Schweizer Schülerinnen erhalten laut Studie bessere Noten als Schüler
Bis zu 0,6 Notenpunkte schlechter wird ein fremdsprachiger Junge in Deutsch bewertet als ein deutschsprachiges Mädchen einer anderen Klasse – je nach Stufe. Diese durchschnittlichen Abweichungen hat eine Studie zutage gebracht, an der auch Stefan Wolter, Professor für Bildungsökonomie der Uni Bern, mitwirkte.
«Wir sehen, dass Schülerinnen und Schüler seit Jahren unfair benotet werden, sei es zu gut oder zu schlecht», sagt er gegenüber dem Tages-Anzeiger. Das könne sich auf die berufliche Laufbahn der Jugendlichen auswirken. Die Bevorzugung geschehe aber meist unbewusst.
Das bestätigt auch Dagmar Rösler, Zentralpräsidentin vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, gegenüber der Zeitung. Und sie ergänzt, dass diese Abweichungen nicht böswillig seien. Zudem erklärt sie, dass die für die Studie absolvierten Tests Momentaufnahmen seien, die an den Zeugnissen gemessen würden.
Andere Studie, ähnliches Ergebnis
Auch andere Studien kamen bereits zum Schluss, dass bei der Benotung Unterschiede gemacht werden. So etwa jene der Uni Zürich vom vergangenen Jahr in Deutschland, bei der die Noten von 14'000 Neuntklässlerinnen und -klässlern untersucht wurden. Dabei wurden die Faktoren Geschlecht, Body-Mass-Index, sozioökonomischer Status der Eltern und ethischer Hintergrund berücksichtigt.
Auch hier kam man zum Schluss, dass diese Faktoren eine Rolle spielten bei der Benotung. Am schlechtesten schnitt ein «Junge mit hohem BMI aus einer weniger gut situierten Minderheiten-Familie» ab. Die Schlussfolgerung damals: «Die Ergebnisse lassen zwar keine Rückschlüsse auf die genauen Mechanismen zu, die hinter dieser Diskrepanz stehen, könnten aber darauf hindeuten, dass Voreingenommenheit bei der Benotung unter Lehrpersonen in Deutschland weit verbreitet ist.»
Zwar könne man diese Resultate nicht einfach auf die Schweiz übertragen, erklärte Studien-Co-Autor Richard Nennstiel damals, frühere Untersuchungen in der Schweiz hätten aber ähnliche Tendenzen gezeigt.
Schlechtere Note durch mehrere Faktoren
In der aktuellen Studie haben sich die Autoren auf die Faktoren Geschlecht, Muttersprache und Klassendurchschnitt konzentriert. Demnach erhielten Mädchen bessere Noten als Jungs, im Schnitt 0,143 Noten. Das heisst: Bekommt sie in Deutsch eine 4,25, erhält er eine 4,1. Hat der Junge auch noch eine Fremdsprache als Muttersprache, kann eine weitere Benachteiligung von 0,104 Noten hinzukommen und er erhält eine 4. Ist der Notenschnitt in der Klasse gut, verschlechtert sich die Note weiter.
Dieser letzte Faktor dürfte auf den Druck auf das Lehrpersonal zurückzuführen sein, glaubt der Professor für Bildungsökonomie. «Bei sehr tiefen oder hohen Notenschnitten können Fragen aus dem Kollegium, der Schulleitung oder von Eltern kommen: Warum ist diese Klasse im Vergleich zu anderen so viel besser oder schlechter?», erklärt Wolter gegenüber der Zeitung.
Aufklärung und besserer Informationsfluss
Nicht nur Wolter, auch Rösler sieht Handlungsbedarf. So müssten die Leistungsniveaus in den Sekundarschulen durchlässiger werden. Zudem müsse die Lehrerschaft sensibilisiert werden.
Hier sieht auch Wolter Potenzial. In den USA hätten Tests ergeben, dass die Bevorzugungen weniger würden, wenn die Lehrerinnen und Lehrer darauf aufmerksam gemacht wurden. Das passiert laut Rösler bei den standardisierten Leistungstests aber noch nicht, die Informationen gelangten nicht zum Lehrpersonal.
Für die Jugendlichen kann das weitreichende Folgen haben. Ihre ganze Karriere wird beeinflusst. Denn die gerundeten Zeugnisnoten entscheiden beispielsweise, ob sie ins Gymnasium kommen oder nicht. Und, wie Rösler ergänzt: «Gerade Buben mit sozioökonomisch niedrigem Status landen häufig im tiefsten Niveau und werden so demotiviert.» (vro)
