SRF schafft die Klassiksendung «Musik unserer Zeit» ab
Dass es ein holpriges Jahr für das Schweizer Radio und Fernsehen SRF würde, war bereits im Januar absehbar: Damals verkündete Direktorin Nathalie Wappler Einsparungen von acht Millionen Franken, was mit der Streichung von «Gesichter & Geschichten» oder dem «Wissenschaftsmagazin» einherging, weitere Massnahmen sollten im Verlauf des Jahres ausgearbeitet werden.
Im Juli kam ein zusätzlich einzusparender Betrag von zwölf Millionen hinzu. Weitere Sendungen sollten in dieser Sparrunde nicht aufgegeben werden, stattdessen wollte man den Rotstift bei Produktion und der Technologie ansetzen.
Damit nicht genug: Wie CH Media aus informierter Quelle weiss, wird per Januar 2026 die Sendung «Musik unserer Zeit» von SRF 2 Kultur eingestellt. SRF hat diese Streichung bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht öffentlich kommuniziert. Auf Nachfrage bestätigt die Pressestelle jedoch die Abschaffung des Gefässes.
Teil des gesetzlich verankerten Kulturauftrags
«Musik unserer Zeit» ist eine einstündige Hintergrundsendung zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts und bietet Diskussionen und Werkbetrachtungen rund um die Klassik der Gegenwart, jeweils gefolgt von einer Konzertaufzeichnung. Das Format wird allwöchentlich am Mittwochabend zwischen 20 und 22 Uhr ausgestrahlt – und erfüllt bis dato einen Teil des gesetzlich verankerten Kulturauftrags der SRG.
«Der Entscheid, die Sendung ‹Musik unserer Zeit› einzustellen, ist nicht leichtgefallen», schreibt die Mediensprecherin des SRF auf Anfrage. Doch seien solche Massnahmen unumgänglich, heisst es weiter, da das Gesamtbudget von SRF seit 2023 um 24 Millionen Franken gesunken sei und in 2026 um weitere 20 Millionen zurückgehen werde. Grund dafür seien die sinkenden kommerziellen Einnahmen und die deutliche Reduktion des Teuerungsausgleichs auf der Medienabgabe.
Mehr Sendezeit zur Primetime
Weiter ist zu lesen: «Unsere Analysen haben aufgezeigt, dass die Sendung ‹Musik unserer Zeit› beim Publikum immer auf weniger Resonanz stösst – sowohl die journalistische erste Stunde als auch das Konzert.» Genaue Einschaltquoten für einzelne Sendungen weist SRF auf Nachfrage nicht aus.
Dennoch überrascht das abschlägige Urteil nur bedingt: Einerseits ist seit der UKW-Abschaltung die Einschaltquote von SRF schweizweit massiv eingebrochen, die Radiosender SRF 1, 2 und 3 haben gut einen Fünftel ihrer Zuhörenden verloren. (Momentan wird ein UKW-Wiedereinsteig auf 2027 geprüft). Andererseits waren analytische Formate wie «Musik unserer Zeit» noch nie Quotenhits. Zeitgenössische Musik ist ein kulturelles Nischenphänomen, das gerade deshalb auf subventionierte Strukturen angewiesen ist.
Bei SRF wehrt man sich indes gegen den Vorwurf, die zeitgenössische Musik ganz aus den Programmen tilgen zu wollen. Stattdessen, so die Sprecherin, soll darüber vermehrt in «publikumsstärkeren Sendungen wie dem ‹Musikmagazin› berichtet werden, in der Primetime am Morgen, im ‹Kulturplatz Talk› oder der ‹Diskothek›».
Dass in diesen Gefässen regelmässig zeitgenössische Musik unter der Flughöhe von vergleichsweise grossen Namen wie denen eines Pierre Boulez oder Klaus Hubers stattfinden wird, bleibt anzuzweifeln. Auch interne Quellen verdächtigen SRF des reinen Lippenbekenntnisses: Zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten, die sich noch nicht etablieren konnten, dürften es kaum in diese Sendungen schaffen.
Dieter Ammann sorgt sich um «geistige Neugier»
Entsprechend konsterniert zeigt sich die von der Sparrunde tangierte Schweizer Musikszene über die Entwicklung beim Schweizer Radio und Fernsehen: «Das trifft mich tief. Ich fühle eine Ohnmacht gegenüber diesem schleichenden Abbau», schreibt die Pianistin Simone Keller auf Facebook, ihr Post provozierte binnen Tagen über 200 Reaktionen. Unter anderem vom Komponisten René Wohlhauser, der ein Einschreiten der Musik-Gewerkschaft fordert. «Sonart müsste mit einem lauten Protest reagieren.» Und auch die Szene selbst sollte einen «öffentlichen Brief an Bundesrat und Parlament in Erwägung ziehen».
Auch der Schweizer Komponist Dieter Ammann äussert sich betroffen. Es handle sich bei «Musik unserer Zeit» um eines der «wenigen verbliebenen Gefässe», in dem keine alltägliche Berieselungsmusik gespielt würde, sondern sich die Hörerschaft mit fordernden Klängen auseinandersetzen könne, schreibt Ammann auf Anfrage per Mail. Und er fragt: «Was sind langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft, wenn die geistige Neugier verkümmert?»
Auch sein Berufskollege, der St. Galler Komponist Charles Uzor, äussert sich bekümmert zur Streichung einer Sendung, die ihn schon seit vielen Jahren begleite: «Wir Komponistinnen und Komponisten bekommen nicht nur eine wertvolle Plattform, wo die eigenen Werke mit Sorgfalt präsentiert werden, hier lerne ich auch viele wunderbare Stücke kennen, von denen ich sonst vielleicht nie gehört hätte.» Es gehe dabei nicht nur um Klänge, sondern um Ideen, Utopien, Erfindungen – und um gesellschaftliche Auseinandersetzung. (aargauerzeitung.ch)
