«Die Rad- und Para-Cycling-WM 2024 in Zürich soll zu einem Velo-Fest für alle werden», schreibt die Stadt Zürich auf ihrer Website. Doch bei Weitem nicht alle sind erfreut über den Grossanlass.
Die UCI Rad- und Para-Cycling-Strassen-Weltmeisterschaften finden vom 21. bis 29. September in Zürich und den umliegenden Gemeinden im Bezirk Meilen statt. Neun Tage lang werden über 50 Rennen ausgetragen, mehr als 40 davon sind Para-Cycling-Wettbewerbe.
Für den Riesenevent werden in der Region zahlreiche Strassen gesperrt. Das macht es für viele Unternehmen schwierig, in dieser Zeit ihren Betrieb aufrechtzuerhalten.
Doppelt betroffen von den Strassensperrungen wegen der Rad-WM ist Claudia Zahner mit ihrem Friseursalon Area Sense Hair & Beauty in Küsnacht. Ihr Geschäft liegt in unmittelbarer Nähe von zwei Strassen, die wegen der Rad-WM jeweils von 5 bis 19 Uhr gesperrt werden. «Wir haben während acht Tagen mit massiven Einschränkungen zu kämpfen», sagt sie zu watson. Die meisten angrenzenden Unternehmen würden deshalb während der ganzen Rad-WM ihr Geschäft schliessen – weil die Anfahrt für Kunden oder Lieferanten durch die gesperrten Strassen extrem erschwert wird. Für die Inhaberin war die Schliessung keine Option.
«Hätten wir den Coiffeursalon für alle Tage schliessen müssen, hätten wir einen Verlust von über 30’000 Franken gemacht», sagt sie. Zusammen mit ihren Mitarbeitenden habe sie nach anderen Lösungen gesucht. «Ein paar haben sich entschieden, Ferien zu nehmen. Die anderen Mitarbeitenden arbeiten während der Rad-WM mit verkürzten Öffnungszeiten. Das federt den Ausfall etwas ab», erklärt Zahner.
Normalerweise arbeiten jeden Tag vier von sechs Mitarbeitenden, die zusammen rund 40 Kunden bedienen. Während der Rad-WM rechnet Zahner mit nur noch etwa 10 Kunden pro Tag: «Wir haben im Vorfeld viel mit der Kundschaft gesprochen, damit wir wissen, wer trotz der Strassensperrungen zum Coiffeur gehen möchte.» Insgesamt geht Zahner aber trotzdem davon aus, durch die Rad-WM mehrere Tausend Franken finanziell einbüssen zu müssen. Ohne eine Entschädigung.
«Ich finde Sport-Events grundsätzlich toll, aber die Dauer der Rad-WM ist sehr lange. Für die Steuerzahler kostet es viel Geld, und wer noch ein eigenes Geschäft hat, muss zusätzlich mit finanziellen Einbussen kämpfen. Für kleine Unternehmen finde ich das eine Zumutung, wenn man bedenkt, dass die Coronapandemie noch nicht lange her ist, die vor allem KMUs hart getroffen hat», sagt Claudia Zahner.
Mit Einschränkungen wegen der Rad-WM hat auch die Garage Schweizer in Zumikon zu kämpfen. Jedoch «nur» während drei Tagen vom 25. bis 27. September. «Wir schliessen unser Geschäft in dieser Zeit, weil zwischen 5 und 19 Uhr niemand mit dem Auto zu uns fahren kann. Kunden könnten zwar ihr Auto nach 19 Uhr abstellen, doch da Lieferanten mit Ersatzteilen tagsüber nicht zu uns fahren können, macht das keinen Sinn», sagt Garage-Mitbesitzerin Claudia Schweizer zu watson. Die Sperrung kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Weil gerade Hochsaison für Pneuwechsel sei, rechnet Schweizer etwa mit 45 verpassten Aufträgen in den drei Tagen.
Auch der Blumenladen Florita von Ute Hüsler in Zumikon ist von den Strassensperrungen betroffen. Weil sie teilweise nicht zu ihrem Laden zufahren und dadurch auch keine Lieferungen ausführen kann, muss sie ihr Geschäft für eine Woche schliessen. «Mit den Löhnen und der Umsatzeinbusse verliere ich etwa 8000 Franken», sagt Hüsler zu watson.
Sie ist enttäuscht, dass es für den Geschäftsausfall keine Entschädigung gibt. «Ich kenne so viele KMUs, die zumachen müssen. Die Rad-WM ist sicher eine schöne Sache für Sportbegeisterte. Aber den Event über neun Tage zu machen, zeugt nicht von Rücksicht auf die lokalen Unternehmen. Auch die Anwohner, die können, werden in dieser Zeit fliehen – um dem Verkehrschaos zu entkommen», sagt sie.
Da viele Velorouten von Zollikon entlang der Seestrasse nach Zürich führen, sind besonders die angrenzenden Geschäfte betroffen. Die Mövenpick-Weinhandlung in Zollikon kann etwa während vier Tagen ihre Zufahrt nicht benutzen. Danach ist es teilweise möglich, wenn man vom Bezirk Meilen her kommt – die Zufahrt von Zürich ist aber während neun Tagen gesperrt. Geschäftsführer Robert van Strien ist ratlos, wie er in dieser Zeit wirtschaften soll. Hauptsächlich werde man die Zeit mit Reinigungsarbeiten und Inventar verbringen. Er sagt zu watson: «Wir rechnen mit einer Umsatzeinbusse von 40 Prozent im September. Es wird kaum jemand zu Fuss zu uns kommen, um Wein einzukaufen.»
Van Strien hatte schon lange vor dem Event erfolglos versucht, Rekurs einzulegen. «Damals wurde uns gesagt, wir seien nicht rekursberechtigt, weil die Strassensperrung nur bis 18 Uhr dauere und wir bis 19 Uhr offen haben. Doch nun sind die Strassen trotzdem bis 19 Uhr gesperrt – es ist eine riesige Enttäuschung.» Für das Gewerbe sei die Rad-WM praktisch ein Arbeitsverbot. «Ich bin nicht gegen Sportanlässe, die drei, vier Tage dauern. Aber diese Dimension mit neun Tagen bringt einen massiven wirtschaftlichen Schaden für die Region.»
Zu spüren bekommen das auch Geschäfte im Zürcher Seefeld. Olivier Perrin vom Lampen- und Gläserladen Aladin Antik hält nichts von der Rad-WM. «Hier im Seefeld freut sich niemand. Es ist wie bei jeder Grossveranstaltung in Zürich: die Geschäfte im Seefeld leiden darunter», sagt er zu watson.
Er werde sein Geschäft deshalb die ganze Woche schliessen, wodurch er mehrere Tausend Franken verlieren werde. Für Perrin ist es schlicht «eine Frechheit», dass der Erwerbsausfall nicht entschädigt wird. Er sagt: «Die Stadt und der Kanton geben Millionen aus für die Rad-WM, aber alle betroffenen Geschäfte im Kanton Zürich zusammen werden Millionen verlieren.»