Für Kamala Harris läuft bislang alles rund. Seit Präsident Joe Biden ihr vor sechs Wochen die Kandidatur der Demokraten quasi «vererbte», surft die 59-Jährige auf einer Welle der Begeisterung. Der Parteikonvent in Chicago verlief ohne die befürchteten Nebengeräusche, und mit dem CNN-Interview absolvierte Harris ihren ersten medialen Härtetest.
Eine gewisse Unsicherheit war ihr anzumerken, sie hat in dieser Hinsicht sicher noch Steigerungspotenzial. Aber die Dynamik des Wahlkampfs spricht für die Vizepräsidentin. Das liegt auch an Donald Trump, der seine Rivalin mit Beleidigungen und Obszönitäten eindeckt und den Verlust seines Lieblingsgegners Biden offenbar nicht verkraften kann.
Das zeigt sich bei der Imagefrage. Lange war Kamala Harris ähnlich unbeliebt wie Joe Biden, doch nun halten sich positive und negative Bewertungen die Waage. Trump hingegen bleibt trotz des Attentats unpopulär. In den meisten nationalen Umfragen liegt deshalb Harris vorn, so auch in der Querschnittsumfrage des Portals RealClearPolitics.
Entschieden wird das Rennen jedoch in den Swing States, und dort ist das Bild weniger eindeutig. Tendenziell hat Harris zugelegt. Interessanter als die Umfragen sind deshalb die Prognosemodelle, die verschiedene Faktoren berücksichtigen. In jenem des britischen «Economist» verschoben sich die Wahlchancen diese Woche von 50:50 auf 60:40 für Harris.
Zum gegenteiligen Schluss kommt der Statistik-Guru Nate Silver. Er sieht erstmals seit Anfang August Donald Trump knapp im Vorteil. Das liegt weniger daran, dass Robert Kennedy sich zu seinen Gunsten zurückgezogen hat, sondern primär an Pennsylvania. Der Bundesstaat mit 19 Elektorenstimmen könnte das Zünglein an der Waage bilden.
Dort zeigen die Umfragen nach wie vor ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Letztlich aber wagt Nate Silver keine Einschätzung, wer am 5. November gewinnen wird. Das mag auch daran liegen, dass sich die Umfragen und Prognosen in der jüngsten Vergangenheit als nicht sehr zuverlässig erwiesen hatten. In mindestens zwei Fällen lagen sie sogar gründlich daneben.
Bei der Präsidentschaftswahl 2016 deutete bis zum Wahltag alles auf einen Sieg von Hillary Clinton hin. Ich war damals in New York und erlebte mit, wie sich die Stimmung im Verlauf des Abends von Vorfreude zu blankem Entsetzen wandelte (ausser vor dem Hauptquartier von Fox News). Die Umfragen hatten die Pro-Trump-Dynamik nicht erfasst.
Das genaue Gegenteil geschah vor zwei Jahren bei den Kongresswahlen. Alle Umfragen deuteten auf ein Blutbad für die Demokraten hin. Am Ende kamen sie mit einem Klaps aufs Hinterteil davon. Sie behielten die Kontrolle über den Senat und gewannen in Pennsylvania einen Sitz hinzu. Und das Repräsentantenhaus ging nur knapp an die Republikaner.
Das lag an von Trump unterstützten extremen Kandidatinnen und Kandidaten, doch auch in diesem Fall hatten die Umfragen einen Faktor zu wenig erfasst. Zwar war die hohe Teuerung das wichtigste Motiv der Wählerschaft. Gleich dahinter aber folgte die Wut vieler Frauen über die Aufhebung des Rechts auf Abtreibung durch den Obersten Gerichtshofs wenige Monate zuvor.
Seit Donald Trump die US-Politik aufmischt, ist die Meinungsforschung und Datenanalyse zu einem schwierigen Unterfangen geworden. Es kommen emotional getriebene Dynamiken ins Spiel, die sich in den Zahlen nur beschränkt erfassen lassen, weshalb man sie mit Vorsicht behandeln muss. Was aber bedeutet das für die diesjährige Wahl am 5. November?
Ein möglicher Indikator ist eine am Donnerstag veröffentlichte Erhebung des renommierten Instituts Gallup. Sie misst nicht, welche Person in der Gunst der amerikanischen Wählerschaft vorn liegt, sondern deren Enthusiasmus. Und dort gibt es bei jenem Teil, der demokratisch wählt oder zu den Demokraten tendiert, eine bemerkenswerte Verschiebung.
Waren bei der ersten Umfrage im März «nur» 55 Prozent motivierter als üblich, an der Wahl teilzunehmen, so katapultierte sich dieser Wert im August auf 78 Prozent. Damit wird die Harris-Euphorie erstmals statistisch belegt. Bei den Republikanern gab es ebenfalls ein Plus, das aber trotz Trump-Attentat deutlich geringer ausfiel, von 59 auf 64 Prozent.
Damit hat Kamala Harris einen klaren Enthusiasmus-Vorsprung. Interessant sind Vergleiche mit früheren Fällen (Gallup macht diese Erhebung seit der Wahl 2000). 2016 war das republikanische Elektorat stets motivierter als das demokratische. Dies macht Trumps Wahlsieg erklärbar. Vier Jahre zuvor zeigte sich jedoch ein anderes Bild.
Damals war der Enthusiasmus bei der republikanischen Wählerschaft permanent höher, trotzdem siegte Barack Obama gegen Mitt Romney. Des Rätsels Lösung lautet Mobilisierung. Obama hatte 2012 die schlagkräftigere Organisation, mit mehr lokalen Kampagnenteams. Sie brachten mehr Leute in die Wahllokale als die Republikaner.
Enthusiasmus und Mobilisierung sind zwei zentrale Faktoren, die von den Umfragen nur ansatzweise erfasst werden. In beiden Punkten scheint Kamala Harris die Nase vorn zu haben. Als Vizepräsidentin konnte sie Joe Bidens Wahlkampfcrew nahtlos übernehmen. Es ist der womöglich unschlagbare Vorteil ihrer durchaus umstrittenen «Inthronisierung».
Es läuft wirklich rund für sie und ihren Vize-Kandidaten Tim Walz. Noch sind es mehr als zwei Monate bis zum D-Day, die heisse Phase des Wahlkampfs beginnt erst jetzt mit dem Ende der Sommerferien. Den Umfragen sollte man dabei besser nicht zu sehr vertrauen.
Wo muss man im Leben falsch abgebogen sein, um so etwas irrationales zu tun?
Eine Minute einer Rede von Trump zuhören und man weiss zu 100%, dass man einem solchen Typen keine Macht geben darf.