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Weshalb es dieses Mal anders ist und man Granit Xhaka verstehen kann

Switzerland's midfielder Granit Xhaka celebrates the victory and the qualification with the shirt of Switzerland's midfielder Ardon Jashari after the FIFA World Cup Qatar 2022 group G soccer ...
Diesmal machte er kein Doppeladler, sondern trug nur das Trikot von Jashari: Granit Xhaka.Bild: keystone

Weshalb es dieses Mal anders ist und man Granit Xhaka verstehen kann

Der 3:2-Sieg gegen Serbien hatte viele Geschichten. Granit Xhaka mit seinem Griff in den Schritt, einer verbalen Entgleisung, mit dem angezogenen Jashari-Trikot und dem Gerangel am Schluss war jene, die dann alles überlagerte. Muss man den Captain und sein Wirken deshalb verurteilen? Eine Aufarbeitung.
03.12.2022, 15:4506.12.2022, 13:52
Christian Brägger und Etienne Wuillemin, Doha / ch media
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«Ich habe natürlich meine andere Seite immer noch in mir drin.» Diese Worte sprach Granit Xhaka nach der Niederlage gegen Brasilien. Es war seine Replik auf die Feststellung, er sei in den letzten zwei Jahren reifer und vernünftiger geworden.

Und nun kam gegen Serbien diese andere Seite zum Vorschein. Einmal mehr. Aber sie war verständlich nach all den Provokationen, die er in der WM-Partie und ihrem Vorfeld über sich ergehen lassen musste. Nach all den Emotionen auf dieser Achterbahnfahrt, die die Schweiz am Ende auf den Gipfel führte.

Rede und Antwort gestanden

Wie Granit Xhaka nun weit nach Mitternacht Ortszeit im Bauch des Stadion 974 so dasass, als «Mann des Spiels» mit diesem roten Pokal, voller Erleichterung und Stolz, da war er bereits wieder klar und ruhig im Kopf. Und erzählte mit heiserer Stimme, wie er das Gewesene auf dem Rasen werte. Mit dem Griff in den Schritt, mit den Streitereien und Schubsereien bei der Cornerfahne der Serben. Mit dem Jashari-Leibchen, das sich Xhaka nach seinem 110.Länderspiel übergezogen hatte. Er sagte:

«Es war ein Spiel mit vielen Emotionen. Sie gehören dazu. Aber insgesamt war es fair. Wir wollten uns auf den Fussball konzentrieren. Das ist uns mehrheitlich gelungen. Wir sind sehr stolz, stehen im Achtelfinal.»

Vor diesen Worten hatten sich die Spieler beider Länder die Hand gegeben. Und Xhaka mit wedelnder Schweizerfahne vor den Fans über das Erreichte gejubelt. Man könnte ihn nun natürlich wieder verurteilen, sich an ihm abarbeiten, wie man das halt gerne tut. Aber dieses Mal war es eben anders.

Alles prasselte auf ihn nieder

Switzerland's and Serbia's players, in red, argue during the World Cup group G soccer match between Serbia and Switzerland, at the Stadium 974 in Doha, Qatar, Friday, Dec. 2, 2022. (AP Photo ...
Während dem Spiel ging es hoch her.Bild: keystone

So muss man die serbischen Provokationen registrieren, die auf Xherdan Shaqiri und Xhaka wegen ihrer Herkunft einprasselten. Es gab Schmähgesänge der Fans während des Spiels, unzählige Angriffe unterhalb der Gürtellinie im Vorfeld auf den persönlichen Kanälen der sozialen Medien. Trainer Dragan Stojkovic beleidigte die Beiden aufs Übelste, später tat dies Xhaka Richtung serbische Bank ebenfalls. Dusan Vlahovic griff sich in den Schritt, später tat dies Xhaka ebenfalls. Die ganze Angelegenheit auf dem Rasen war also weit aufgeladener, als man glaubte. Auch der Schiedsrichter wurde extrem beschimpft vom serbischen Lager.

