Auch drei Tage nach dem Schlusspfiff schlägt das Spiel der Schweizer Nationalmannschaft gegen Serbien hohe Wellen. Besonders im Herkunftsland von Granit Xhakas Familie, dem Kosovo.
Dieses Mal hat sich die kosovarische Feministin Zana Avdiu in die Debatte eingebracht und mit einem Facebook-Post Xhakas Griff in den Schritt scharf kritisiert:
Den Post veröffentlichte Avdiu gestern Abend, kurz bevor sie in einer Sport-Talkshow des privaten kosovarischen Senders T7 auftrat. Dort legte sich die Juristin und Menschenrechtsaktivistin mit vier anderen Kommentatoren – ausschliesslich Männern – an und wich keinen Zentimeter von ihrem Standpunkt ab.
Abgesehen von Xhakas obszöner Geste störe sie viel mehr die Tatsache, dass das Foto abermals und voller Stolz in den sozialen Medien geteilt wurde: «Seit zwei Tagen beschäftigen wir uns mit diesem Foto, das die Person von Granit Xhaka selbst degradiert. Welchen Wert hat dieses Foto für uns? Was sagt das über unsere Gesellschaft aus, wenn wir eine solche Geste abfeiern?»
Die (albanischstämmigen, Anm. d. Redaktion) Spieler hätten achtsam sein und dem grossen Druck jenes Landes und Fussballverbandes standhalten müssen, die weder Sport noch Kunst von Politik zu trennen wüssten, erklärte Avdiu weiter. Das habe man bei diesem Spiel wieder sehen können, als beispielsweise die serbischen Fans «faschistische Rufe» skandiert hätten. Die Juristin erwähnt auch die rassistischen Beleidigungen des serbischen Trainers und das Fehlverhalten der serbischen Spieler gegenüber Granit Xhaka.
Avdiu wird immer wieder von ihren männlichen Kollegen unterbrochen, sie hätte die Bedeutung der Geste nicht verstanden. «Erklärt es mir!», fordert Avdiu von ihren Kontrahenten.
«Als allererstes verstehst du die Emotionen eines Fussballers nicht», wirft ihr ein anwesender Analyst vor. Die Juristin kontert: «Als allererstes kannst du mir schon mal gar nicht sagen, was ich zu verstehen und nicht zu verstehen habe.»
Die Männer eiern herum und beantworten Avdiu ihre Frage nicht. Dann legt diese noch einen drauf und sagt: «Ich erkläre es euch: Die Geste von Granit Xhaka symbolisiert einen sexuellen Übergriff!»
Es hätte etliche andere Momente dieses Spieles gegeben, auf die man hätte stolz sein können: Da wäre das Tor von Shaqiri, die Tatsache, dass Xhaka als «Man of the Match» ausgezeichnet wurde, oder dass Shaqiri sich mit Weltfussballern wie Messi oder Ronaldo gleichsetzen kann. Stattdessen sei das alles in den Schatten gestellt und in der albanischen Community vor allem das Foto geteilt worden, auf dem Xhaka sich in den Schritt fasst.
Avdiu wendet sich an einen der Kontrahenten: «Wenn dich eine solche Geste oder dieses spezifische Glied deines Körpers stolz macht, dann empfinde ich nur Mitleid mit dir – für deinen niveaulosen Stolz.»
Nachdem die Juristin ihren Standpunkt erklären durfte, wird der Vater des Captains, Ragip Xhaka, per Telefon live ins Studio zugeschaltet. Er sei nicht in der Schweiz und könne sich nicht per Kamera in die Sendung einschalten. Gleich zu Beginn entschuldigt er sich: «Ihr wisst sehr wohl, dass ich eigentlich kein Mensch von TV-Sendern, Kameras oder Zeitungen bin. Ich bin ein Mensch der Aufopferung, der Arbeit und der Gefängnisse.»
Ragip Xhaka war bereits in seinen jungen Jahren im Kosovo politisch aktiv und setzte sich für die Rechte der Albaner ein. Er wurde deshalb vom serbischen Regime verfolgt und sass mehrere Jahre im Gefängnis, wo er Folter und Misshandlungen ausgesetzt war. Nach seiner Freilassung floh er mit seiner Familie in die Schweiz.
«Ich wollte nur diese Dame, Zana, daran erinnern … nicht, dass ich hier zu sehr ins Detail gehe und sage, wer sie ist», fährt Xhaka Senior fort.
Die Juristin hakt nach: «Ich verstehe nicht, was er genau damit meint …» Noch bevor sie ihre Frage fertig formulieren kann, fällt ihr Xhaka ins Wort: «Ich bitte dich, mit dir will ich keine einzige Diskussion! Ich habe nicht dich angerufen.»
Dann fährt Xhaka mit seiner Tirade fort und spricht von der anwesenden Juristin stets in der dritten Person:
Ragip Xhaka ist vom Facebook-Post der Feministin sichtlich getroffen und hochemotional. Er entschuldigt sich erneut, es sei nicht seine Art, an derartigen Debatten mit «solchen Menschen» teilzunehmen und auf ein solches Niveau herabzusteigen.
