«Ich bin perplex, enttäuscht und wütend», macht Jessica Mor ihrem Ärger Luft. Die zweifache Mutter erlebt gerade mit ihrem jüngeren Sohn, wie schwierig es ist, für ihn eine Schnupperlehre zu finden.
Auf dem Business-Netzwerk LinkedIn teilt sie ihren Frust mit: «Es werden regelrechte Assessments durchgeführt und ein Bewerbungsvideo verlangt, um überhaupt an einem Schnupperinfotag teilnehmen zu dürfen.»
Im Gespräch mit watson erklärt Mor die Situation ihres Sohnes. «Er ist im neunten Schuljahr und hätte eigentlich diesen Sommer eine Lehre beginnen sollen», sagt sie. Doch seine Wunschlehre als Grafiker musste er aufgeben, da er den dafür nötigen Vorkurs nicht bestand. Schnupperlehren fand er damals nur dank persönlicher Kontakte zu KMUs, wie Mor erklärt.
Sein Plan B war die Ausbildung als ICT-Fachmann, da er sich für Informatik interessiere. «Er ist ein guter Sek B Schüler mit einem knappen 5er-Notendurchschnitt – die Anforderungen würde er erfüllen», sagt Mor. Auch laut dem Zürcher Lehrbetriebsverband genügt für die Lehre neben einem Sek A-Abschluss auch ein Sek B-Abschluss.
Doch da die meisten ICT-Ausbildungsplätze hauptsächlich bei Grossfirmen angeboten würden, sei der Bewerbungsprozess schwierig. Schnupperlehren seien selten und die Hürden würden immer höher werden. «Er hat bis jetzt nur Absagen erhalten, obwohl er zum Teil aufwendige Bewerbungen eingereicht hatte», ärgert sich Mor.
Früher hätte ein Anruf genügt, um ein paar Tage in die Arbeitswelt eintauchen zu können. «Doch der Druck auf die Jungen nimmt immer mehr zu, ich finde diese Entwicklung nicht gut», sagt die zweifache Mutter. Sollte ihr Sohn nicht in den nächsten Monaten einen Ausbildungsplatz finden, werde er wohl ein 10. Schuljahr machen müssen.
Gleicher Meinung ist Manuela Di Nardo, freiwillige Bewerbungscoachin bei Pro Juventute und selbständige HR-Expertin. Sie ist auch Mutter von zwei Kindern, die bereits in der Lehre sind. Der Weg dahin war jedoch eine Herausforderung. «Die Anforderungen, um in einem Beruf zu schnuppern, sind extrem gestiegen. Man muss zahlreiche Fragen beantworten, ein Motivationsschreiben einschicken und teils sogar ein Online-Interview durchführen», sagt Di Nardo.
Sie sei sich sicher, dass diese Hindernisse die Jugendlichen abschrecken würden, sich zu bewerben, und nur unnötigen Druck aufbauen würden. Di Nardo fragt sich: «Warum müssen die Schüler überhaupt schon so viel wissen, um sich für Schnuppertage zu bewerben? Denn genau dafür sind diese Tage doch da, um herauszufinden, was die 14-Jährigen mit ihrem Leben anfangen wollen.»
Für alle Jugendlichen, die ihren Berufswunsch in diesem Alter noch nicht kennen oder die keine Lehrstelle gefunden haben, für die gibt es das 10. Schuljahr. Dort weiss man über die Problematik mit den Schnuppertagen Bescheid, vor allem seit der Corona-Pandemie.
«Seit Corona bieten weniger Firmen Schnupperlehren an», sagt eine Lehrperson einer 10. Schulklasse im Kanton Aargau gegenüber watson. Sie möchte anonym bleiben, weil sie sich öffentlich nicht zu sehr exponieren möchte.
Sie habe festgestellt, dass einige Betriebe auf Assessments – während der Pandemie auch online – setzen, um Kandidaten für eine Schnupperlehre oder die Besetzung der Lehrstelle auszuwählen. Dies kann oftmals eine grosse Hürde für die Schülerinnen und Schüler darstellen und sollte vorgängig anhand von Fragen in der Schule gut geübt werden. Zudem würden viele Schnupperinfotage nur ein- oder zweimal pro Jahr stattfinden, oder sie seien ein halbes Jahr im Voraus ausgebucht.
«Das Problem besteht hauptsächlich bei den beliebten Berufen. Für weniger begehrte Ausbildungen findet man eher einen Schnupperplatz», sagt die Lehrperson. Sie rate ihren Schülern deshalb, auf einen Plan B oder sogar C auszuweichen, damit man eine Lehrstelle finden würde.
Die Verantwortung für die Schnupper- und Lehrstellensuche liege im Endeffekt bei den Jugendlichen. «Einige haben in der Volksschule zu wenig gemacht oder zu spät angefangen, oder sie haben sich ein Berufsziel gesteckt, das schwierig zu realisieren ist», sagt sie. Wichtig sei es, dass die Jugendlichen lernen, dranzubleiben, und auch Alternativberufe anschauen und vor allem den Mut und die Geduld nicht verlieren.
Unterstützung auf der Suche nach einer Schnupperlehre bietet die Plattform schnuppy.ch, eine Initiative der Gewerbevereine und der Schulen. Vereinspräsident und «Schnuppyman», wie er sich selbst nennt, ist Marcel Lüthi. Jährlich begleitet er rund 10’000 vermittelte Schnupperlehren.
Auch für ihn ist klar, dass sich die Ansprüche an die Schülerinnen und Schüler verändert haben. «Die Anforderungen für eine Schnupperlehre sind gestiegen, weil sich viele Firmen nicht mehr die Zeit nehmen, zuerst die Persönlichkeit hinter dem Bewerbern kennen zu lernen. Aber auch, weil die generellen Anforderungen an die Berufe gestiegen sind», sagt Lüthi. Die Bandbreite sei jedoch gross, gerade bei KMUs würden die Jugendlichen grössere Erfolgschancen haben zu schnuppern.
Dass die Firmen mit grosser Nachfrage eine Vorauswahl treffen, findet er sinnvoll: «Man sollte jedoch unterscheiden zwischen einem Schnuppertag, der darauf abzielt, etwas über den Beruf zu erfahren. Und der Schnupperlehre mit Bezug auf die Bewerbung einer Lehrstelle.» Eine Firma, die für einen Schnuppertag viele Anforderungen stelle, schaffe nur unnötige Barrieren.
«Katastrophal finde ich, wenn ein Arbeitgeber viele Unterlagen wie teils ganze Assessments für eine Schnupperlehre verlangt und sich dann nicht mehr bei den Jugendlichen meldet», sagt er. Lüthi ist der Meinung, dass knapp fünf Bewerbungen reichen sollten, um schnuppern zu können. Massenbewerbungen verschicken zu müssen, sei keine gute Entwicklung und schrecke die angehenden Lehrlinge nur ab.
Ich habe Ende der 90er geschnuppert.
1 Woche war ich auf der Gemeinde Frutigen (Telefonanru, fertig). Habe am Ende noch 100.- bekommen für meinen guten Einsatz.