Die Schweiz kennenlernen, das war das Ziel der Tour dur d'Schwiiz. Ich wollte endlich mal nach Genf, in die Altstadt von Aarau und Solothurn, über den Jaun, Julier und Grimsel sowie weitere mir unbekannte Ecken entdecken.
Wenn heute kurz nach dem Mittag das Projekt endet, habe ich fast alles gesehen. Am Freitag konnte ich eines der letzten Highlights auf der Liste abhaken: das Jungfraujoch. Wie oft hat mir in der letzten Jahren jemand vorgeschwärmt, wie schön es dort oben sei. Und ich konnte einfach nur mit den Schultern zucken und sagen: «Keine Ahnung, der Ort liegt zwar vor meiner Haustüre, aber ich war noch nie dort.» Es ist ein typisches Beispiel dafür, wie wenig ich eigentlich über mein Heimatland wusste. Klar, das Jungfraujoch, da fährt man mit dem Zug hoch, auf den höchsten Bahnhof Europas, man sieht den Aletschgletscher und schön soll es sein.
Aber ich hatte keine Ahnung, dass Adolf Guyer-Zeller in der Nacht vom 27. auf den 28. August 1893 die bahnbrechende Vision eines Zuges durch (!) und auf (!) einen 3500 Meter hohen Punkt hatte. Er den ersten Entwurf dieses Plans mit Bleistift skizzierte und die Bahn fast 20 Jahre später tatsächlich eröffnet wurde. Zum Glück gab es damals nachts am TV noch nicht die «Sexy Sport Clips» oder «Space Night» – vielleicht hätte Guyer-Zeller statt seiner wahnwitzigen Skizze etwas anderes gemacht.
So aber war dies der Ursprung eines Touristenmagnets im Berner Oberland. Über 100 Jahre nach der Fertigstellung gibt's im Berg eine fast unvorstellbare Anlage mit Rollbändern, riesiger Videowand und Eispalast im Gletscher drin. Alleine die Anfahrt von mehr als zwei Stunden über Grindelwald oder Lauterbrunnen ist atemberaubend. In der Eigernordwand auszusteigen, ans Panoramafenster zu spazieren und in die Tiefe zu schauen – es wirkt surreal.
Natürlich werden oben sämtliche Schweizer Klischees bedient. Eine Uhr-tragende Holzkuh steht sinnbildlich dafür. Dass dies bei den meist asiatischen Touristen bestens ankommt beweist, dass ich anstehen musste, um die Figur zu fotografieren.
Das war an anderen Orten ganz anders. Am südlichsten, nördlichsten und westlichsten Punkt der Schweiz, war ich weit und breit alleine. Durch Aaraus Altstadt fuhr ich beinahe einsam, durch Bosco Gurin ebenfalls und wer hat überhaupt schon mal was von der absolut beeindruckenden Gorges du Triège bei Salvan im Unterwallis gehört oder weiss, dass Bischofszell eine niedliche Altstadt beherbergt? Während ich auf dem Jungfraujoch dauernd von Chinesen umgeben war, war ich an diesen Orten praktisch alleine. Ich glaube, wir wissen alle gar nicht, wie viele versteckte Perlen es in der Schweiz gibt. Und niemand hat sie alle gesehen.
Auch meine «To do»-Liste hat sich in diesen vier Monaten stetig verlängert. Es gibt so viele Orte, die ich noch einmal besuchen möchte – mit mehr Zeit im Gepäck. Denn eigentlich hört die «Tour dur d'Schwiiz» heute gar nicht auf, sie fängt mit so vielen Eindrücken erst richtig an. Ich freue mich schon, wenn mir der nächste Tourist vom Jungfraujoch vorschwärmt. Dann kann ich endlich sagen: «Ja, da war ich auch schon, ist wirklich fantastisch!»
Und vor allem: Ein grossartiges Zeugnis wahrer Heimatliebe fernab jeglicher ideologischer Vereinnahmung!