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Über 1,3 Milliarden: Wann fliessen die Kohäsionsgelder an die EU?

Bundesrat will der EU 1,3 Milliarden überweisen – doch der Ständerat hat's nicht pressant

Der Streit um die Deblockade der zweiten Tranche Kohäsionszahlungen dreht sich nicht nur um Inhalte und die Hoffnung auf neue Impulse. Der Bundesrat macht auch den Zeitplan zum Politikum.
12.08.2021, 07:3912.08.2021, 12:41
Anna Wanner / ch media
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Der Bundesrat hat dem Parlament beantragt, die 1302 Millionen Franken Kohäsionszahlungen an die EU zu deblockieren und zwar «so rasch wie möglich». Wenn eine Mehrheit des Stände- und Nationalrats dies ebenfalls will, sollte dies eine reine Formsache sein.

Denn das Parlament hat die zwei Rahmenkredite 2019 bereits beschlossen: 1047 Millionen Franken sollen in den dreizehn neueren EU-Staaten eingesetzt werden, um wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten zu verringern. 190 Millionen Franken gehen auch an andere EU-Staaten, die von Migration stark betroffen sind. Und 65 Millionen Franken berechnet die Verwaltung für den eigenen Aufwand.

epa09324006 The Federal Council, Head of the Federal Department of Foreign Affairs of the Swiss Confederation, Ignazio Cassis attends the flower laying ceremony at the Freedom Monument in Riga, Latvia ...
Braucht einen neuen Impuls in den Beziehungen zur EU: Aussenminister Ignazio Cassis (FDP).Bild: keystone

Doch hat das Parlament die Genehmigung dieser Kredite vor zwei Jahren an eine Bedingung geknüpft: Das Geld wird zurückgehalten, «wenn und solange die EU diskriminierende Massnahmen gegen die Schweiz erlässt». Das Parlament reagierte mit dieser Klausel auf den Entscheid der EU, die Anerkennung der Schweizer Börse Ende 2019 nicht zu verlängern. Seit dieser Diskriminierung seitens der EU sind die Kohäsionszahlungen blockiert.

Diskussion im Nationalrat frühestens im Winter

Der Bundesrat hat es nun aber eilig. Im Mai hat er die Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU abrupt abgebrochen, jetzt will er einerseits zeigen, dass die Schweiz auch ohne institutionelles Abkommen eine «verlässliche Partnerin» bleibe. Und zweitens einen neuen Impuls in den Beziehungen zur EU auslösen. Die Kohäsionszahlung soll Fortschritte in weiteren Dossiers ermöglichen – etwa die ausgesetzte Teilnahme am Forschungsprogramm «Horizon».

In der am Mittwoch verabschiedeten Botschaft verlangt der Bundesrat konkret, das Parlament solle die Gelder in der Herbstsession deblockieren.

Stand heute wird dies nicht möglich sein. Zwar wird die Aussenpolitische Kommission des Ständerats das Geschäft in der nächsten Sitzung fertig beraten. Es wäre dann bereit für die Herbstsession, die im September stattfindet. Doch ist es im Entwurf der Sessionsplanung erst am Donnerstag der dritten Sessionswoche traktandiert. Das ist der letzte Tag der Session. Und das bedeutet: Für den Nationalrat bleibt keine Zeit, das Geschäft vor der Wintersession zu beraten.

Dem Bundesrat fehlen inhaltliche Argumente

Unklar ist, ob die Planung noch über den Haufen geworfen wird. Aussenpolitiker und Mitte-Ständerat Benedikt Würth (SG) will Hand bieten und die Beiträge deblockieren. «Nur so kommen die Gespräche mit der EU wieder in die Gänge.»

Allerdings sieht er den Grund für die Eile nicht. «Wenn wir von der Verfahrensordnung abweichen sollen, dann muss der Bundesrat dies begründen.» Doch bis jetzt gebe es keine Hinweise, dass beispielsweise bei «Horizon» eine schnellere Lösung möglich sei, sagt Würth.

