Über Olivier Thormann, Präsident der Berufungskammer am Bundesstrafgericht in Bellinzona, hängt seit Jahren ein Schatten. War er der fünfte Mann am mysteriösen Geheimtreffen vom 16. Juni 2017 zwischen den Spitzen von Bundesanwaltschaft und Weltfussballverband Fifa im Berner «Schweizerhof», an das sich keiner erinnern will?
Heute wählt die Bundesversammlung zwei neue ausserordentliche Bundesanwälte, die mit Strafverfahren Licht in die Schweizerhof-Affäre bringen sollen. Die früheren Zürcher Staatsanwälte Ulrich Weder und Hans Maurer sollen die Arbeit von Stefan Keller weiterführen. Dieser war vom Bundesstrafgericht in einem umstrittenen Entscheid wegen angeblicher Befangenheit gegenüber Fifa-Chef Gianni Infantino in den Ausstand geschickt worden.
Im Rahmen ihrer Disziplinaruntersuchung gegen Bundesanwalt Michael Lauber ging die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) 2019 auch diesem ominösen vierten Geheimtreffen nach. Anhand einer Rechnung des Hotels Schweizerhof konnte sie beweisen, dass es das Treffen überhaupt gab. Fest steht, dass Lauber und sein Sprecher André Marty sowie Infantino und dessen Walliser Spezi, Staatsanwalt Rinaldo Arnold teilnahmen.
Aber: Laut der Rechnung für das Meeting gab es offenbar einen fünften Teilnehmer. Der Verdacht fiel auf Thormann, war er doch laut Laubers Outlook-Agenda als Teilnehmer gelistet. Thormann war da noch Leiter Wirtschaftskriminalität bei der Bundesanwaltschaft und zudem jener Staatsanwalt, der 2015 das Strafverfahren gegen Fifa-Präsident Sepp Blatter eröffnet hatte, in dem es um eine umstrittene Zahlung von zwei Millionen an Uefa-Chef Michel Platini ging.
War Thormann also der fünfte Mann am Geheimtreffen, an dem Dinge verhandelt wurden, die offenbar nicht bekannt werden dürfen? Wenn ja, wären die ohnehin umstrittenen Fifa-Verfahren der Bundesanwaltschaft allesamt schwer kompromittiert. Und Thormanns Ruf dazu.
Er habe nicht am Treffen teilgenommen, beteuerte Thormann wiederholt. Als Beweis legte er Behörden Bordkarten der Fluggesellschaft Easyjet vor. Nur: Bordkarten von Easyjet, die im Voraus ausgedruckt werden, taugen nicht als Beweis, dass man auch wirklich an Bord war.
Um die Frage ein für allemal zu klären, wollten CH Media, Süddeutsche Zeitung und französische Le Monde von Thormann wissen: Haben Sie Belege, dass Sie in Brüssel waren? Hotel- und Restaurantrechnungen, Kreditkartenabrechnungen?
Thormann stellte sich in seiner Antwort am Montag zwar auf den Standpunkt, der Beweis sei längst erbracht. Er sei wie die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts und offenbar bereits die AB-BA der Ansicht, «dass die (unterzeichnete) Stellungnahme eines vereidigten Richters, zudem unter Beifügung zweier Boardingkarten, dessen Auslandabwesenheit hinreichend beweist.» Weitergehende Beweise seien von ihm «nie eingefordert» worden.
Aber, so Thormann, er habe jetzt «aufgrund Ihrer Anfragen» seine Bankauszüge konsultiert. «Aus diesen ergibt sich, dass ich am 16.6.2017 meine Bankkarte mehrfach (10:50/13.16 und 14:53 Uhr) in Belgien verwendet habe.» Weitergehende Angaben zu dieser Privatreise unterlasse ich aufgrund der klaren Beweislage und im Interesse meiner Familie», so der Richter. «Selbstverständlich werde ich meine relevanten Bankbelege ins Recht legen», falls es die zuständigen Behörden für nötig befänden.
Aber keine Belege für die Medien? Gegen Dienstagabend bot Thormann CH Media schliesslich an, bei nächster Gelegenheit Einsicht in die Kreditkartenauszüge zu geben.
Es brauche endlich Klarheit in dieser Angelegenheit, so der Richter gegenüber CH Media. Er hoffe, dass die neuen Bundesanwälte den Sachverhalt klärten. Denn es liege «im Interesse der Institutionen, wenn an die Stelle wilder Spekulationen endlich die Wahrheit tritt.» Thormann fühlt sich «als falscher Fokus» der Medien, während sich die vier bekannten, aber schweigenden Teilnehmer am Geheimtreffen gegenüber der Öffentlichkeit wegducken könnten. Thormann gibt also zu verstehen, dass er nicht länger «Blitzableiter» für diese vier Herren spielen will.
Nicht äussern will sich Thormann zur Frage, wann genau er 2015 als Staatsanwalt Bankbewegungen von Uefa-Präsident Platini anfordern liess. Mit einer Aussage dazu würde er das Amtsgeheimnis verletzen, sagt er. Es gibt laut Informationen von CH Media Hinweise darauf, dass im Anschluss an ein strittiges Treffen zwischen Lauber und Infantino-Kumpel Arnold in der Bundesanwaltschaft Hektik aufkam und Platinis Bankbewegungen überprüft wurden. Wenige Monate, bevor Thormann das Verfahren gegen Blatter eröffnete, das sich mittlerweile auch gegen Platini richtet und nächstes Jahr vor Bundesstrafgericht verhandelt wird.
Der zeitliche Ablauf könnte ein Hinweis darauf sein, dass entgegen anderer Behauptungen die strittige 2 Millionen Zahlung der Fifa an Platini entgegen anderer Beteuerungen eben doch Thema der Unterredung zwischen Lauber und Infantinos mutmasslichem Emissär Arnold war. Dass Infantino eben doch alles unternahm, um Platini aus dem Rennen als Fifa-Präsident zu werfen. Infantino streitet das allerdings ab.
Was wurde im Schweizerhof gekungelt? Wer, wenn nicht Thormann, war der fünfte Mann, und kam es zu strafbaren Handlungen? Ein anderer mit den Fifa-Verfahren beschäftigter Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft? Klar ist: Es ist an Weder und Maurer, hier Klarheit zu schaffen. (aargauerzeitung.ch)