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Cassis braucht neue EU-Chefverhandler – die Top-Diplomaten wollen nicht

Cassis braucht neue EU-Chefverhandlerin – doch die Top-Diplomatinnen wollen nicht

Aussenminister Ignazio Cassis braucht einen neuen Chef-Diplomaten und EU-Chefverhandler. Aber Topleute wie Alexandre Fasel wollen sich offensichtlich nicht in Bern verheizen lassen.
20.06.2023, 07:13
Henry Habegger / ch media
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Er galt für viele als eine Art Hoffnungsträger im Aussendepartement (EDA) unter FDP-Bundesrat Ignazio Cassis: Alexandre Fasel (61), ein erfahrener, unbestritten starker und als Chef geschätzter Diplomat, zuletzt Botschafter in London, derzeit Sonderberater des Bundesrats im internationalen Genf.

Britain's Queen Elizabeth II meets Alexandre Fasel from the Swiss Confederation during a private audience at Buckingham Palace in central London, Wednesday Nov. 22, 2017. (Gareth Fuller/Pool via  ...
Alexandre Fasel besucht 2017 die Queen.Bild: AP/PA Pool

Der Freiburger Fasel könnte, so hofften manche Diplomatinnen und Diplomaten, neuer Staatssekretär im EDA werden, Nachfolger von Livia Leu, die den Posten nach nur zwei Jahren räumt, um vor der Pensionierung noch Botschafterin im prestigeträchtigen Berlin zu werden. Fasel traute man zu, dass er der Funktion des Staatssekretärs wieder Profil und Gewicht geben konnte. In Sachen Personalführung, aber auch in Bezug auf Schwerpunktsetzung der Schweizer Aussenpolitik. Dass er auch den Verhandlungen mit der EU neuen Schub geben könnte.

Unter Leu war für Insider von all dem nicht mehr viel zu spüren, sie schien in den EU-Verhandlungen zu versinken. Ein Beobachter drückt sich so aus: Das Sagen im Departement hätten, auch weil Cassis selbst sich kaum für Personal und Projekte interessiere, derzeit Bürokraten: Generalsekretär Markus Seiler sowie die Direktion für Ressourcen unter Tania Cavassini.

Fasel schweigt

Aber die «Option Fasel» hat sich offensichtlich zerschlagen. Der Freiburger, der für viele als eines der letzten Schwergewichte im EDA gilt, bewarb sich nicht für die Stelle des Staatssekretärs. Das sagen unabhängig voneinander mehrere Quellen gegenüber CH Media. Alexandre Fasel selbst war für CH Media nicht zu erreichen, er liess eine E-Mail-Anfrage unbeantwortet.

Swiss Foreign Minster Ignazio Cassis speaks to reporters after a Security Council meeting at United Nations headquarters, Tuesday, May 30, 2023. (AP Photo/Seth Wenig)
Ignazio Cassis
Ignazio Cassis Ende Mai in New York.Bild: keystone

Zwar hatte es gewissen Austausch gegeben, aber Fasel kam offensichtlich nicht zum Schluss, dass die aktuelle EDA-Spitze um Cassis und Seiler an einem Staatssekretär wie ihm interessiert war, einem mit Gewicht und Haltung und eigener Meinung. «Fasel ist keiner, der sich vor Seiler in den Staub wirft», sagt ein Beobachter im Umfeld des Bundeshaus. So etwas sei aber von ihm – wie wohl auch von anderen Papabili – erwartet worden.

Verschiedene Insider sagen, gesucht sei als Nachfolger von Leu ein Ja-Sager, der ausführe, was man ihm auftrage, der möglichst keine eigene Initiative entwickle und der die Personalselektion und -führung den Bürokraten überlasse.

Kein Einzelfall

Fasel ist keine Ausnahme. Dem Vernehmen nach haben sich beispielsweise auch die Botschafterinnen in Brüssel und Rom, Rita Adam und Monika Schmutz, nicht auf die Stelle beworben. Auch sie waren als mögliche Leu-Nachfolgerinnen gehandelt worden.

Sicher ist, dass keines der verbleibenden Schwergewichte der Schweizer Diplomatie gern in die Zentrale wechselt, um sich verheizen zu lassen. «Nie mehr Bern», sagt jemand. Für viele wirkte der Abgang des vormaligen Staatssekretärs Roberto Balzaretti traumatisch. Er hatte das Rahmenabkommen mit der EU praktisch fertig verhandelt, in ständiger Absprache mit dem Bundesrat, als ihn Cassis abrupt fallen liess.

«Der Staatssekretär muss wieder wie früher Gewicht haben, auch politisch, und die Nummer zwei im Departement sein», sagt ein Diplomat. Heute werde die Departementsführung faktisch der HR-Abteilung überlassen, das sei fatal. Kritiker werfen dem heutigen EDA vor, es fabriziere nur noch Papier-Strategien, vor Ort oder mit Initiativen aber sei es nicht präsent.

Drei Personen lesen aus

Ein starker Staatssekretär steht nicht auf der Agenda. Die Findungskommission, die sich mit der Leu-Nachfolge befasst, besteht laut EDA aus drei Personen: Markus Seiler, Generalsekretär. Tania Cavassini, Chefin Direktion für Ressourcen, und Patricia Danzi, Direktorin Entwicklung und Zusammenarbeit.

Die Frage, wie viele Bewerbungen eingegangen sind, wollte das EDA nicht beantworten. Auch nicht, wie viele Frauen und wie viele Männer sich gemeldet haben. Auch nicht, ob Personen, die sich nicht beworben haben, allenfalls noch angefragt oder berufen werden. «Das EDA äussert sich nicht zu einem laufenden Rekrutierungsverfahren», heisst es nur.

Hingegen hält das EDA auf weitere Fragen fest, dass das aktuelle Prozedere mit Ausschreibung und Findungskommission seit 2014 existiere und auf einer bundesrätlichen Weisung beruhe. Ob die Stelle noch vor den Sommerferien besetzt wird, scheint unklar. Livia Leu soll bis Ende August im Amt bleiben. Manche Kritiker sagen, das Rennen ums EDA-Staatssekretariat sei im Vergleich zu früher zum Jekami geworden.

Wer sich beworben haben soll

Tendenziell haben sich, laut Insidern jedenfalls wenig überraschend, Leute beworben, die mit der aktuellen Führung gut stehen. Dazu gehört angeblich Gabriel Lüchinger, Ex-Generalsekretär der SVP. Die von ihm geleitete EDA-Abteilung Internationale Sicherheit wird mit der Schaffung des neuen Staatssekretariats für Sicherheit im VBS möglicherweise hinfällig.

Oder Simon Geissbühler, Leiter der EDA-Abteilung Frieden und Menschenrechte. Er ist der Bruder von SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler. Auch gewisse Kritiker halten ihn für annehmbar, da er sich wohl nicht alles gefallen liesse. Als aussichtsreich gilt Patric Franzen, Chef der Abteilung Europa und Stellvertreter von Livia Leu. Weiter soll etwa der Schweizer Botschafter in London, Markus Leitner, im Rennen sein.

Sogar der Name von Monika Rühl, Chefin des Wirtschaftsverbands Economiesuisse, geistert herum. Sie hat eine diplomatische Ausbildung.

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