Der neu gew�hlte St�nderatspr�sident Alex Kuprecht (SVP/SZ) versprach den Ratsmitgliedern in seiner Antrittsrede, die Tugenden des "Chambre de r�flexion" pflegen zu wollen.
Ständeratspräsident Alex Kuprecht: «Es gibt klare Gepflogenheiten.»Bild: sda

In die gleiche Kerbe schlägt Ständeratspräsident Alex Kuprecht: «Es gibt klare Gepflogenheiten: Das Geschäft ist dem Ständerat als Erstrat zugeteilt.» Bereits gegenüber dem Schweizer Radio SRF sagte er vor einer Woche, das fünfköpfige Ständeratsbüro, das für die Sessionsplanung zuständig ist, habe einstimmig entschieden, dass kein dringliches Verfahren nötig sei. Kuprecht: «Es fehlen Garantien seitens der EU, dass der Schweiz durch die Zahlungen auch Vorteile entstehen.»

SVP-Mann Kuprecht negiert indes, dass der Zeitplan politisch motiviert ist: «Der Entwurf der Sessionsplanung stammt von den Parlamentsdiensten.» Dass die Kohäsionsmilliarde am letzten Donnerstag der Herbstsession traktandiert ist, habe einen Grund: «Wir müssen bei der Planung auf die zuständigen Bundesräte Rücksicht nehmen.» Und Bundesrat Ignazio Cassis weile während der zweiten Sessionswoche an der UNO-Generalversammlung in New York.

Schlechtes Timing oder reine Schikane?

Just die FDP hat gestern eine Medienmitteilung verschickt, in der sie eine «rasche» Freigabe der Gelder verlangt, um «eine positive Grundlage für weitere Gespräche zu schaffen». Mit einem positiven Signal könne der Bundesrat den Dialog wieder eröffnen. Genauer: Bundesrat Ignazio Cassis.

Staenderat Andrea Caroni, FDP AR, vom Komitee Nein zu staatlichen Kleidervorschriften aeussert sich an einer Medienkonferenz zur Abstimmung zum Verhuellungsverbot, am Dienstag, 9. Februar 2021, in Ber ...
FDP-Ständerat Andrea Caroni: «Wenn wir bereit sind, Millionen auszugeben, dann tun wir das lieber früher als später.»Bild: keystone

FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR) plädiert darum für einen pragmatischen Ansatz: «Der Ständerat sollte das Geschäft in der ersten Woche traktandieren. So lassen wir dem Nationalrat die Möglichkeit, nachzuziehen.» Das Geschäft extra spät einzuplanen, sei fast schon schikanös. Caroni erklärt, bei den Kohäsionsgeldern gehe es nicht um Leben und Tod. Nur: «Wenn wir bereit sind, Millionen auszugeben, dann tun wir das lieber früher als später.» Ein Zeichen des Goodwills habe jetzt grössere Wirkung.

Tatsächlich ist das Sessionsprogramm nicht in Stein gemeisselt. Das Büro des Ständerats tagt Ende August nochmals. Änderungen wären aber auch kurzfristig noch möglich – nicht nur durch das Büro und dessen Präsidenten Kuprecht. Anträge auf Änderungen der Sessionsplanung können auch Ständeratsmitglieder stellen.

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31 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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THEOne
12.08.2021 09:03registriert März 2019
"Und 65 Millionen Franken berechnet die Verwaltung für den eigenen Aufwand."
die da wären???
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Das Dreizahn
12.08.2021 08:14registriert Juni 2020
65 Mio für die Verwaltung? Mir fehlen die Worte...
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Clife
12.08.2021 10:27registriert Juni 2018
Die Kohäsionsmilliarde ist gut. Erkundet euch erstmal worums da wirklich geht bevor ihr hier irgendwelchen Bull* labert von wegen „besser einsetzen“…dabei gehts um die Osterweirerung der EU und dass die Schweiz dabei diese Länder ebenfalls im freien Handel benutzen darf für JahrZEHNTE. Da kommt so einiges mehr als nur die Kohäsionsmilliarde wieder eingespielt.
Was mich eher verwundert sind die 65 Mio für Selbstverwaltung. Für den Zirkus den die da machen sollten sie eigentlich sogar da mit einbezahlen
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«Erster wirklicher Stresstest für die Schuldenbremse»: Ökonom ordnet drohendes Defizit ein
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Jahrelang schrieb der Bund Überschüsse. Jetzt drohen Defizite in Milliardenhöhe. Verglichen mit früher: Wie schlecht steht es um die Bundesfinanzen?
Thomas M. Studer:
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