Es ist kühl an diesem Donnerstagmorgen auf dem Bauernhof im bernischen Mittelhäusern. Zwei neugierige Ochsen stehen in einer Absperrung vor dem Stall, etwas entfernt hört man Gänse gackern und Kuhglocken läuten. Bauernhofidylle wie aus dem Bilderbuch. So scheint es zumindest auf den ersten Blick. Doch zu dieser Idylle zählt nicht zuletzt auch, dass Tiere getötet werden.
Roger Basler führt den Milchkuh- und Mastbetrieb seit bald drei Jahren und darf ihn seit Anfang 2019 sein Eigen nennen. Er kennt die Abläufe auf dem Hof in- und auswendig, doch heute ist alles ein bisschen anders. «Ich bin schon etwas nervös», gesteht der 26-Jährige und wirft einen Blick auf Nemo und Roman, die beiden Ochsen, die vor dem Stall in einem abgesperrten Bereich stehen. Sie werden heute sterben. Aber nicht so wie die 600'000 anderen Rinder, die jährlich in Schweizer Schlachtbetrieben getötet und geschlachtet werden (siehe Box). Nein. Roger Basler lässt seine Tiere von Mischa Hofer auf dem Hof töten. Eine Technik, die in der Schweiz erst seit Juli 2020 zugelassen ist.
Für Basler ist die Hoftötung eine logische Konsequenz aus der engen Beziehung, die er zu seinen Tieren pflegt: «Ich möchte, dass die Ochsen, die ich bei mir auf dem Hof aufgezogen habe, stressfrei sterben können. Und zwar dort, wo sie den Grossteil ihres Lebens verbracht haben.» Es sei nie schön, wenn man Tiere gehen lassen müsse. Aber es gehöre für einen Viehbauern nun halt mal dazu. «Das Bewusstsein dafür, was es bedeutet, ein Tier zu töten, ist hier auf dem Hof viel höher, als wenn man das Rind oder Kalb einfach in einen Transporter pfercht und in den Schlachthof fährt», so Basler.
Als die Sonne langsam über dem Hügel erscheint und ihre Strahlen über die Weiden streckt, fährt Mischa Hofer zu. Der gelernte Landwirt und Fleischfachhändler führt selbst einen Landwirtschaftsbetrieb im Kanton Luzern. Seit die Hoftötung in der Schweiz offiziell erlaubt ist, fährt er mit seinem Anhänger von Betrieb zu Betrieb, berät interessierte Bauern und führt Hoftötungen durch. «Das Bedürfnis seitens der Bauern, ihre Tiere auf dem Hof töten zu können, ist da. Es kommen konstant neue Anfragen», sagt Hofer. Pro Jahr tötet er aktuell 200 bis 300 Tiere auf diese Art.
Hofer hat sich gänzlich dem Tierwohl verschrieben:
Zugleich profitiere auch der Konsument davon: Die Qualität des Fleisches steigt, je weniger Stress das Tier vor der Schlachtung ausgesetzt war. Studien zeigen, dass die Adrenalinkonzentration im Blut bei Tieren, die erst in Schlachthöfen getötet werden, teilweise stark erhöht ist. Dies hat nachweislich einen negativen Einfluss auf die Fleischqualität.
Daran denkt Hofer im Moment aber wohl nicht. Mit geschicktem Manövrieren platziert er die Rampe des Anhängers direkt vor der Halterung, in der Nemo und Roman heute getötet werden sollen. Landwirt Roger Basler hat die beiden einjährigen Ochsen in den letzten vier Tagen bereits an die spezielle Vorrichtung auf dem Vorplatz des Stalls gewöhnt. Mit gutem Grund, wie Hofer sagt: «Ich töte nur Tiere, die freiwillig auf die leicht erhöhte Plattform steigen.» An deren Kopfende befindet sich ein Fressgitter, in das sich Nemo alsbald ohne menschliches Zutun begibt und zu fressen beginnt.
Währenddessen schlüpft Hofer in seinen Overall, legt das Bolzenschussgerät bereit und prüft, ob alles so ist, wie es sein soll. Wenig später – die Sonne wärmt bereits langsam – fährt erneut ein Auto zu. Der Amtstierarzt, ein schlanker Mann mit grünen Stiefeln, steigt aus, grüsst und wendet sich sogleich Ochse Nemo zu. Er führt die sogenannte Lebendtierschau durch, ein Prozess, der jeder Tötung – egal ob auf dem Hof oder im Schlachthof – vorangeht. Nach einem prüfenden Blick füllt er ein Formular aus und streicht Nemo ein letztes Mal über den Rücken. Dann nickt er Hofer zu. Es geht los.
Nemo frisst derweil unbekümmert weiter. Basler krault ihm die Stirn, bevor er zurücktritt und Hofer den Ochsen mit einem Bolzenschuss betäubt. Nemo sackt zusammen. Nun geht alles schnell. Innerhalb von sechzig Sekunden nach der Betäubung muss der Todesstich erfolgen. Die Plattform wird via Rampe in den Anhänger hochgezogen, Hofer und der Tierarzt betreten diesen via Seitentüre, ein Rollladen senkt sich am Heck nieder. Wie Hofer dem Tier die Hauptschlagader durchschneidet, bleibt verborgen. Genau so auch, wie das Blut schwallartig aus dem Körper fliesst und in einem Becken im vorderen Teil des Anhängers aufgefangen wird. Auf dem Vorplatz des Bauernhofes zeugt nur noch eine kleine Blutlache von Nemos Tod. Den Herdengenossen von Remo scheint die Tötung nichts anhaben zu können. Sie fressen im Hintergrund, als wäre nichts gewesen.
Basler hingegen ist das Unwohlsein anzumerken. Denn noch ist die Anspannung nicht vorbei, innert 45 Minuten muss Nemo im Schlachtbetrieb ausgenommen sein. So schreibt es das Gesetz vor. Dies ist einer der Gründe, weshalb sich nicht jeder Bauernbetrieb für Hoftötungen eignet. Basler bleibt nichts anderes übrig, als die Zeit bis zur Tötung von seinem zweiten Ochsen, Ramon, abzuwarten und mit Hofarbeiten und einem Znüni im Bauernhaus zu überbrücken.
Bei Konfibrot und Milchkaffee erzählt der junge Berner vom Ochsenfleisch, das er bald verkaufen wird, von der neuen Website und von der Arbeit auf dem Hof. Das Fleisch von Nemo und Ramon verkauft Basler direkt, alles andere würde sich nicht rechnen. Denn für eine Hoftötung zahlt ein Landwirt rund 400 Franken pro Tier. Wie die höheren Fleischkosten zustandekommen, kann den Kundinnen beim Direktverkauf erklärt werden. Und wie Basler sagt, sei die Nachfrage gross: «Bevor wir uns entschieden haben, unsere Ochsen auf dem Hof töten zu lassen, hörten wir uns um und stellten fest, dass viele bereit sind, mehr für Fleisch zu bezahlen, wenn sie wissen, woher das Tier kommt und wie es geschlachtet wurde.»
Basler trinkt den letzten Schluck seines Kaffees, erhebt sich von seinem Holzstuhl und tritt hinaus. Die Sonne wärmt mittlerweile bereits kräftig. In der Ferne kündigt sich Besuch an. Hofer kehrt zurück, Ochse Ramon scheint bereits friedlich kauend auf ihn zu warten. Auch seine Tötung wird reibungslos ablaufen.
Wer schon eine Schlachtung in einem Schlachthof erlebt hat, weiss, was ich meine.