Ein Olympiasieger soll dem Wallis zu Olympischen Spielen verhelfen. Ramon Zenhäusern, 25 Jahre alt und zwei Meter gross, gewann im Februar in Pyeongchang Gold im Teamwettkampf und Silber im Slalom. Für die Verfechter der Olympiakandidatur Sion 2026 ist der Skistar aus Visp ein Geschenk des Himmels. Seit seinem Triumph weibelt er für Winterspiele in seinem Kanton.
Den jüngsten Auftritt hatte Zenhäusern am Montag an einer Infoveranstaltung in Naters bei Brig, zusammen mit dem früheren Paralympics-Champion Hans-Jörg Arnold. Der Schwede André Myhrer, der ihn in Korea im Slalom geschlagen hatte, sei bei seinem Sieg 35 Jahre alt gewesen, sagte er und fügte an: «Bei den Spielen in Sion werde ich 33 sein.» Also im besten Skirennfahreralter.
Die Lacher im Saal hatte der Goldjunge damit auf seiner Seite. Für ihn ist es keine Frage, dass er die Winterspiele 2026 gerne im eigenen Kanton erleben und bestreiten möchte. «Je mehr ich das Dossier studiert habe, umso mehr bin ich dafür», sagte Zenhäusern. Bei den Landsleuten im Rhonetal und den vielen Seitentälern muss er noch einige Überzeugungsarbeit leisten.
Am 10. Juni entscheiden die Walliser über eine Beteiligung des Kantons von 100 Millionen Franken. Letztlich ist es ein Votum für oder gegen Sion 2026. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Walliser Medien zeigt, dass das Stimmvolk tief gespalten ist. 46 Prozent wollen den Kantonsbeitrag sicher oder wahrscheinlich annehmen, 47 Prozent tendieren zum Nein.
Die Marke Olympia hat auch im Wallis an Strahlkraft verloren, trotz Ramon Zenhäuserns Edelmetall. Die Euphorie erreicht längst nicht mehr die Ausmasse wie bei den gescheiterten Kandidaturen Sion 2002 und 2006 in den 90er Jahren. Das haben auch die Gegner realisiert. «Wir sind noch im Rennen», kommentiert Brigitte Wolf, die Präsidentin der Grünen Oberwallis, die Umfrage erfreut.
Der hohe Nein-Anteil sei «erstaunlich», wenn man die Kampagne der Befürworter betrachte, meint Wolf. Diese richten mit der grossen Kelle an. Dazu gehören Plakate, mehrseitige Inserate in den Zeitungen und Infoanlässe wie jener in Naters. Das Nein-Lager, bestehend aus den linksgrünen Parteien und Umweltorganisationen, muss mit einem Budget von 100'000 Franken auskommen.
Bei den Olympia-Befürwortern ist eine gewisse Nervosität nicht zu übersehen. Das zeigt der Auftritt des Hauptredners: Christophe Darbellay, langjähriger Präsident der CVP Schweiz und seit 2017 Mitglied der Kantonsregierung. Er hält ein engagiertes, teilweise fast überdrehtes Votum, obwohl er zu den Bekehrten predigt: Gegner hat es so gut wie keine im Saal. Der Anlass ist gut besucht, von einem Grossandrang aber kann keine Rede sein.
Die Skepsis im Kanton sei ihm bewusst, sagt Darbellay beim Apéro im Gespräch mit watson. Für die vielen Nein-Stimmen in der Umfrage nennt er zwei Gründe: «Das Unterwallis fühlte sich vernachlässigt.» Nun soll ein Teil der Curling-Wettkämpfe von Visp nach Champéry verlegt werden. «Auch die zeitweilige Schliessung der Bergbahnen in Crans-Montana hat uns nicht geholfen», räumt der Staatsrat ein.
Diese Probleme seien überwunden. «Jetzt verspüre ich einen positiven Trend», macht Christophe Darbellay auf Zweckoptimismus. Gewonnen ist die Abstimmung damit nicht, denn für die fehlende Euphorie im Wintersportkanton Wallis gibt es drei gewichtige Gründe:
Das Geld werde das grosse Thema bei der Abstimmung sein, glaubt Brigitte Wolf. Im Kanton würden sich viele fragen, ob man die 100 Millionen nicht besser investieren könne: «Es ist zu viel Geld für zu wenig Output.» Umso mehr, als die Gemeinden 40 Prozent der Infrastrukturkosten tragen müssten. Zudem seien viele Fragen offen, so die Grünen-Präsidentin.
«Es bleibt bei 100 Millionen Franken, mehr gibt es nicht», betont Christophe Darbellay am Infoanlass. 60 Millionen sind für die Infrastruktur vorgesehen, 40 Millionen für die Sicherheit. Doch schon bei diesem Punkt gibt es Fragezeichen. Die «Üsserschwyzer» Kantone haben signalisiert, dass sie ihre Polizisten nicht gratis ins Wallis abkommandieren wollen.
