Pünktlich zum Schulstart hat der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) am Donnerstag vor den Medien in Bern die Ergebnisse der aktuellen Umfrage zur Berufszufriedenheit an der Volksschule präsentiert. Der Kernbefund: Das pädagogische Personal in der Deutschschweiz schätzt die Lage diesbezüglich als genügend ein, mit der Note 4,2 bei einer Skala von 1 bis 6.
Der Wert liegt nur unwesentlich tiefer als bei der entsprechenden Umfrage von vor 10 Jahren. Allerdings steigt die Belastung, und die Balance zwischen Arbeitszeit und Erholung wird schlechter beurteilt als bei der letzten Erhebung. Erstmals wurde die Umfrage auch in der Westschweiz durchgeführt. Dort ist die Berufszufriedenheit knapp ungenügend (3,9).
Das auf Sozialforschung spezialisierte Büro Brägger wertete 16'500 Fragebogen aus der Deutschschweiz und 2230 aus der Romandie aus. Zum weitaus grössten Teil stammen die Antworten von Lehrpersonen, auch Heilpädagoginnen, Schulleiter und Therapeutinnen machten mit. Das sind fünf wichtige Erkenntnisse:
Die Studie fördert einige positive Aspekte zutage. Als wichtige Quellen der Zufriedenheit erwähnen die Lehrpersonen den Umgang mit den Kindern. Freude bereiten auch das Unterrichten als solches und die Zusammenarbeit im Lehrerinnen- und Lehrerteam.
«Das sogenannte Kerngeschäft ist also ein wichtiger Stützpfeiler für die Zufriedenheit im Beruf», sagte LCH-Präsidentin Dagmar Rösler. Entgegen der landläufigen Annahme empfinden die Lehrpersonen den Umgang mit den Eltern nicht als immer mühsamer. Studienleiterin Martina Brägger schreibt zur Erhebung: «Der Langzeitvergleich offenbart sogar, dass noch nie so viele Lehrpersonen wie bisher den Eltern eine gute Bereitschaft zur Zusammenarbeit attestieren.»
Zufriedener als vor zehn Jahren sind die Lehrerinnen und Lehrer mit dem Lohn. Das gilt auch für die Möglichkeit, Teilzeit und die Fächer und Stufe der eigenen Wahl zu unterrichten.
Negativ entwickelt hat sich in der Wahrnehmung der Lehrpersonen die administrative Last des Berufs: die vielen Sitzungen, Formulare, Statistiken etc. Brägger weist jedoch darauf hin, dass die Lehrpersonen die administrativen Tätigkeiten um den Faktor 1,8 überschätzen: «Die hohe Unzufriedenheit mit dem Anteil administrativer Aufgaben ist daher wohl eher Symptom als Ursache für das überlastete System Schule.»
Immer mehr Lehrpersonen haben sodann das Gefühl, dass sie ihre eigenen Ansprüche im Rahmen ihres Pensums nicht mehr erfüllen könnten angesichts der steigenden Arbeitslast. Nicht zuletzt fühlen sich viele Lehrkräfte auch als Getriebene der zahlreichen Schulreformen.
Seit Jahren setzt die Schweiz auf das Prinzip der integrativen Förderung: Kinder mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen werden, wenn immer möglich, in einer Regelklasse unterrichtet anstatt in einer Klein- oder Förderklasse. Es handelt sich zum Beispiel um Kinder, die grosse Mühe mit dem Schulstoff bekunden oder verhaltensauffällig sind. Sie werden in der Regelklasse zum Teil von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen unterstützt. Ein grosses Problem lautet: Es hat hierzulande viel zu wenig ausgebildete Fachkräfte für diese Aufgaben.
Die integrative Förderung zieht die Berufszufriedenheit der Lehrpersonen nach unten und ist mit 3,7 klar ungenügend. Dagmar Rösler beschrieb die Problemlage zusammengefasst wie folgt: Es fehlt an geeigneten Räumen, der Koordinationsaufwand ist hoch, es braucht viele Absprachen, die Betreuung der betroffenen Kinder erfordert viel Zeit, und gleichzeitig sollten die Lehrkräfte einen möglichst individualisierten Unterricht gestalten, um den Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden.
Es ist diese Quadratur des Kreises, die den Lehrpersonen Bauchschmerzen bereitet. Kommt hinzu: Häufig ziehen bei der integrativen Förderung nicht alle Beteiligten (Lehrpersonen, Heilpädagoginnen, Schulpsychologen, Eltern, Therapeutinnen) am gleichen Strick. Wenn es in diesem Räderwerk knirscht, kann dies laut Martina Brägger grosse Auswirkungen haben wie: mehr Unruhe in der Klasse, schlechteres Arbeitsklima, mehr Sitzungen, höhere psychologische Belastung.
Die integrative Förderung ist ein Politikum. In den Kantonen Basel-Stadt und Zürich sind Volksinitiativen für die Wiedereinführung von Kleinklassen am Start. Die FDP Schweiz erklärte die integrative Förderung in einem kürzlich lancierten Bildungspapier für gescheitert und will wieder vermehrt auf separativen Unterricht für verhaltensauffällige Schüler setzen.
LCH-Präsidentin Dagmar Rösler wertet die beiden Volksinitiativen als Zeichen, dass der Druck an den Schulen zu hoch wird. Trotz grosser Unzufriedenheit an der Basis hält sie am Primat der integrativen Förderung fest. Rösler verlangt allerdings mehr Ressourcen, um die Anforderungen an den integrativen Unterricht erfüllen zu können. Diese müssten nicht nach dem Giesskannenprinzip, sondern dort verteilt werden, wo es hohe Belastungen schnell und unbürokratisch zu senken gelte.
«Dauert die jetzige Situation an, droht ein Scherbenhaufen», sagte Rösler. Sie erklärte aber auch, dass man in gewissen Fällen nicht um – allerdings zeitlich begrenzte – separative Lösungen herumkomme. Es könne Sinn ergeben, verhaltensauffällige Kinder für eine gewisse Zeit ausserhalb der Regelklasse zu unterrichten, um eine angespannte Situation zu entschärfen. (aargauerzeitung.ch)
Diese hat es aber nicht.
Das Konzept der Integrativen Förderung basiert auf dem Ideal von unbegrenzten Ressourcen, wobei jedem verhaltensauffälligen Kind eine 1:1-Betreuung zugeteilt würde.
Mag auf dem Papier funktionieren - in der Realität aber nicht.