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So steht es um den Schweizer Frauenfussball vor der Heim-EM

Switzerland's Nadine Riesen, left, plays a ball against Germany's goallkeeper Sophia Winkler, right, during a women's international friendly soccer match between Switzerland and Germany ...
Nadine Riesen ist mittlerweile Profifussballerin.Bild: keystone

Kaum Profis: So steht es um den Schweizer Frauenfussball vor der Heim-EM

In sechs Monaten spielen die Schweizer Fussballerinnen an der Europameisterschaft im eigenen Land. Doch noch immer können sie kaum von ihrem Sport leben.
04.01.2025, 14:51
Raphael Gutzwiller / ch media
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Als Nadine Riesen 2015 zum ersten Mal in der höchsten Schweizer Liga aufläuft, ist die Fussballwelt noch eine andere. Ihr Trainingsmaterial beim FC St. Gallen wäscht sie selber, die Schuhe kauft sie sich aus ihrem Sackgeld und für ihren Einsatz auf dem Fussballplatz erhält sie: nichts.

Als sie zwei Jahre nach ihrem Debüt bei den YB-Frauen das erste Mal etwas Lohn erhält, ist sie erstaunt. «Geld spielte für mich bis dahin überhaupt keine Rolle im Fussball. Ich habe es einfach gemacht, weil ich Freude daran hatte. Ich konnte es fast nicht glauben, dass es dafür etwas gab», erzählt Riesen. Heute ist die 24-jährige Schweizer Nationalspielerin und Profi bei Eintracht Frankfurt in der deutschen Bundesliga.

In einem halben Jahr beginnt für das Schweizer Nationalteam die Europameisterschaft im eigenen Land. Riesen ist überzeugt: «Diese EM wird im Schweizer Fussball viel auslösen. Und wir Nationalspielerinnen wissen, dass wir mit unserer Leistung einen grossen Teil dazu beitragen können.»

Nationalspielerinnen werden jetzt erkannt

Wer mit Protagonistinnen im Frauenfussball spricht, der hört immer wieder, wie viel sich getan habe in den letzten Jahren. Aber auch, dass das Ende der Fahnenstange noch längst nicht erreicht ist.

«Wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen, aber wir sind auf einem guten Weg.»
Marion Daube

Marion Daube ist eine der Frauen, die in der Schweiz mitverantwortlich dafür ist, dass es vorwärtsgeht. 2009 steigt Daube beim FFC Seebach als Geschäftsführerin ein, fusioniert den Klub mit dem FC Zürich, formt ein Team, das zum Serienmeister und zum Vorbild für andere Schweizer Klubs wird. $

Inzwischen ist Daube Direktorin Frauenfussball beim Schweizerischen Fussballverband und dank ihrer erfolgreichen Kandidatur jene Frau, welche die EM in die Schweiz geholt hat. Sie sagt: «Wir sind noch nicht dort, wo wir hinwollen, aber wir sind auf einem guten Weg.»

Marion Daube, Direktorin Frauenfussball des SFV, spricht beim Magglingertag 2024, am Donnerstag, 31. Oktober 2024 in Magglingen. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Marion Daube ist heute Fussballdirektorin beim Schweizerischen Fussballverband.Bild: keystone

Wenn das Schweizer Nationalteam spielt, strömen die Fans in die Stadien. Über 17'000 Fans waren beim Heimspiel Ende November gegen Deutschland im Stadion. Es ist Rekord für ein Frauen-Länderspiel in der Schweiz. In diesem Jahr wird dieser Rekord sicher wieder gebrochen. Ziel ist es, dass alle Spiele an der EM ausverkauft sind. «Wir merken, dass sich in der öffentlichen Wahrnehmung einiges verändert hat», stellt Riesen fest. Wenn sie heute durch St. Gallen geht, wird die Appenzellerin oft erkannt. «Das war früher überhaupt nicht so. Aber die Menschen verfolgen uns mittlerweile. Das ist schön.»

«Es ist nicht einfach als Frau, in dieser Sportkultur etwas zu bewegen.»
Marion Daube

Natürlich steht das Nationalteam in der öffentlichen Wahrnehmung an vorderster Stelle, aber auch in der heimischen Liga hat sich einiges getan, stellt Marion Daube fest. «Inzwischen ist die Liga attraktiv für Partner, Zuschauende und Sponsoren.» 2021 wurde aus der Nationalliga A die Women's Super League, neu gibt es einen Titelsponsor. Viele Teams spielen mittlerweile regelmässig in den grossen Stadien.

