Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hat einem seit über 30 Jahren in der Schweiz lebenden Türken die Einbürgerung nach einem Autounfall aufgrund der ansonsten erfüllten Integrationskriterien nicht verweigern dürfen. Dies hat das Bundesgericht entschieden.
Das SEM entschied, dass nach der strafrechtlichen Probezeit von zwei Jahren eine zusätzliche Wartezeit von drei Jahren abzuwarten sei. Es stützte sich auf sein Handbuch – eine Verwaltungsverordnung – das eine entsprechende Tabelle mit den jeweiligen Wartezeiten enthält.
Diese Verordnung ist für das Bundesgericht nicht bindend. Es verlangte in einer öffentlichen Beratung des Falles eine Gesamtbeurteilung aller Integrationskriterien und kein schematisches Vorgehen. Das Gericht hat die Beschwerde des Mannes gutgeheissen und den Fall an das SEM zurückgewiesen.
Die Schwyzer Staatsanwaltschaft verurteilte den heute 60-Jährigen wegen eines selbstverursachten Autounfalls 2020 zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen und einer Busse. Der Mann war am Steuer eingenickt und in einen Kandelaber gefahren. Verletzt wurde niemand.
Der Entscheid wurde während des laufenden Einbürgerungsverfahrens des als Flüchtling anerkannten Mannes rechtskräftig. Die Probezeit wurde auf zwei Jahre angesetzt. Wegen des Strafregister-Eintrags sistierten die Schwyzer Behörden das Einbürgerungsgesuch bis Mitte August 2025 – das heisst, für die Zeit nach Ablauf der strafrechtlichen Probezeit wurde eine zusätzliche Wartefrist von drei Jahren verfügt.
Eine Beschwerde des Türken hiess das Kantonale Verwaltungsgericht teilweise gut. Nach Ablauf der strafrechtlichen Probezeit sollte das Einbürgerungsverfahren wieder aufgenommen werden. Das Schwyzer Departement des Innern beantragte deshalb am 15. August 2022 beim SEM die Erteilung der eidgenössischen Einbürgerungsbewilligung. Dieses lehnte das wegen des Strafregister-Eintrags jedoch ab. Eine Beschwerde des Betroffenen ans Bundesverwaltungsgericht blieb ohne Erfolg.
Eine Mehrheit von drei gegen zwei Bundesrichtern kritisierte, dass ein schematisches Vorgehen nicht mit dem Bürgerrechtsgesetz, mit Artikel 4 der entsprechenden Verordnung und mit der Rechtssprechung des Bundesgerichts in diesem Bereich vereinbar sei. Eine Gesamtwürdigung sei immer vorzunehmen. Eine Ausnahme seien Fälle, bei denen ein Einbürgerungskandidat eine schwere Straftat begangen habe.
Im vorliegenden Fall hatte das Schwyzer Verwaltungsgericht festgehalten, dass der Beschwerdeführer sehr gut integriert sei. Der Mann war 1994 in die Schweiz gekommen und 1996 als Flüchtling anerkannt.
Heute führt er zusammen mit seiner Frau ein Restaurant und hat mehrere Angestellte. Seine beiden Kinder sind berufstätig. Als Wirt ist der Mann ein Teil des Gemeindelebens, ist Mitglied im Skiclub, wandert und unterstützt mit Sponsoren-Beiträgen und durch das zur Verfügung stellen von Räumlichkeiten die lokalen Vereine.
Nur der Selbstunfall trübte das Bild der gelungenen Integration. Denn das Gesetz verlangt die Beachtung der Rechtsordnung der Schweiz. Dieser Fakt sollte laut der Mehrheit der Richter nach Ablauf der strafrechtlichen Probezeit aber nicht automatisch zu einer Ablehnung der Einbürgerung führen.
Das SEM wird nach diesem Entscheid seine Verwaltungsverordnung einer Prüfung unterziehen müssen. Und auch wenn das Bundesgericht in der öffentlichen Beratung zu einem anderen Schluss gelangt wäre: Am 11. August 2025 läuft die zusätzliche Wartefrist von drei Jahren ab, wie sie das SEM-Handbuch bei Geldstrafen wie der hier vorliegenden vorsieht.
Elias Studer, der Anwalt des 60-Jährigen, erachtet das Urteil des Bundesgerichts von grundsätzlicher Bedeutung, weil das SEM nicht mehr formalistisch nach starren Schemen entscheiden dürfe.
Diese Rechtsprechung werde seines Erachtens auch von jenen Kantonen zu beachten sein, die «harte Killerkriterien» kennen. Das Urteil stelle somit einen grossen Fortschritt dar. Wer hier lebe und tatsächlich integriert sei, könne in Zukunft weniger einfach willkürlich von der gleichberechtigten politischen Teilhabe ausgeschlossen werden. (nib/sda)
Nicht nur bei der Einbürgerung.
X Urteile sollten sogar überprüft werden.
Betrifft auch Schweizer Bürger.
Nur zum Beispiel, wenn Schweizer ihre Steuererklärung gesundheitlich bedingt nicht ausfüllen können und mit absurden Bussen belegt werden.