Eine dreijährige Recherche des «Tages-Anzeiger» zeigt die Hintergründe eines der womöglich grössten MeToo-Fälle der Schweiz. Der dreissigjährige Zürcher ist unter seinem Pseudonym «Travis the Creator» bekannt. Auf den sozialen Medien lädt er Frauen zu Afterpartys verschiedener Künstler wie Travis Scott oder Jason Derulo ein. Der Namen seiner Partyreihe: «DBS», was für «Don't be shy» steht, auf Deutsch: «Sei nicht schüchtern.»
Im März muss sich Travis vor dem Zürcher Bezirksgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn an wegen mehrfacher Vergewaltigung, mehrfacher sexueller Nötigung und Verletzung des Geheim- und Privatbereichs durch Aufnahmegeräte. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Aus den Anklageschriften ähnlicher Fälle, wie zum Beispiel des Chefs der Modemarke Abercrombie & Fitch, entdeckten die Journalisten des «Tages-Anzeiger» ein Muster, wie Männer und Frauen bei solchen Partys von Prominenten missbraucht werden. Dabei wird zuerst bei den jungen Opfern die Hoffnung geweckt, dass eine Karriere vor ihnen liegt. In einem zweiten Schritt werden die Opfer zu einer Party eingeladen, wo sie dann überredet oder zu etwas gedrängt werden. Zudem trauen sich die Opfer nicht, den Vorfall zu melden oder werden eingeschüchtert. Dieses Muster habe sich auch bei Travis' Partys gezeigt, so die Journalisten der Tamedia-Zeitungen.
Die Recherche ausgelöst hat ein Internetnutzer, dem Travis angeblich Geld schuldete. Dieser – von den Tamedia-Journalisten «Mark» genannt – erstellte ein Profil auf der Social-Media-Plattform Instagram unter dem Namen «travisthecreator_scammer» («Travis, der Gauner»). Daraufhin meldeten sich viele Nutzer bei ihm, dass Travis ihnen ebenfalls Geld schulde.
Aber nicht nur das. Es meldeten sich auch Frauen bei ihm, die angaben, von Travis missbraucht worden zu sein. Die Nachrichten dieser Frauen postete Mark auf dem Account, woraufhin sich immer mehr Frauen meldeten. Die Nachrichten handelten von unerwünschten Berührungen und Einladungen bis hin zu konkreten Übergriffen. Die Journalisten von Tamedia konnten alle Nachrichten einsehen, die der Mann im November 2021 erhalten hat. Wie diese Frau, die für einen Modelauftrag gebucht wurde:
Viele hätten angegeben, nichts gesagt zu haben aus Scham oder aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt werden würde:
Mark habe innerhalb von vier Tagen Nachrichten von 34 Frauen erhalten, davon berichteten 17 von sexuellen Übergriffen gegen ihren Willen. Kurz darauf habe Travis ihn angezeigt und die Polizei habe ihn gezwungen, alle Posts zu löschen. Sechs Frauen trauten sich aber, gegen Travis zu klagen, einige Betroffene und Beteiligte sprachen auch mit den Journalisten von Tamedia.
Die eine Klägerin war 21 Jahre alt, als sie Travis kennenlernte und hoffte, durch ihn in die Modewelt einzusteigen. Er lud sie zu einem Fotoshooting ein: «Er sagte, er könne mich gross rausbringen.» Als sie bei der Location ankam, waren dort aber nur sieben Männer bei einer Grillparty: «Travis lockerte mich auf, sagte immer wieder: ‹Don’t be shy.›» Später sei es zu nicht einvernehmlichen Sex gekommen, wobei noch ein weiterer Mann dazugekommen sei.
Sie traute sich nicht, sich zu wehren:
Travis sagte bei der Einvernahme, sie hätten sich explizit zum Sex verabredet und es sei einvernehmlich gewesen.
Eine weitere Frau, die mit den Journalisten redete, sei 18 gewesen, als Travis sie unter dem Vorwand eines Shootings in ein Badezimmer gelockt habe und es dort zu nicht einvernehmlichen Sex gekommen sei. Mit einer Freundin, die sie an diesem Tag begleitete, habe er das Gleiche versucht, doch sie habe sich noch wehren können. Travis bestreitet den Vorwurf der Vergewaltigung und spricht auch bei diesem Vorfall von einvernehmlichem Sex.
Die Anwältin von Travis sagt: «Mein Klient streitet ab, dass die sexuellen Kontakte gegen den Willen der Frauen geschahen.» Die Frauen hätten die Vorfälle jahrelang nicht angezeigt und auch weiterhin Kontakt mit Travis gehabt. Zudem hätten zwei Frauen die Vorwürfe von Sexualdelikten wieder zurückgezogen.
Tatsächlich habe sich jemand aus privaten Gründen zurückgezogen und in einem Fall habe es eine nachweislich falsche Anschuldigung gegeben, stellen die Journalisten fest.
Im Jahr 2021 bekam eine Frau, die von Travis sexuell missbraucht worden war, vor Gericht Recht. Er wurde wegen Schändung verurteilt. Während der Einvernahme dieses Falles gab der in Ghana geborene und in der Schweiz aufgewachsene Travis an, er sei arbeitslos, aber habe einige Modekooperationen.
Später wechselte er von der Mode- in die Partyszene und fing an, Partys zu organisieren für Promis, zum Beispiel für Fussballspieler. Die Idee war, jungen Frauen gratis Luxusferien zu offerieren, während die anwesenden Männer weibliche Gesellschaft genossen.
Dabei organisierte er auch Partys für den Ex-Manchester-City-Spieler Benjamin Mendy. Später wurde Mendy auch der Vergewaltigung beschuldigt, das Verfahren wurde dann aber eingestellt.
Es kommt nicht einfach zu nicht einvernehmlichem Sex. Das gibt es nicht. Sex ist einvernehmlich. Alles andere ist eine Vergewaltigung und es ist in diesem Fall wie so oft wieder ein Mann der vergewaltigt hat. Diese passive Sprache hilft niemandem.