SVP-Vordenker Christoph Blocher tat, was er am liebsten macht: Er wetterte am Programmparteitag vom Samstag in Nottwil (LU) gegen Bundesbern und die Classe politique. Einer seiner Vorwürfe: «Sie setzen Volksentscheide nicht um und tricksen die Stimmbürger aus.» Dabei verwies Blocher laut Redetext auf die Ausschaffungsinitiative, die Durchsetzungsinitiative, die Masseneinwanderungsinitiative «und vieles mehr».
Unklar ist, ob der Parteiguru aus Herrliberg damit auch auf die vor drei Jahren knapp angenommene Zweitwohnungsinitiative des Umweltschützers Franz Weber anspielte. Sie ist zum Musterbeispiel geworden, wie das Parlament einen unliebsamen Volksentscheid zu sabotieren versucht.
Webers Volksbegehren verlangt, dass der Zweitwohnungsanteil einer Gemeinde auf höchstens 20 Prozent beschränkt wird. Bereits die vom Bundesrat nach der Abstimmung erlassene Verordnung weicht diese Limite auf. Der Ständerat durchlöcherte sie in der letztjährigen Herbstsession ein weiteres Mal. Das von der kleinen Kammer beschlossene Gesetz sieht so viele Ausnahmen vor, dass im schlimmsten Fall mehr Zweitwohnungen gebaut werden können als zuvor.
Für Ärger sorgte insbesondere der vom Ständerat eingefügte Artikel, wonach Wohnungen, die auf kommerziellen Online-Plattformen angeboten und damit «touristisch bewirtschaftet» werden, nicht unter die Zweitwohnungslimite fallen. Kritiker sehen darin ein gigantisches Schlupfloch: Zweitwohnungen könnten pro forma im Internet ausgeschrieben, faktisch aber nie vermietet werden.
Alle fünf SVP-Ständeräte trugen diese Hintertreibung des Volkswillens mit. Nun wird der Nationalrat die Vorlage am Dienstag und Mittwoch beraten. Es droht ein noch grösseres Fiasko: Die vorberatende Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek) beschloss weitere Ausnahmen. So soll das Gesetz für dringlich erklärt und noch vor einer allfälligen Abstimmung in Kraft gesetzt werden. Die sieben SVP-Mitglieder – darunter Parteichef Toni Brunner – stimmten zu.
«Wir nutzen den Spielraum, damit den Tourismusgemeinden nicht die Luft abgeschnürt wird», rechtfertigte sich der Aargauer Nationalrat und Urek-Präsident Hans Killer gegenüber der Schweiz am Sonntag. Eine Missachtung des Volkswillens sehe er nicht: Das Bauverbot für Zweitwohnungen sei nach der Abstimmung sofort in Kraft getreten, sagte Killer. «Wir wären froh, die Masseneinwanderungsinitiative würde in ähnlichem Tempo umgesetzt.»
Derartige Spitzfindigkeiten stossen nicht bei allen Parteiexponenten auf Gegenliebe. An der letzten Sitzung der SVP-Bundeshausfraktion sollen die Fetzen geflogen sein, berichtete der Blick am Samstag. Mehrere Parlamentarier hätten gewarnt, dass sich die SVP mit der Aufweichung der Zweitwohnungsinitiative ins eigene Bein schiesse, darunter der Zürcher Nationalrat Gregor Rutz und sein Basler Kollege Sebastian Frehner. «Wir können nicht darüber schimpfen, dass unsere Initiativen nicht umgesetzt werden, um gleichzeitig andere Initiativen zu durchlöchern. Da müssen wir sauber sein», sagte Frehner dem «Blick».
Auch an der Parteispitze hat man kalte Füsse bekommen. Fraktionschef Adrian Amstutz bestätigte im SonntagsBlick, dass die SVP in letzter Minute einen Kompromiss mit den Initianten um Franz Webers Tochter Vera sucht. Diese haben mit dem Referendum gegen das «verwässerte» Gesetz gedroht. Eine neue Volksabstimmung wolle die SVP «um jeden Preis verhindern», so der «SonntagsBlick». Sie könnte zu einem Steilpass werden für Links-Grün und gleichzeitig die «Doppelmoral» der SVP in Sachen Volksinitiativen entblössen.
Die Rechnung scheint aufzugehen. Am Montagabend einigten sich SVP und FDP laut SRF mit den Initianten auf den angestrebten Kompromiss. Er sieht unter anderem einen Verzicht auf die umstrittenen Plattform-Wohnungen vor. Ob die Vereinbarung das intensive Lobbying vor allem von Seiten der Gebirgskantone übersteht, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Eine spannende Debatte ist programmiert.