«Leider gibt es nicht mehr viele tief hängenden Früchte zu ernten.» Mit diesem und anderen Sätzen mit gleichem Sinn bereitete UBS-Chef Sergio Ermotti am Dienstagmorgen in einer virtuellen Analystenkonferenz seine UBS-Aktionäre und alle anderen Finanzmarktteilnehmer auf das Szenario einer deutlichen Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften durch den Bundesrat vor.
Im vergangenen Frühjahr hatte Finanzministerin Karin Keller-Sutter ein umfangreiches Massnahmenpaket präsentiert, mit dem die Risiken der durch die Credit-Suisse-Übernahme massiv vergrösserten UBS für die Schweiz und ihre Steuerzahlenden eingedämmt werden können.
Kernstück des Paketes war der Vorschlag, dass Schweizer Stammhäuser von systemrelevanten Banken ihre ausländischen Beteiligungen künftig nicht mehr nur mit mindestens 60 Prozent, sondern mit bis zu 100 Prozent Eigenmitteln unterlegen müssen.
Was abstrakt und technisch klingt, kann für die UBS sehr konkrete Folgen haben. Berechnungen von Finanzanalysten, wonach die UBS im Fall einer 100-Prozent-Unterlegung 15 bis 25 Milliarden Franken zusätzliches Eigenkapital heranschaffen müsste, hatte Karin Keller-Sutter vor Jahresfrist als «plausibel» bezeichnet.
Im Finanzmarkt habe es jüngst diverse Berichte gegeben, nach denen die UBS ein je nach Regulierung nötig werdendes zusätzliches Eigenkapital im Stammhaus relativ einfach und schmerzlos durch die Repatriierung Eigenkapital aus ausländischen Konzerneinheiten beibringen könne, sagte Ermotti in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Es gehe ihm darum, diese falsche Annahme richtig zustellen.
Wenn der Bundesrat wahr mache, was er im April 2024 vorgeschlagen hatte, dann kämen die UBS-Aktionäre nicht ungeschoren davon, warnte der CEO. Die UBS-Aktien verloren am Dienstagmorgen an der Six Swiss Exchange mehr als 5 Prozent, womit sich der Börsenwert des UBS-Konzerns um rund 5 Milliarden Franken verkleinerte. Ermotti sagte, der Markt scheine seine Aussagen zu verstehen.
Offenbar will der Bundesrat die Kapitalverordnung im Mai in die Vernehmlassung geben, wie auf der Analystenkonferenz zu hören war. Ermotti wollte nicht spekulieren, wie diese aussehen könnte. Ob er selbst wirklich glaubt, wovor er seine Aktionäre warnt, ist schwierig einzuschätzen. Klar ist nur, dass in der Schweiz ein Regulierungspoker abgeht, in dem die UBS, der Bundesrat, die politischen Parteien aller Färbungen und nicht zuletzt auch die Vertreter der nicht systemrelevanten Banken und viele andere Bereich der Wirtschaft am Tisch sitzen.
In den Karten der UBS steht ein gutes Jahresergebnis von 5,1 Milliarden Dollar, das erstmals das echte Potential der beiden fusionierten Grossbanken erkennen lässt. 2023 hatte UBS noch einen Gewinn von 27 Milliarden Dollar gezeigt, der aber um die positive Differenz des geringen Übernahmepreises zum viel höheren Eigenkapital der Credit Suisse aufgebläht war.
Ermotti sagt auch glaubwürdig, dass die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen und exakt im Fahrplan liegenden Integration der Credit Suisse bis Ende 2026 inzwischen sehr hoch sei. Auch das ist eine UBS-Trumpf im Regulierungspoker. Eine schlechte Karte ist dagegen der Fakt, es in der Schweiz ab Ende 2025 wohl zu einer grösseren Entlassungswelle kommen wird. Dann nämlich, wenn die im zweiten Quartal beginnende Migration der Credit-Suisse-Kunden auf die UBS-Plattform abgeschlossen und die CS-Systeme abgestellt werden können.
Im Raum stehen seit geraumer Zeit die Zahlen, nach denen rund 6000 CS-Mitarbeitende in der Schweiz dereinst nicht mehr benötigt würden und die UBS bis zu 3000 Kündigungen aussprechen könnte. Eine Aktualisierung der Zahlen war auf der Telefonkonferenz nicht zu bekommen.
Der Balanceakt zwischen den Interessen der eigenen Aktionäre und den Interessen der Schweiz, die sich eine sichere aber auch eine erfolgreiche UBS wünscht, ist heikel. Karin Keller-Sutter sagte im April 2024 im Interview mit CH Media:
Das ist die Kerbe in die Ermotti schlägt, wenn er warnt ein Überschiessen bei der Kapitalregulierung beschädige die Wettbewerbsfähigkeit der UBS, behindere die Fähigkeit der Bank, das Land gut mit Krediten zu versorgen und hätte auch negative Folgen für das Image des Finanzplatzes. Der Aktienkurseinbruch ist quasi Ermottis Beweis für die Relevanz seiner Argumente.
Zum besseren Verständnis der negativen Börsenreaktion sei aber auch gesagt, dass die UBS ihre Aktionäre schon länger auf eine schöne CS-Dividende vorbereitet hatte – unabhängig von dem schon lange absehbaren Szenario einer schärfen Eigenkapitalregulierung. 2023 kamen die UBS-Aktionäre zu einer Gewinnausschüttung von über 3,5 Milliarden Franken – bestehend aus einem Aktienrückkauf im Wert von 1,2 Milliarden und aus einer Dividende von 2,3 Milliarden Franken. Für 2024 gibt es fast 30 Prozent mehr Dividende von 0,9 Dollar pro Aktie.
Für das erste Semester ist ein weiterer Aktienrückkauf im Wert von einer Milliarde Dollar schon fest eingeplant. Im zweiten Semester will die Bank nochmals Aktien im Wert von zwei Milliarden Dollar zurückkaufen, wenn sie dann nicht für zusätzliche Kapitalauflagen sparen muss. So käme 2025 in dem für die UBS-Aktionäre günstigsten Fall eine Ausschüttung zustande, die den ausgewiesenen Jahresgewinn sogar um rund 10 Prozent übertreffen würde. Ob solcher Versprechen ist die derzeitige Ernüchterung der UBS-Aktionäre vielleicht nicht so erstaunlich.