«Sie nennt Granit einen Strassenjungen («rrugaç»), ohne dabei die Bedeutung dieses Wortes zu kennen. Sie stellt euch hier vor ein Gericht und kritisiert die Geste, von der sie nicht mal die Bedeutung versteht, und spricht hier von sexuellen Dingen, die nicht existent sind. Man stelle sich das vor.»
Diese Geste könne im Affekt passieren, entschuldigt der Vater seinen Sohn Granit.
Um die Empörung von Ragip Xhaka verstehen zu können, muss man wissen, dass die albanische Bezeichnung «rrugaç» eine sehr negative Konnotation hat. Die Bezeichnung steht für einen Jungen, der kein fürsorgliches Elternhaus hat und auf den Strassen rumlungert. Das Wort ist am ehesten mit «Vagabund», «Strassenjunge» oder «Streuner» zu übersetzen. Folglich hat ein «rrugaç» auch keine Manieren, was wiederum auf die Eltern zurückfällt.
Ragip Xhaka fährt fort: «Diese Menschen beleidigen seine Mutter, seine Ehefrau und seine Kinder, machen etliche Gesten, skandieren ‹Tötet die Albaner!›, ‹Kosovo ist Serbien!› und sie nennt Granit einen Strassenjungen.»
Als die Moderatorin eine Zwischenfrage stellen möchte, geht Xhaka davon aus, dass die Juristin sich wieder einbringen will, und kontert: «Ich bitte Sie, ich will nicht mit Ihnen diskutieren!»
Die Moderatorin gibt sich zu erkennen und kann deshalb ihre Frage an Xhaka Senior doch noch stellen: «Haben Granits Groll und seine Gesten mit Ihrer Vergangenheit in den serbischen Gefängnissen zu tun?»
«Ich bitte Sie, ich erkläre es Ihnen doch: Die Familie Xhaka hat sich nie ergeben und ergibt sich nicht. Granit Xhakas Geste war weder politisch noch chauvinistisch. Granit ist Granit. Er hat diese Geste nicht gemacht, um jemanden zu beleidigen. Es ist eine Schande, dass sie (Juristin, Anm. d. Redaktion) diese serbischen Thesen stützt.»
Die Moderatoren möchten wissen, ob der Vater mit Granit in Kontakt steht und was er nach dem Spiel gesagt habe. Xhaka Senior antwortet bestimmt: «Ich stehe mit Granit Tag für Tag, Stunde um Stunde, Minute um Minute in Kontakt. Denn er ist mein Sohn.»
Was Granit nach dem Spiel gesagt habe, sei Privatsache, erklärt Xhaka Senior weiter. Granit fühle sich jedoch sehr verletzt von Menschen wie «dieser Zana». Niemals von Gegnern und Feinden, aber von Menschen, die die Thesen aus Serbien und derjenigen, die ihn aufs Übelste beleidigt haben, stützten.
«Granit Xhaka setzt sich immer gegen Gewalt an Frauen im Kosovo ein. Er setzt seine Karriere aufs Spiel und sagt der Welt, wer unsere albanischen Mütter, Schwestern und Kinder vergewaltigt hat – über 20’000 Opfer (Vergewaltigungsopfer während des Kosovokrieges, Anm. d. Redaktion). Und sie kommt daher und nennt Granit einen Strassenjungen?»
Und dann kommt es zum Showdown und Ragip Xhaka droht der Juristin: «Ich warne sie noch einmal: Sie soll aufpassen, was sie über die Familie Xhaka schreibt.»
«Sonst passiert was?», entgegnet die Juristin unbeeindruckt von Xhakas Drohungen.
«Ich erzähle dir nachher, was passiert. Du wirst dich in jeder Hinsicht verantworten müssen. Aber wenn es so weit ist, wird es schon zu spät sein, das garantiere ich dir mit meinem Leben. Denn du kennst die Familie Xhaka nicht.»
Die Menschenrechtsaktivistin Zana Avdiu erhitzt mit ihren feministischen Ansichten immer wieder die Gemüter im Kosovo. So hat sie erst kürzlich in einer Debatte gesagt, dass Männer im Kosovo es bevorzugen, zwei oder drei Sexualpartnerinnen gleichzeitig zu haben. Des Weiteren hat sie die sexistischen Texte von albanischen Rappern angeprangert und verlangt, dass dagegen etwas unternommen wird.
Seit ihrer öffentlichen Kritik an Granit Xhakas Griff in den Schritt erhält sie Morddrohungen und wird als «Hure» mit «serbischem Blut» beschimpft:
Die Beleidigung von ihr war anscheinend schon ziemlich hart.
Der überhebliche Stolz von Vater Xhaka mit Drohungen geht dann aber gar nicht.
Die Frauen im Balkan tun mir einfach nur Leid.