Schliesslich sagte Xhaka auf die Frage, ob die Aktion mit dem Jashari-Dress einen politischen Hintergrund habe:

«Überhaupt nicht. Ich schätze Ardon sehr. Er verdient Respekt, wir sind tagtäglich zusammen. Ich habe ihm gesagt, dass ich für ihn sein Trikot anziehe, falls ich ein Tor erziele. Das habe ich dann einfach nach dem Schlusspfiff gemacht. »

Doch man kann es nicht gänzlich ausschliessen, dass Xhaka mit dem Jashari-Leibchen tatsächlich auf subtile Art und Weise Adem Jashari huldigen wollte, einem kosovarischen Freiheitskämpfer, der der nationalen Befreiungsarmee UCK angehörte und sich gegen Serbien auflehnte.

Dennoch liegt diese Sichtweise nahe: Xhaka hat den jungen Spieler Ardon Jashari sehr ins Herz geschlossen. Und weil Jashari den Arsenal-Profi an sich selbst in jungen Jahren erinnert, kümmert er sich nun wie ein Vater um ihn. Also wollte Xhaka den 20-Jährigen beim Feiern mit ins Boot holen. Schliesslich hat Jashari als einziger Feldspieler noch nicht gespielt während dieser WM.

Es dürfte Diskussionen geben: Wann ist ein Captain ein guter Captain?

Natürlich dürfte nun wieder die Diskussion aufkommen, ob Xhaka der richtige Captain der Schweizer Nationalmannschaft ist. Schadet das Verhalten von Xhaka der Mannschaft? Zumindest bis anhin deutet nichts darauf hin. Bis zur Stunde ist kein Verfahren der Fifa gegen Xhaka eingeleitet. Sein Griff ins Gemächt in der Hitze des Gefechts dauerte einige Hundertstelsekunden. Das ist wenig im Vergleich zum Doppeladler 2018, der keine Sperre nach sich zog. Ein Leibchen eines Teamkollegen zu tragen, ist ohnehin nicht justiziabel.

Der entscheidende Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen den Szenen von Doha 2022 im Vergleich mit 2018 in Kaliningrad ist dieser: Der Doppeladler vermittelte den Eindruck, dass Xhaka beim Jubeln lieber an den Kosovo als an die Schweiz denkt. Das ist nun entschieden anders. Darum sollte man den 30-Jährigen nun auch nicht ächten. Zumal er sich im Anschluss an das Spiel klar und glaubhaft äusserte.

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126 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ueli the Schwert
03.12.2022 16:06registriert März 2021
Ich glaube wir alle können nicht mal ansatzweise verstehen was in Xhaka angesichts der Vorgeschichte alles vorgegangen ist. Unter diesen Umständen hat er sich meiner Meinung nach vorbildlich verhalten. Sowohl die serbischen Spieler, Staff und Anhänger haben (wieder einmal) auf primitivste Art provoziert während 90 Minuten. DAS müsste sanktioniert werden. Im Gegensatz dazu ist mir nicht bekannt dass sich an den Sack langen oder das Trikot eines Mitspielers umziehen verboten ist.
Alles richtig gemacht und die Fussballgötter haben gestern den in jeder Hinsicht verdienten Sieger hervorgebracht.
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Rumpelstilz
03.12.2022 16:56registriert Mai 2014
Die Serben hatten zwei Ziele: Xhaka aus dem Spiel nehmen, um zu gewinnen. Als sie merkten, dass das nix wird mit dem Weiterkommen, gings nur noch darum, maximalen Schaden bei den Schweizern und vor allem bei Xhaka anzurichten. Dass wir nun über ihn und nicht die sich einmal mehr völlig daneben benehmenden Serben debattieren, ist ein absoluter Witz. Alles richtig gemacht, Granit!
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Pummelfee
03.12.2022 16:45registriert Mai 2020
Nachdem die serbischen Fans „tötet, tötet, tötet Albaner“ intoniereten und weder die serbische Mati, noch der Trainer noch sonst irgendwer interveniert hat, finde ich, er hat sich schon fast wie ein Chorknabe benommen.
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