Fast genau 19 Jahre sind seit dem Tag vergangen, den viele Walliser bis heute nicht verdaut haben. Am frühen Morgen des 19. Juni 1999 hatten sich Tausende auf der Place de la Planta in Sitten versammelt, um den sicher scheinenden Erfolg der Olympiakandidatur Sion 2006 zu feiern. Dann trat Juan Antonio Samaranch, der greise Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), im fernen Seoul ans Mikrofon und verkündete: «The winner is Torino!»
Von einem Moment auf den anderen kippte die Festlaune in Konsternation und blanke Wut. Die Walliser Bewerbung, die von der zuständigen IOK-Kommission die besten Noten erhalten hatte, war gescheitert, und das nicht knapp, sondern deutlich. In den bald zwei Jahrzehnten, die seither vergangen sind, hat sich die Olympiabegeisterung in der Schweiz und im Wallis massiv abgekühlt.
Mehrere Anläufe scheiterten in der Frühphase oder spätestens in der Volksabstimmung. Die Bündner sagten in den letzten Jahren zweimal Nein. Nun hat es auch das Wallis erwischt: Mit der Ablehnung des kantonalen 100-Millionen-Kredits ist die Olympiakandidatur Sion 2026 gescheitert, bevor sie abheben konnte. 54 Prozent wollten nichts von ihr wissen.
Der geballte Einsatz des Politik- und Sportestablishments konnte das Olympische Feuer im Rhonetal und den vielen Seitentälern nicht entzünden. Selbst die Gegner waren über die negative Stimmung erstaunt. Während der Olympia-Euphorie der 90er Jahre mussten sie mit Handgreiflichkeiten rechnen. Jetzt wurden sie sogar von verbalen Anfeindungen verschont.
Das Ergebnis der Abstimmung erstaunt deshalb nicht. Bedauerlich ist es trotzdem. Olympische Spiele sind für Sportler und Fans ein tolles Erlebnis. Es wäre erfreulich, wenn die grosse Wintersportnation Schweiz sie wieder einmal durchführen würde. Die Voraussetzungen sind vorhanden. Und dennoch ist das erneute Scheitern einer Kandidatur verständlich.
Seit Sion 2006 hat sich das IOK nach Kräften bemüht, seine wertvolle Marke Olympia zu ruinieren. Die Skandalspiele in Sotschi 2014 waren ein Tiefpunkt, mit dem russischen Staatsdoping und den immensen Kosten, die oft in dunkle Kanäle versickerten. Die verlotterenden Sportstätten von Athen 2004 und Rio 2016 sind ebenfalls kein Ruhmesblatt, sondern ein trübes Zeugnis eines ausser Kontrolle geratenen Olympia-Gigantismus.
In den letzten Jahren sind Bewerbungen nicht nur in der Schweiz am Stimmvolk gescheitert, sondern auch in anderen Ländern, etwa Deutschland und Österreich. Das IOK hat unter seinem neuen Präsidenten Thomas Bach erkannt, dass es sich ein massives Glaubwürdigkeitsproblem einhandelt, wenn die Spiele nur noch in autoritär regierten Ländern ausgetragen werden.
Mit der Agenda 2020 sollen Olympische Spiele nachhaltiger werden. Man will in Zukunft primär existierende Sportstätten nutzen. Bisher ist sie nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Bei den Winterspielen steht der Tatbeweis noch aus. Mit der Vergabe der Spiele 2026 hat das IOK die Chance, ihn auch nach dem Aus der Walliser Kandidatur zu erbringen.
Konkret bedeutet dies, dass das IOK die «Erdogan-Spiele» im türkischen Erzurum schon bei der Vorauswahl im Oktober herausfiltern sollte. Es droht eine Wiederholung des Sotschi-Debakels. Dafür sollten wir der österreichischen Bewerbung von Graz/Schladming die Daumen drücken. Sie setzt wie Sion 2026 auf bestehende Anlagen. Bob/Rodeln/Skeleton und Eisschnellauf sollen in Bayern stattfinden.
Für viele Schweizer ist es eine Zumutung, im Wintersport den «Erzfeind» Österreich zu unterstützen. Nur so aber besteht die reale Aussicht, dass Winterspiele in absehbarer Zeit wieder einmal bei uns stattfinden werden. 54 Prozent Nein sind keine unüberwindliche Hürde.