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Lara Dickenmann war Sportchefin bei GC.Bild: keystone

In der Schweiz waren zuletzt insbesondere ehemalige Fussballerinnen an vorderster Front zuständig für die Entwicklung. Mehrere Nationalspielerinnen haben nach ihrer Karriere als Spielerin führende Funktionen bei Klubs angetreten. Lara Dickenmann bei GC, Patricia Willi bei St. Gallen, Sandra Betschart bei den YB-Frauen, Gaëlle Thalmann bei Lugano oder Sandy Maendly bei Servette. Viele sind aber schon wieder weg in ihrer Funktion. Marion Daube weiss, dass es nicht immer einfach ist in der männerdominierten Sportart. «Es ist nicht einfach als Frau, in dieser Sportkultur etwas zu bewegen. Es braucht einen sehr langen Atem.»

Der finanzielle Unterschied zum Ausland

Mit dem Titelsponsor kam auch ein neuer Modus, der Titel wird in einem Playoff-System vergeben. Doch der Modus sorgt immer wieder für Debatten. 2022 endete beispielsweise der Ligafinal in einem Penaltyschiessen. Davor hatten die unterlegenen Genferinnen nach einem Platzverweis fast eine Stunde lang in Unterzahl spielen müssen. Deshalb gibt es im Final neu ein Hin- und Rückspiel. «Dadurch ist es fairer», sagt Daube.

Servette Spielerin Monica Soraia Amaral Mendes, Mitte, stemmt den Pokal des Fussballschweizermeisters nach dem 3:1 Sieg im Final der Women's Super League Fussball Meisterschaft zwischen Servette  ...
Servette ist amtierender Meister in der Women's Super League.Bild: keystone

Inzwischen ist die Liga zwar professioneller geworden, dennoch können nur die wenigsten Fussballerinnen in der Schweiz von ihrem Sport leben. Das zeigen Zahlen aus der Women's Super League.

Nicht einmal die Hälfte der Spielerinnen erhält mehr als die 500 Franken Spesen, die für Amateurspielerinnen pro Monat maximal ausbezahlt werden dürfen. Geschätzt können in der Schweizer Liga nur 20 Spielerinnen vom Fussball leben. «Es ist gut, dass wir immer mehr Spielerinnen haben, die nicht mehr reine Amateurinnen sind. Doch wir bewegen uns hier auf tiefem Level», sagt Daube. «Der Unterschied zwischen den Nationalspielerinnen, die in der Schweiz spielen, und jenen im Ausland ist finanziell gesehen noch viel zu gross.»

Wollen Schweizer Fussballerinnen Profis werden, gibt es für viele noch immer in erster Linie den Weg ins Ausland. Auch Riesen hat diesen Schritt gewagt. Nach der WM 2023 wechselte sie in die Bundesliga nach Frankfurt. «Mich hat es gereizt, sportlich einen Schritt weiterzukommen, in der besseren Liga motiviert zu bleiben und mehr an mir zu arbeiten», sagt Riesen.

«Ich hoffe, dass heute besser in die eigenen Nachwuchsspielerinnen investiert wird und diese besser gefördert werden.»
Nadine Riesen

Aber natürlich sei auch das Geld ein Aspekt gewesen. «In Frankfurt kann ich jetzt Profi sein, das war vorher nicht möglich. Es gibt aber sicher auch Fussballerinnen in der Schweiz, die etwa so viel verdienen wie ich. In Deutschland ist das Leben aber etwas günstiger, weshalb es einfacher ist, davon zu leben.» Abgesehen davon seien jedoch auch Bedingungen zum Trainieren in Frankfurt besser, als es Riesen von Schweizer Klubs gewohnt war.

Manchmal sei der Vergleich mit dem Männerfussball ein harter, sagt Riesen. «Natürlich weiss ich, dass es in anderen Sportarten nicht besser ist als bei uns. Doch wir haben immer den Vergleich mit dem Männerfussball. Es ist dieselbe Sportart, nur das Geschlecht ist ein anderes. Deshalb wissen wir, was noch alles möglich wäre.»

Besonders krass sei dies für sie im Nachwuchs gewesen. Während die Jungs schon bei der U15 professionell gefördert wurden, wechselte Nadine Riesen als 15-Jährige direkt von den C-Juniorinnen des FC Bühler in die 1. Mannschaft des FC St. Gallen. Eine wirkliche Ausbildung erhielt sie nicht. «Ich hoffe, dass heute besser in die eigenen Nachwuchsspielerinnen investiert wird und diese besser gefördert werden», sagt sie. In Deutschland sieht sie heute manchmal, was in der Schweiz noch fehlt. Die Gleichbehandlung von Jungs und Mädchen sei fortgeschrittener.

Auch Marion Daube sagt, dass die Nachwuchsförderung entscheidend ist. Zuletzt hat sie hierbei ein Problem festgestellt: In der Liga werden vermehrt Spielerinnen aus dem Ausland verpflichtet. Das sei ein Problem für die Förderung des Schweizer Nachwuchses. «Unsere Klubs sollten den Anreiz haben, den eigenen Nachwuchs zu fördern», so Daube.

