Zu den vielen Begleiterscheinungen der Coronapandemie zählt ein enormer Fachkräftemangel. Dies ist besonders auffällig im Gastgewerbe, wo Kunden auf einmal auf verschlossene Türen treffen oder auf gekürzte Menükarten. Doch in den Bergregionen kommt zu Corona bereits heute ein verschärfter demografischer Trend hinzu. Der Mangel an Fachkräften ist ungleich grösser – auch die Folgen könnten es sein.
Im Kanton Graubünden wurden knapp 500 Unternehmen befragt von den «Dachorganisationen der Wirtschaft». Demnach kämpfen in der Hotellerie fast alle Betriebe mit Fachkräftemangel: 40 Prozent geben an, bei den letzten Stellenbesetzungen «grosse Mühe» gehabt zu haben, 46 Prozent hatten «teilweise Mühe». In der Gastronomie sind es 43 Prozent, die grosse Mühe hatten; 35 Prozent, die teilweise Mühe hatten.
Die Ursachen sind teils die gleichen wie in den Städten. Unlängst wurden diese in einer Studie beschrieben, die von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) erstellt wurde.
Es gebe im Gastgewerbe ohnehin ständig ein Kommen und Gehen: Jährlich würden fast 30 Prozent der Mitarbeitenden ersetzt. So sei dies auch in Coronajahren 2020 und 2021 gewesen, als viele Mitarbeitende unfreiwillig gingen – doch sie wurden nicht ersetzt, wie es in normalen Jahren geschehen wäre. Dann kam 2022, Corona liess nach, überraschend schnell setzte ein Boom ein. Das Gastgewerbe stand vor einer riesigen Lücke.
Es musste jene Mitarbeitenden ersetzen, die in den Coronajahren 2020 und 2021 unfreiwillig gegangen waren. Obendrauf musste es jene Stellen neu besetzen, die wie in jedem Jahr auch 2022 frei wurden. Damit nicht genug.
Durch den plötzlichen Boom schoss die schweizweite Zahl der offenen Stellen in die Höhe, frühere Rekordwerte wurden bei weitem übertroffen. Es wurde überall härter um Mitarbeitende gekämpft. Und das Gastgewerbe unterlag oft, da es längere Arbeitszeiten verlangt und tiefere Löhne zahlt. Am Ende rätselte die Schweiz, wohin all die Kellnerinnen und Köche verschwunden waren.
Solche Mechanismen spielten sich nicht nur in der Schweiz ab, sondern weltweit, wie eine Studie der OECD zeigte. Der Länderverein schrieb von einer «Flutwelle an unbesetzten Stellen». Das Gastgewerbe zählte zu den Branchen, die es weltweit am schlimmsten erwischte.
In den Skigebieten wird der Fachkräftemangel verschärft durch den demografischen Trend – der sich in den kommenden Jahren zuspitzen wird, aber schon heute ein Problem ist. In einer Analyse der Denkfabrik «Wirtschaftsforum Graubünden» heisst es «Personalmangel – wir sind bereits mittendrin!»
Und es geht rasend schnell weiter. Im Jahr 2020 war schon ein Ungleichgewicht da zwischen Jung und Alt, aber noch nicht allzu gross. Auf dem 100 Junge, die 20 Jahre alt wurden; kamen durchschnittlich 125 Alte, die 65 Jahr werden und in Rente gehen. Doch ab 2022 beschleunigt sich der demografische Wandel.
Auf 100 neue Junge, die 20 Jahre werden, kommen nun 250 neue Rentner. 2026 sind es schon 500 Rentner. Und so weiter. Im Jahr 2030, wird sie darum deutlich kleiner sein, die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter: 20 Prozent kleiner als heute. Jeder fünfte Arbeitnehmende wird nicht ersetzt.
Das hat natürlich Folgen, deren Ausmasse mit der Zeit noch grösser werden dürften.
Es beginnt mit Anschlägen, wie diesem: «Leider können wir das gewohnte Dining-Erlebnis momentan nicht bieten. Wir finden keinen Küchenchef.» Anderswo heisst es, man kriege kein Team zusammen. «Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr eure wundervollen Netzwerke aktiviert und zwei Köche zu uns führt.»
Auf den Mangel an Fachkräften reagieren Hotel oder Restaurant in den Skigebieten gleich wie in der ganzen Schweiz: Wenn sie können, bieten sie höhere Löhne. Das zeigt sich bereits in der laufenden Lohnrunde. Gemäss Prognosen gibt es in der Gastronomie die höchsten Lohnerhöhungen aller Branchen.
Dann geht es weiter in der Kausalkette. Die höheren Kosten werden an die Gäste weitergegeben. Das planen knapp zwei Drittel aller Gastrobetriebe in der Schweiz, laut der Konjunkturforschungsstelle KOF. So viele gaben in einer Umfrage an, die Preise erhöhen zu wollen in den nächsten drei Monaten. Nicht nur ihre Lohnkosten sind gestiegen, auch ihre Ausgaben für Strom, Heizen und Lebensmittel.
In den Skigebieten könnte die Kausalkette noch weitergehen, befürchtet das «Wirtschaftsforum Graubünden». Die Folgen könnten übler sein.
In den Bergregionen seien die Margen noch knapper, als sie es im Gastgewerbe ohnehin sind, so die Co-Geschäftsführerin der Denkfabrik, Brigitte Küng. Viele Betriebe sein nicht wirklich rentabel, geschätzt gelte dies für die Hälfte.
Sie machen zu wenig Umsatz, um dereinst Gebäude und Einrichtungen zu erneuern. So können sie kaum höhere Löhne zahlen und höhere Preise kaum durchsetzen. Und wenn beides nicht geht, könnte doch noch eintreffen, wovor seit Jahren gewarnt wird: eine grosse Marktbereinigung.
Viele Betriebe würden aufgeben oder sich mit anderen zusammentun müssen. Küng sagt: «Das ist ein Szenario, mit dem viele Branchenvertreter rechnen.»
Doch blieb eine solche Bereinigung bisher aus, selbst nach der Finanzkrise von 2008. Danach hatte sich der Franken stark verteuert, die deutschen Stammgäste wurden untreu und selbst das inländische Publikum flüchtete massenweise ins günstigere Österreich. Doch wie Küng sagt, zeigte sich in den Statistiken kein grosses Sterben von Gastrobetrieben in Graubünden.
Möglicherweise blieb damals vielen Hoteliers keine Wahl, als irgendwie weiterzumachen. Ihre Pensionskasse steckte im Hotel, wie Küng sagt. Durch das Zweitwohnungsgesetz kann es nicht verkauft und in Wohnungen umgewandelt werden. Eine Nachfolgerin, die es weiter betreiben wollte, fand sich nicht.
Wenn die damalige Finanzkrise keine Marktbereinigung auslöste, warum sollte es der Fachkräftemangel? Küng sagt dazu, damals sei es darum gegangen, dennoch neue Gäste zu finden. Im Nachhinein sei dies eine vergleichsweise leichte Aufgabe gewesen. Man habe etwa andere Länder angesprochen, man habe den Sommer und den Herbst besser vermarktet.
Doch der Fachkräftemangel vergrössere sich nun sehr schnell und in ungewohntem Ausmasse – verstärkt durch den demografischen Wandel. Küng sagt: «Ich kann nicht erkennen, wie wir diese Veränderungen bewältigen, ohne dass es eine grosse Marktbereinigung gibt.» (aargauerzeitung.ch)