Gedacht war es als eine Art Befreiungsschlag. Am Donnerstag stimmte der Nationalrat über eine Motion seiner Aussenpolitischen Kommission ab. Sie verlangte vom Bundesrat ein Hilfsprogramm für die Ukraine von mindestens fünf Milliarden Franken für die nächsten fünf bis zehn Jahre, unter anderem für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau.
Denn die Schweiz ist international unter Druck. Ihre Weigerung, Drittstaaten die Weitergabe von Waffen und Munition an das von Russland angegriffene Land zu erlauben, stösst auf wenig Verständnis. Und die G7-Staaten unter Führung der USA kritisieren, die Schweiz setze die Sanktionen gegen russische Oligarchen und die Zentralbank zu zögerlich um.
Fünf Milliarden für die Ukraine machen sich da nicht schlecht, auch vor dem Hintergrund der immensen Schäden nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Doch der Nationalrat spielte nicht mit. Er lehnte alle drei Punkte der Motion ab, selbst die relativ harmlose Forderung nach der Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Unterstützung der Ukraine.
Es sei «beschämend», dass der Nationalrat die Finanzhilfe verweigert habe, «während Russland weiterhin die ukrainische Zivilbevölkerung und Infrastruktur bombardiert», liess sich der grüne Glarner Ständerat Mathias Zopfi in einer Mitteilung zitieren. Er hat in der kleinen Kammer eine identische Motion eingereicht, die am nächsten Montag behandelt wird.
Es dürfte ihr kaum besser ergehen als dem Vorstoss im Nationalrat. Zopfi ist ein moderater Grüner, dennoch haftet der Forderung ein Hauch von Populismus an. Geht es um Waffen für die Ukraine, haben sich die Grünen in einer Art «pazifistischem Schützengraben» verschanzt. Bislang lehnten sie in «unheiliger Allianz» mit der SVP jegliche Waffenlieferungen ab.
Mit dem Hilfspaket solle ein positives Signal ausgesendet werden, sagte Mathias Zopfi dem «Tagesanzeiger»: «Statt dauernd darüber zu diskutieren, wo wir nicht helfen können, sollten wir dort mehr tun, wo wir problemlos helfen können.» Denn bei der gesamten Hilfe für die Ukraine steht die Schweiz im Vergleich auf den ersten Blick schlecht da.
Im Ukraine Support Tracker des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, der die Hilfeleistungen von 40 Ländern in «Echtzeit» erfasst, liegt die Schweiz mit rund 350 Millionen Franken nur auf dem 21. Platz. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist sie noch schlechter platziert, auf Rang 28. Das wirkt für ein derart wohlhabendes Land in der Tat beschämend.
Allerdings ist in dieser Auflistung die militärische Unterstützung enthalten, und da steht die Schweiz bekanntlich abseits. Betrachtet man nur die humanitäre Hilfe, sieht es besser aus. Die Schweiz liegt auf Rang 9 und beim BIP-Anteil sogar auf Rang 7. Auch hat sie im Vergleich mit westeuropäischen Ländern relativ viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen.
Aussenminister Ignazio Cassis hat nicht ganz unrecht, wenn er wie in der Debatte am Donnerstag sagt, er werde bei der Schweizer Hilfe für die Ukraine «nicht rot». Der Bundesrat habe entschieden, der Ukraine für die Jahre 2025 bis 2028 mindestens 1,5 Milliarden Franken zur Verfügung zu stellen. Und es könnte durchaus mehr werden.
Der Entscheid des Nationalrats ist somit (noch) kein Skandal. Denn Vorbehalte gegen die Ukraine-Unterstützung gibt es nicht nur von rechts, sondern auch von den Hilfswerken. Sie anerkennen die Notwendigkeit, befürchten aber, sie gehe auf Kosten der Entwicklungshilfe. Das Aussendepartement EDA konnte diese Ängste bislang nur bedingt entkräften.
Auch bei der Weitergabe von Waffen ist das letzte Wort längst nicht gesprochen. Der Ständerat sagte am Mittwoch Ja zu einem Vorstoss, der Drittstaaten nach fünf Jahren die Lieferung erlaubt, wenn das Empfängerland sich selbst verteidigt und die Menschenrechte beachtet. Hängig ist eine weitere Initiative, die zusätzlich einen UNO-Entscheid verlangt.
Welche Variante sich – wenn überhaupt – durchsetzt, ist offen. Vor 2024 aber wird es keine Rüstungsgüter für die Ukraine geben. Dabei schreibt die NZZ, dass mit den 12’400 Schuss Munition für den Gepard-Fliegerabwehrpanzer, die Deutschland liefern möchte, «konservativ gerechnet» rund 400 iranische Kamikaze-Drohnen abgeschossen werden könnten.
Bei den Oligarchen-Vermögen wird der Druck ebenfalls nicht nachlassen. Die Debatte um die Ukraine-Hilfe und ihren Umfang zeigt einmal mehr, wie sehr die «Zeitenwende» mit der Rückkehr des Angriffskriegs nach Europa die Schweiz und ihr Neutralitäts-Verständnis herausfordert. Und wie schwer sie sich damit tut, eine befriedigende Lösung zu finden.
Angesichts der gewaltigen Kosten für den Wiederaufbau aber wird die Schweiz finanziell gefordert sein. Selbst die nun abgelehnten fünf Milliarden werden kaum ausreichen.
Was erwartet man, wir sind das Land der Opportunisten
Sie tut sich beim jeglichem Positionieren schwer.
Sie schaut lieber zu und versucht die Vorteile zu ergattern.
Nicht unbedingt ein schönes Bild.