Mehr Spielerinnen – und mehr Trainerinnen

Ebenfalls für die Entwicklung des Frauenfussballs engagiert sich Jennifer Wyss. Sie spielte beim FC St. Gallen und beim FC Luzern in der Super League, mittlerweile ist die Mittelfeldspielerin beim FC Wil in der Nationalliga B aktiv. Daneben arbeitet die 21-Jährige Vollzeit für den Ostschweizer Fussballverband (OFV). Dort ist sie dafür zuständig, dass die Nachhaltigkeitsprojekte an der Basis umgesetzt werden. «Diese EM ist eine riesige Chance dafür, den Frauenfussball weiterzuentwickeln», sagt Wyss.

Jennifer Wyss spielte in der Super League und kickt nun für den FC Wil. Beim Ostschweizer Fussballverband ist sie für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsprojekte zuständig.
Jennifer Wyss spielte in der Super League und kickt nun für den FC Wil. Beim Ostschweizer Fussballverband ist sie für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsprojekte zuständig.Bild: Beat Lanzendorfe

Zum Beispiel bietet der OFV neu Kurse nur für Trainerinnen an. Das offizielle Ziel des Verbandes ist es, dass bis 2027 die Anzahl der Spielerinnen verdoppelt wird – genauso aber auch die der Trainerinnen, Schiedsrichterinnen und der Funktionärinnen. «Die Anzahl der Spielerinnen wird mit der EM und der gestiegenen Aufmerksamkeit erhöht, darum ist es wichtig, dass auch in den anderen Funktionen mehr Frauen tätig sind. Wenn plötzlich viel mehr Mädchen Fussball spielen möchten, müssen wir bereit sein», betont Jennifer Wyss.

Sie arbeitet daneben noch als Assistenztrainerin der U14-Mädchen des FC Wil und sieht einen Unterschied zu ihrer Zeit als Nachwuchsfussballerin. «Ich spielte immer mit Jungs und wechselte mit 15 Jahren direkt in das Super-League-Team. Ich hatte sogleich einen Stammplatz. Heute geht der Weg für die meisten Spielerinnen deutlich länger. Das Niveau steigt, und es ist nicht mehr so einfach, in die höchste Liga zu kommen.»

Bis vor kurzem mussten die Fussballerinnen des FC Wil sogar noch Mitgliederbeitrag bezahlen, nach der Eingliederung in die AG entfällt dieser immerhin. Zudem werden die Trainingskleider gewaschen und die Spielerinnen dürfen den Fitnessraum des Männerteams mitnutzen. «Das klingt alles nach Kleinigkeiten, für uns sind das aber wichtige Dinge, für die wir enorm dankbar sind», so Jennifer Wyss.

Die Protagonistinnen sind überzeugt, dass die Europameisterschaft dem Fussball der Frauen einen grossen Schub geben wird, die Aufmerksamkeit werde steigen. Marion Daube sagt: «Auch der Männerfussball hat Zeit gebraucht, sich zu entwickeln. Wir sind jetzt mittendrin in diesem Prozess.» Der Schweizer Frauenfussball ist auf dem Vormarsch. (aargauerzeitung.ch)

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HundBasil
04.01.2025 15:01registriert Mai 2018
Es ist ganz einfach. Wenn sich genügend Menschen für Frauenfussball interessieren und dafür auch Geld ausgeben, dann profitieren die Spielerinnen auch finanziell davon. Wenn nicht, dann halt nicht. So funktioniert der Markt. Ideologisch herbeigeschrieben kann der Erfolg. Ausser in Nordkorea. Dort funktioniert das.
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Chanti10
04.01.2025 15:31registriert Juli 2023
"Als Nadine Riesen 2015 zum ersten Mal in der höchsten Schweizer Liga aufläuft [...]"
"[...] die Schuhe kauft sie sich aus ihrem Sackgeld und für ihren Einsatz auf dem Fussballplatz erhält sie: nichts."
"Heute ist die 24-jährige [...]"

Sie musste sich also mit 14 eigene Sportschuhe kaufen und wurde für das Spielen nicht bezahlt?
Skandal.
Mädchen sollten im Fussball das geschenkt bekommen, wofür Jungs auch selbst aufkommen müssen.
Alles andere wäre ja nicht fair...
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Junge Schnuufer
04.01.2025 15:18registriert April 2018
Die Antwort auf die Frage wieso so wenige Frauen Profis sind findet man im Hintergrund der Bilder im Artikel. Leere Sitze. Solange diese leer bleiben ist es rein wirtschaftlich gesehen auch schwer eine professionelle Liga zu finanzieren.
Ob die EM daran etwas ändert wird sich zeigen. Ich bin sehr gespannt.
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