Heute geht in vielen Gemeinden die Schule wieder los. Aus diesem Anlass präsentiert watson eine Auswahl von Dingen, welche die Kinder dabei zum Glück NICHT erleben werden. Nicht mehr, muss man sagen. Denn diskriminierendes Liedgut, erniedrigende Spiele und körperliche Züchtigung hielten (und halten) sich erschreckend lang in Schweizer Schulzimmern.
Sieben Beispiele, die manchem Leser ab 30 bekannt vorkommen werden. Dazu eine Einordnung durch Marion Heidelberger, Primarlehrerin und Vizepräsidentin des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz:
Fangspiel-Klassiker im Turnunterricht, bei dem der «Schwarze Mann» und der Rest der Klasse aufeinander zu rennen und der «Schwarze Mann» versucht, möglichst viele zu berühren. Diese werden im nächsten Durchgang zu seinem Gehilfen, bis keiner mehr übrig bleibt. Man stelle sich vor, wie sich ein Schüler schwarzer Hautfarbe bei dem Spiel fühlt.
Marion Heidelberger: «Wird immer noch gespielt, heisst aber heute anders.» (laut Wikipedia kursieren verschiedene Namen, darunter «Wer hat Angst vor dem bösen/wilden/blöden Mann». Schöne Synonyme für «schwarz», das ...)
Bleiben wir kurz beim Turnunterricht. Steht ein Teamsport auf dem Programm, stellt sich das praktische Problem der Gruppenbildung. Früher wurde das mit dem sogenannten «Wählen» gelöst. Zwei (oder je nach Anzahl zu bestimmender Gruppen mehr) Personen suchen sich aus der Gesamtpopulation abwechslungsweise einen Mitspieler aus. Relativ rasch wird sich eine Rangliste etablieren – für die Schwächeren eine wöchentlich wiederkehrende Demütigung. Der Letzte wird streng genommen nicht einmal gewählt, da sich seine Zugehörigkeit automatisch aufgrund des zweitletzt Gewählten ergibt.
Marion Heidelberger: «Ich persönlich finde ‹Wählen› pädagogisch nicht vertretbar, aber es liegt in der Kompetenz der Lehrperson, dies zu entscheiden. Ich gehe davon aus, dass es vereinzelt immer noch gemacht wird. Es hat sich viel verändert in den vergangenen 20 Jahren, das Blossstellen von Kindern ist längst aus dem Unterricht verschwunden.»
Der Volkserziehungskanon C-A-F-F-E-E war mindestens bis in die 1980er-Jahre im Gesangsunterricht verbreitet. «Türkentrank» und «Muselmann» sind aus heutiger Sicht klar diskriminierend – und waren schon damals eklatant tatsachenwidrig: Die meisten Muslime bevorzugen Tee, Kaffeesüchtige finden sich eher in Europa. Nicht einmal die Bohne stammt aus der Türkei, sondern aus dem Jemen (immerhin Muselmänner).
Marion Heidelberger: «Ich kann nicht für alle sprechen, aber ich gehe davon aus, dass das an Schweizer Schulen nicht mehr gesungen wird.»
Update: Aufgrund zahlreicher Leser-Rückmeldungen ist davon auszugehen, dass C-A-F-F-E-E bis weit in die 1990er-Jahre gesungen wurde.
Einen Seich zuviel gemacht, zur Strafe ein paar Minuten vor die Türe. So weit, so harmlos. Perfiderweise holten die Lehrer früher den Fehlbaren nicht selbst zurück, sondern beauftragten einen Mitschüler damit – für den Betroffenen ein zweifelhaftes Privileg. Ein anderer Aspekt ist aus heutiger pädagogischer Sicht problematischer: Was macht ein Kind eigentlich unbeaufsichtigt vor der Türe?
Marion Heidelberger: «Pädagogisch ist ein kurzes Time-Out sinnvoll, aber immer mit einem Auftrag an das Kind. Heute gibt es spezielle Räume und Fachpersonen für disziplinarisch schwierige Schüler. Schon nur wegen der Aufsichtspflicht ist es heute gänzlich undenkbar, ein Kind vor die Türe zu schicken und sich selbst zu überlassen.»
Für groben Seich einen Satz Ohrfeigen oder Ohren langziehen – geht gar nicht, oder? Ging sehr gut, ebenfalls bis weit in die 1980er-Jahre. Heute geht's nicht mehr so gut, auch wenn es vereinzelt noch vorkommt.
Marion Heidelberger: «Als ich vor 26 Jahren meine Ausbildung zur Primarlehrerin abschloss, waren Körperstrafen bereits absolut verboten. Heute muss ein Lehrer – zurecht – mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Ich erinnere mich an einen Fall vor zwei, drei Jahren, als ein älterer Lehrer einem Schüler eine Ohrfeige verpasste. Der schlitterte haarscharf an einer fristlosen Kündigung vorbei, obwohl der betroffene Schüler im Nachhinein sogar der Meinung war, die Strafe sei nicht unverdient gewesen. So etwas geht einfach nicht mehr.»
Wetten, die heutigen Lehrer sind froh, dass sie ihren Schülern keine Noten mehr für «Fleiss» und «Ordnung» verteilen müssen?
Marion Heidelberger: «Fleiss und Pflichterfüllung gibt es so nicht mehr. Im Zuge der neuen Zeugnisse wurden sie erweitert, so werden heute Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten beurteilt.»
Man hätte es ja auch «Religionsunterricht» nennen können. Dem Begriff «Bibelunterricht» ist deshalb zugute zu halten, dass er nicht einmal vorgibt, als gäbe es neben dem Christentum noch andere relevante Religionen.
Marion Heidelberger: «Heute ist der religiös motivierte Konfessionsunterricht ausserhalb und von der Volksschule unabhängig organisiert. Diese hat gemäss Bundesverfassung politisch und religiös neutral zu sein. Im Kanton Zürich gibt es ein neues obligatorisches Fach mit dem Titel ‹Religion und Kultur› (im Aargau ‹Ethik und Religionen›, Anm. D. Red.), das Eindrücke und Wissen in allen grossen Religionen dieser Welt vermittelt.»
... es war also nicht alles schlecht früher. Alt aber gut und immer noch in Gebrauch ist zum Beispiel die Institution der Apfelbons, die Schüler im Winter gegen einen Pausenapfel eintauschen können.
Oder die tollen Modellbögen, die sich offenbar ungebrochener Beliebtheit erfreuen.
Ich: "Wieso dieses Lied?"
Er: "Wir wollen neutrales Liedgut pflegen."
Ich: "Aber Woody singt, es sei sein Land... Dann ist es Okay, den Indianern das Land wegzunehmen...?"
Er: "Man sagt nicht mehr Indianer..."