Bei den Sportanlagen ist ebenfalls nicht alles geklärt. Das gilt für das Skispringen und besonders den Eisschnelllauf. Baut man mit privaten Investoren eine Indoor-Anlage, die später als Industriehalle genutzt werden könnte? Führt man es wie früher als Freiluft-Veranstaltung durch (laut dem kantonalen Olympia-Delegierten Ralf Kreuzer die bevorzugte Variante)? Oder verlagert man die Wettkämpfe ins Ausland, etwa ins Eisschnelllauf-Mekka Holland?
Olympia will wegkommen vom Gigantismus wie in Sotschi 2014. Gemäss der Agenda 2020 von Thomas Bach, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOK), sollen künftig in erster Linie bestehende Anlagen genutzt werden. «Die Spiele in Sion 2026 sind Olympische Spiele 4.0. Die letzten Spiele der alten Zeit sterben mit Peking in vier Jahren», sagt Christophe Darbellay.
Entsprechend gross wird die Nachhaltigkeit hervorgehoben. Irritierend wirkt am Infoabend in Naters deshalb, wie der Staatsrat und andere Redner mehrfach die Zweitwohnungs-Initiative oder das im Wallis besonders heftig bekämpfte Raumplanungsgesetz anprangern, unter denen der Kanton angeblich stark leidet. Oder gegen den Wolf schiessen, das ewige Walliser Reizthema.
Wenig überzeugend wirkt für Brigitte Wolf auch das Bekenntnis von FC-Sion-Präsident Christian Constantin, er wolle ein olympisches Öko-Dorf bauen. Für seinen PR-Stunt mit Skilegende Pirmin Zurbriggen auf dem Matterhorn erhielt er vom Kanton eine Busse wegen «unsachgemässer Verbrennung von Abfällen». Ähnliches gilt für die Walliser Bundesparlamentarier, die in Bern als Bremser beim Natur- und Umweltschutz auftreten und nun das Lied der olympischen Nachhaltigkeit anstimmen.
Die Umfrage der Walliser Medien hat ergeben, dass 63 Prozent der Befragten eher oder gar kein Vertrauen in das IOK haben. Der Glaube an ein Ende des Gigantismus scheint zu fehlen. «Das Misstrauen gegen das IOK ist das stärkste Argument der Gegner», räumt Christophe Darbellay gegenüber watson ein. Vor dem Plenum spricht er Klartext: «Wenn man von uns eine neue Eishalle oder Sprungschanze will, können wir sagen: Ohne uns!»
Seine Kontrahentin Brigitte Wolf ist keine Sportfeindin, im Gegenteil. Die gebürtige Bündnerin war eine Weltklasse-Athletin im (nicht olympischen) Orientierungslauf. An der Heim-WM in Rapperswil 2003 gewann sie Gold mit der Frauen-Staffel. Sie sei nicht gegen die Wettkämpfe, aber man solle sie durchführen, wo es passe. Zum Beispiel Eishockey in Kanada oder Eisschnelllauf in Holland.
Damit aber hätten die Fans nicht mehr die Möglichkeit, verschiedene Sportarten auf relativ engem Raum zu erleben. «Die Idee wäre gut, aber sie ist zu gross geworden», erwidert die Leiterin der Nein-Kampagne und betont: «Wir glauben nicht an die Agenda 2020 des IOK. Wie sollen kleinere Spiele möglich sein? Es sind immer noch 100 Wettkämpfe mit 3000 Sportlern.»
Solche Argumente scheinen im Wallis anders als bei den Kandidaturen vor 20 Jahren auf fruchtbaren Boden zu fallen. Damals wurde der WWF-Geschäftsführer im Unterwallis zusammengeschlagen. Brigitte Wolf hat trotz ihrer exponierten Rolle keine negativen Erfahrungen gemacht: «Ich habe keine bösen Mails oder Briefe erhalten und werde auch auf der Strasse nicht angefeindet.»
Das ist ungewöhnlich für das Wallis, in dem politische Debatten häufig eher rustikal ausgetragen werden. Die Politikerin ist in Naters anwesend, das SRF dreht mit ihr und Darbellay einen Beitrag für «Schweiz aktuell». Ihre Gespräche mit dem befürwortenden Publikum beim Apéro verlaufen sehr sachlich. «Beim Thema Wolf würde es ganz anders tönen», meint Frau Wolf.
Ihr Gegenspieler ist sich bewusst, dass es bis zur Abstimmung noch viel zu tun gibt: «Es wird knapp, wir müssen bis zuletzt kämpfen», appelliert Darbellay an das Publikum. Bei einem Nein am 10. Juni ist eine weitere Schweizer Olympia-Kandidatur erledigt. Wenn das IOK nicht den Tatbeweis für seine Agenda 2020 erbringt, dürfte es für eine ziemlich lange Zeit die letzte gewesen sein.