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Abweisung der Einbürgerung eines integrierten Türken war unzulässig

***SYMBOLBILD*** Muster eines neuen Schweizer Passes, fotografiert am Dienstag, 1. November 2022, in Bern. Seit dem 31. Oktober 2022 gibt es eine neue Pass-Serie. Der neue Pass kann bei den kantonalen ...
Ein Mann zieht den Schweizerpass aus der Hosentasche.Bild: keystone

Abweisung der Einbürgerung eines integrierten Türken war unzulässig

21.05.2025, 13:3921.05.2025, 13:39
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Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat einem seit über 30 Jahren in der Schweiz lebenden Türken die Einbürgerung nach einem Autounfall aufgrund der ansonsten erfüllten Integrationskriterien nicht verweigern dürfen. Dies hat das Bundesgericht entschieden.

Das SEM entschied, dass nach der strafrechtlichen Probezeit von zwei Jahren eine zusätzliche Wartezeit von drei Jahren abzuwarten sei. Es stützte sich auf sein Handbuch – eine Verwaltungsverordnung – das eine entsprechende Tabelle mit den jeweiligen Wartezeiten enthält.

Diese Verordnung ist für das Bundesgericht nicht bindend. Es verlangte in einer öffentlichen Beratung des Falles eine Gesamtbeurteilung aller Integrationskriterien und kein schematisches Vorgehen. Das Gericht hat die Beschwerde des Mannes gutgeheissen und den Fall an das SEM zurückgewiesen.

So sah das Auto nach dem Unfall aus.
So sah das Auto nach dem Unfall aus.bild: kapo uri

Die Schwyzer Staatsanwaltschaft verurteilte den heute 60-Jährigen wegen eines selbstverursachten Autounfalls 2020 zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen und einer Busse. Der Mann war am Steuer eingenickt und in einen Kandelaber gefahren. Verletzt wurde niemand.

Wartezeit verlängert

Der Entscheid wurde während des laufenden Einbürgerungsverfahrens des als Flüchtling anerkannten Mannes rechtskräftig. Die Probezeit wurde auf zwei Jahre angesetzt. Wegen des Strafregister-Eintrags sistierten die Schwyzer Behörden das Einbürgerungsgesuch bis Mitte August 2025 – das heisst, für die Zeit nach Ablauf der strafrechtlichen Probezeit wurde eine zusätzliche Wartefrist von drei Jahren verfügt.

Eine Beschwerde des Türken hiess das Kantonale Verwaltungsgericht teilweise gut. Nach Ablauf der strafrechtlichen Probezeit sollte das Einbürgerungsverfahren wieder aufgenommen werden. Das Schwyzer Departement des Innern beantragte deshalb am 15. August 2022 beim SEM die Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung. Dieses lehnte das wegen des Strafregister-Eintrags jedoch ab. Eine Beschwerde des Betroffenen ans Bundesverwaltungsgericht blieb ohne Erfolg.

Mit Bundesgesetz unvereinbar

Eine Mehrheit von drei gegen zwei Bundesrichtern kritisierte, dass ein schematisches Vorgehen nicht mit dem Bürgerrechtsgesetz, mit Artikel 4 der entsprechenden Verordnung und mit der Rechtssprechung des Bundesgerichts in diesem Bereich vereinbar sei. Eine Gesamtwürdigung sei immer vorzunehmen. Eine Ausnahme seien Fälle, bei denen ein Einbürgerungskandidat eine schwere Straftat begangen habe.

Im vorliegenden Fall hatte das Schwyzer Verwaltungsgericht festgehalten, dass der Beschwerdeführer sehr gut integriert sei. Der Mann war 1994 in die Schweiz gekommen und 1996 als Flüchtling anerkannt.

Der Wirt arbeitete damals in einem Restaurant in Goldau.
Der Wirt arbeitete damals in einem Restaurant in Goldau. Bild: chmedia/andrea zahler

Heute führt er zusammen mit seiner Frau ein Restaurant und hat mehrere Angestellte. Seine beiden Kinder sind berufstätig. Als Wirt ist der Mann ein Teil des Gemeindelebens, ist Mitglied im Skiclub, wandert und unterstützt mit Sponsoren-Beiträgen und durch das zur Verfügung stellen von Räumlichkeiten die lokalen Vereine.

Handbuch überarbeiten

Nur der Selbstunfall trübte das Bild der gelungenen Integration. Denn das Gesetz verlangt die Beachtung der Rechtsordnung der Schweiz. Dieser Fakt sollte laut der Mehrheit der Richter nach Ablauf der strafrechtlichen Probezeit aber nicht automatisch zu einer Ablehnung der Einbürgerung führen.

Das SEM wird nach diesem Entscheid seine Verwaltungsverordnung einer Prüfung unterziehen müssen. Und auch wenn das Bundesgericht in der öffentlichen Beratung zu einem anderen Schluss gelangt wäre: Am 11. August 2025 läuft die zusätzliche Wartefrist von drei Jahren ab, wie sie das SEM-Handbuch bei Geldstrafen wie der hier vorliegenden vorsieht.

Elias Studer, der Anwalt des 60-Jährigen, erachtet das Urteil des Bundesgerichts von grundsätzlicher Bedeutung, weil das SEM nicht mehr formalistisch nach starren Schemen entscheiden dürfe.

Diese Rechtsprechung werde seines Erachtens auch von jenen Kantonen zu beachten sein, die «harte Killerkriterien» kennen. Das Urteil stelle somit einen grossen Fortschritt dar. Wer hier lebe und tatsächlich integriert sei, könne in Zukunft weniger einfach willkürlich von der gleichberechtigten politischen Teilhabe ausgeschlossen werden. (nib/sda)

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Nix sagen
21.05.2025 14:33registriert August 2020
Gut. Ist richtig so, man muss doch differenzieren welche Art von Delikt man begangen hat. Irgendwie läuft das einfach schief. Gefühlt darf jeder bleiben egal was er tut aber die die sich wirklich Mühe geben werden behindert.
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Kuriosum
21.05.2025 15:07registriert August 2017
Richtige Entscheidung. Danke.
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Bluedog5420
21.05.2025 15:11registriert Dezember 2024
Weg-weisend und dringend nötig.
Nicht nur bei der Einbürgerung.
X Urteile sollten sogar überprüft werden.
Betrifft auch Schweizer Bürger.
Nur zum Beispiel, wenn Schweizer ihre Steuererklärung gesundheitlich bedingt nicht ausfüllen können und mit absurden Bussen belegt werden.
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