten. Die Art und Weise, wie die Klimajugend auftrete, sei nicht zielführend. Eine andere Person sagt, der ganze Ablauf sei chaotisch und die meisten der Schüler hätten gar nicht verstanden, worum es gehe. Im Endeffekt sei so nur ein Unterrichtstag gestört worden. Ein Mitarbeiter sagt, er vertrete eine komplett andere Meinung als die Klimajugend, aber davon würde diese nichts hören wollen. «Ich glaube auch nicht, dass hier Schüler, die anders denken, wirklich etwas sagen können, ohne im Fadenkreuz zu landen.»

Kontroverse um RJZ-Banner

Für ein paar Fragezeichen sorgte zudem ein aufgehängtes Transparent der «Revolutionären Jugend Zürich» (RJZ). Die RJZ gehört zum «Revolutionären Aufbau Zürich» – einer Organisation, die dem linksextremen Spektrum zuzuordnen ist. Der «Revolutionäre Aufbau» wurde in Lageberichten des Schweizer Nachrichtendiensts bereits als «Taktgeber der gewalttätigen linksextremen Szene» bezeichnet.

RJZ an der Schulbesetzung der Klimajugend
Fiel auf: ein Transparent der «Revolutionären Jugend Zürich». Bild: watson

Bei den Aktivistinnen und Aktivisten der «Letzten Generation» findet sich vor Ort niemand, der etwas dazu weiss oder sagen kann. Es wird auf die Pressestelle* verwiesen. Eine weitere Nachfrage vor Ort seitens des watson-Journalisten kam beim Kollektiv nicht gut an. Zu dritt teilten sie ihm mit, dass er jetzt 2,5 Stunden an der Aktion dabei war, dass er mit seinen Fragen schlechte Stimmung verbreite und man ihn nun bitte, das Schulhaus zu verlassen.

Dass die jugendlichen Organisatoren der Schulbesetzung vom Journalisten verlangen, das Schulgelände zu verlassen, kann Rektor Moritz Spillmann nicht verstehen – der übrigens der Einzige wäre, der das überhaupt entscheiden könnte. «Es ist schade, dass die Aktivisten so viel Kritik ausüben, aber scheinbar nicht für kritische Fragen offen sind.»

* Die Klimaaktivisten schreiben zum RJZ-Banner gegenüber watson: «Wir distanzieren uns in unserer Aktionsform klar und deutlich von der Anwendung von Gewalt gegen Menschen. Dies ist auch bei allen beteiligten Orgas und Personen Konsens. Das Transparent der RJZ widerspricht dem in keiner Weise, sondern es nimmt eine Kernforderung von uns auf: Organisierung der Jugend gegen die Klimakrise und für eine bessere Welt!»

Schulbesetzung Kantonsschule Enge Klimajugend Erde Brennt
Wieso du heute KommunistIn werden solltest: Schulbesetzung Kantonsschule Zürich.Bild: watson
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292 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SpitaloFatalo
08.02.2023 05:54registriert März 2020
Interessiert las ich den Bericht zu Schulbesetzungen aufgrund der Klimakrise. Irgendwann stand da was von einer queerfeministischen Aktivistin, die mehr Unterricht zu Geschlechteridentität fordert. Was hat das mit dem Thema zu tun? Die Klima-Bewegung wird leider seit einiger Zeit für allerlei linke Anliegen missbraucht, sehr zu ihrem Nachteil übrigens, da abschreckend für viele, die sich engagieren würden.
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Haarspalter
08.02.2023 05:55registriert Oktober 2020
Sind genderneutrale Toiletten wirklich klimafreundlicher?

In dem Fall sind wir in unserem Haushalt sowohl gesellschaftlich als auch ökologisch schon seit Jahrzehnten an vorderster Front unterwegs!
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NoRepFly
08.02.2023 08:16registriert März 2019
Dass diese Leute die Arroganz haben, den Journi wegzuweisen, wenn der anfängt kritische Fragen zu stellen, ist schon bemerkenswert.
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