Die Bibel kennt zehn Gebote, «Fight Club» acht Regeln, eine Entziehungskur vollzieht sich in zwölf Schritten – und Sophie Hunger hat bis heute gut zwanzig «Rules» getwittert. Sie hat nämlich am 6. August nicht mit Nummer eins, sondern gleich mit der elf begonnen. Eins bis zehn tat sie schon vor zwei Jahren im Film «The Rules of Fire» kund.
Und im Gegensatz zu ihrer musikalischen Düstermärchen-Feenhaftigkeit (mit der sie diesen Sommer in Deutschland in den Top Ten der Singlecharts und in Tschechien die Nummer eins ist) sind Sophies Regeln so kühl und hart wie ein geeistes Samuraischwert. Und genauso schneidend. Eine Radikalismus-Schule in 140 Zeichen, wie man sie sich von Schweizer Kulturschaffenden nur selten gewohnt ist. Wir haben uns ein paar ihrer Regeln angeschaut.
Rule 11: don't call your book, album, film or painting your "baby".
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 6. August 2015
Jawoll. Kinder sind Kinder, Kunst ist Kunst.Verwechslungen sind grundsätzlich ausgeschlossen. Es sei denn, Lady Gaga ruft an und will eine Geburt filmen für ein Musikvideo. Kann ja vorkommen. Man soll bitte auch nie mehr bei Schauspielern sagen, Mutter/Vater zu werden, sei «ihre/seine beste Rolle». Ähm, nein. Es ist keine Rolle. Es ist bloss das ganz normale, banale, langweilige Leben.
Rule 12: if you want to keep the possibility of joining a revolutionary movement, do not have children
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 7. August 2015
Nichts ist einleuchtender als das. Und nicht nur, weil die Revolution dafür bekannt ist, ihre Kinder zu fressen. Im Nahkampf gibt es keine Wickeltische. Auch wenn Martin Luther King vier, Che Guevara fünf und Karl Marx sechs Kinder hatte. Für die natürlich die diversen Mütter verantwortlich waren. Gegen diesen Tweet haben sich – wen wundert's, uns nicht – ausschliesslich Väter gewehrt. Mit Voten wie «Bullshit!» und «Meine Kinder haben mein Leben auf eine Weise verändert, wie es keine Revolution könnte». Ja, klar. Geht Flaschen wärmen statt zu schmeissen.
Rule 13: be aware that capitalism and democracy are a contradiction
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 8. August 2015
Dem muss man nichts mehr hinzufügen.
Rule 14: suggest at tonight's dinner table that David Bowie is like Madonna but with a brain and talent.
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 9. August 2015
Neiiiin! Neiiiiiiiin! Und schon haben wir das Tischgespräch.
Rule 16: don't send emails around with newspaper quotes saying your an outstanding artist, it proves you're not an outstanding artist.
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 10. August 2015
Stimmt. Danke. Das. Machen. Nämlich. Eigentlich. Alle. Weil wir schon lange nicht mehr (nur) in der Generation Praktikum, sondern vor allem in der Generation PR leben.
Rule 18: don't tell babies to shut up, shut up yourself and send your mom flowers.
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 10. August 2015
Die Frage «Wie furchtbar war ich eigentlich als Kind?» soll man sich ruhig ab und zu stellen. Und die Blumen darf man auch vorbeibringen.
Rule 22: having children is reproducing yourself, has nothing to do with modesty. But your own DNA of course seems essential.
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 12. August 2015
Und noch einmal werden werdende Eltern gebasht. Achtung, liebe DNA-Verschlepper: Euer Kind hat keine Verpflichtung, so zu werden wie ihr. Keine. Es hat auch keine Verpflichtung, euch zu lieben. In den meisten Fällen wird es dies allerdings tun.
Rule 26: ask yourself once in a while whom of your friends' corpse you'd eat first after having plane crashed in the desert and why that one
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 14. August 2015
Eine grossartige Regel! Und nach kurzem Nachdenken kommt man zum Schluss, dass man auf jedem Flug über die Wüste einen appetitlichen, gepflegten, aber nicht allzu dünnen Freund dabeihaben sollte, der sich womöglich vegan ernährt, weil ja auch bei Tieren Pflanzenfresser ganz einfach besser schmecken als Allesfresser.
Rule 27: Those who come by plane they bring their money and leave, those who come by boat they bring their soul and stay @kos @refugees
— Sophie Hunger (@SophieHunger) 15. August 2015
Nicht nur Til Schweiger, auch Sophie Hunger äussert sich zur Flüchtlingspolitik. Beide meinen das Gleiche, aber im Gegensatz zu ihm ist sie als Songwriterin einer wunderbar poetischen Sprache mächtig.
Sophie Hunger ist also kinderlos, da Revolutionärin. Ach so!