Die Schweiz ist im Fussballfieber. Und wer in diesen Tagen die Europameisterschaft der Frauen verfolgt, kommt nicht daran vorbei: Werbespots und Reklametafeln zeigen Mädchen beim Fussballspielen. Die Botschaft ist klar: Mädchen können ebenso Fussball spielen wie Jungs – macht mit!
Nicht nur grosse Firmen, schweizweit nutzen auch Fussballverbände das Turnier dazu, mehr Mädchen und Frauen zum Fussballspielen zu animieren. Der Schweizerische Fussballverband (SFV) lancierte dafür Anfang Jahr das «Legacy»-Projekt, das den Mädchen- und Frauenfussball in der Schweiz über die EM hinaus voranbringen will.
Tragen diese Bemühungen und der Schwung der EM bereits Früchte? «Es ist noch zu früh, um Bilanz zu ziehen», sagt Laury Herren, der beim Walliser Fussballverband für den Frauenfussball zuständig ist, auf Anfrage von watson.
Ähnlich äussern sich andere Regionalverbände. Die neue Spielsaison beginnt im August, genaue Zahlen von Anmeldungen bei den Vereinen erwartet man erst in ein paar Wochen.
Einige Verbände wagen jedoch bereits jetzt eine Prognose und sprechen von einem Boom, der sich in den Vereinen abzeichne. Nadine Wagner vom Innerschweizer Regionalverband sagt zu watson:
Das Interesse mache sich nicht nur im Breitensport, sondern auch in den Spitzensportteams bemerkbar: «Wir spüren eine enorme Motivation und Energie», sagt Wagner.
Dass mehr Mädchen und Frauen in Vereinen Fussball spielen wollen, ist eine Entwicklung, die die Verbände schon länger beobachten. Mehrere Verbände berichten gegenüber watson von kontinuierlich steigenden Spielerinnenzahlen in den vergangenen Saisons.
Doch nicht überall kann das grosse Interesse aufgefangen werden: Einige Vereine in der Innerschweiz führen bereits Wartelisten bei Juniorinnen-Teams, sagt Wagner vom Regionalverband. Und auch vonseiten anderer Verbände heisst es, dass insbesondere in den Städten der Druck auf Vereine zunehme und bald Spielerinnen abgewiesen werden könnten.
Die Unterschiede zwischen den Vereinen seien aber gross: Während Vereine in urbanen Regionen bereits mit Wartelisten arbeiteten, hätten ländlich geprägte Vereine noch genügend Platz, um Interessierte aufzunehmen, schreibt Stephan Häuselmann vom Ostschweizer Regionalverband.
Die Verbände sind sich einig: Die Entwicklung in den Mädchen- und Frauenteams zeigte bereits vor der EM nach oben. Aber: «Die EM in der Schweiz hat eindeutig als Katalysator gewirkt», schreibt Christophe Delley vom Regionalverband Fribourg auf Anfrage von watson.
Die Schweiz erlebe gerade einen Mentalitätswandel gegenüber dem Frauenfussball, ist Vincent Antonioli vom Regionalverband der Waadt überzeugt: «Wir stellen eine Veränderung fest.» Die EM spiele dabei eine wichtige Rolle: Eine grössere Sichtbarkeit stärke das öffentliche Image des Frauenfussballs. Und das helfe den Vereinen.
Denn noch immer müssten der Verband und die Vereine in der Waadt Überzeugungsarbeit leisten, damit Eltern ihre Töchter Fussball spielen lassen, so Antonioli:
Ausnahmslos alle Regionalverbände, die auf die Anfrage von watson geantwortet haben, berichten von grossen Herausforderungen bei der Infrastruktur: Es fehle an Plätzen, Garderoben – und Trainerinnen und Trainern. Dies sei nicht nur bei den Mädchen ein Problem, sondern auch bei den Jungen.
Denn die Anzahl lizenzierter Spielerinnen und Spieler nehme immer stärker zu, die Infrastruktur sei jedoch zum Teil seit Jahrzehnten grösstenteils die gleiche, sagt Laury Herren vom Walliser Regionalverband. An vielen Orten fehlten Garderoben oder Toiletten für Mädchen, sagt Herren:
Die Infrastruktur, die die Vereine nutzen, ist hauptsächlich im Besitz der Gemeinden. Um die Bedingungen für den Mädchen- und Frauenfussball zu verbessern, brauche es deshalb politischen Willen, sagt Herren. Die Verbände sehen aber nicht nur die kommunale Politik in der Pflicht. Auch kantonale Fonds schaffen bereits jetzt Abhilfe, heisst es aus dem Wallis.
Bald steht die Schweizer Nati der Frauen zum ersten Mal in einem EM-Viertelfinale. Sie haben im Turnier damit schon jetzt Historisches geschafft. Ob der Boom beim Nachwuchs nun tatsächlich kommt, wird sich zeigen, wenn die neue Spielsaison beginnt.