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Ein Streifenwagen taucht an der Riva Vincenzo Vela direkt am Luganersee auf. Mein Puls geht hoch. Die Polizisten nehmen keine Notiz von mir. Ich rutsche ein wenig auf meiner Steinbank umher, widerstehe dem Bedürfnis, die Beine übereinander zu schlagen. Innert Minuten taucht der zweite Wagen auf.
Der Polizist auf dem Beifahrersitz starrt mich an, das Auto hält an der Ampel. Ich wappne mich, gleich eine Busse zu kassieren. Die Ampel schaltet auf Grün. Die Streife gibt Gas. Ich atme aus. Eine ältere Frau kommt auf mich zu: «Are you okay?».
Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass überhaupt jemand mit mir spricht. Die Frage überrascht mich. Denn ganz okay bin ich tatsächlich nicht. Der Schweiss rinnt mir in kalten Tröpfchen den Rücken hinunter. Ich habe Durst und fühle mich wie ein Fremdkörper.
Als solchen werde ich an diesem Tag auch behandelt. Im Tessin trat am 1. Juli 2016 das Verhüllungsverbot in Kraft. Burka und Niqabs werden hier im öffentlichen Raum nicht mehr toleriert. Das haben die Tessiner per Volksabstimmung beschlossen. In diesem Teil des Landes ist meine Kleidung offiziell kriminell.
Ich bewege mich anders in diesen schwarzen Tüchern: Mein Sichtfeld ist eingeschränkt und wo auch immer ich hinsehe, spüre ich Blicke: Blicke in meinem Rücken, Blicke von der Seite, Blicke direkt in meine Augen. Alle schauen mich an in Luganos Fussgängerzone – Männer, Frauen, Kinder, ältere, jüngere, doch ihre Augen sind nicht immer dieselben. Die der Kinder sind voller Neugierde, andere mitleidig, viele musternd. Und dann gibt es jene, die ich kaum je von Fremden auf mir gespürt habe: Sie sind empört, wütend, einige sogar hasserfüllt.
So wie der des Mannes auf dem Trottoir, der mich mit seiner Schulter aus dem Weg rempelt. Oder die ältere Dame im Sommerkleid, die an mir vorbeigeht und mir auf Italienisch eine Beleidigung ins Ohr zischt. Oder die üppige Tessinerin, die mir ein «Aria!» in den Rücken schmettert – «raus»!
Es gibt auch die Ängstlichen. So wie der Asiate, der seinen Rucksack schnell vom Boden neben sich auf die Bank zieht, als ich auf dem Weg zum Bahnhof Anstalten mache, mich neben ihn zu setzen. Oder die ältere Frau, die an meiner sonst leeren Bank vorbei geht und sich lieber auf eine voll besetzte quetscht, um auf ein Taxi oder den Bus zu warten. Ich bleibe alleine sitzen.
Einer älteren Tessinerin platzt der Kragen: «Das ist pure Provokation!», sagt sie eindringlich. «Jeder weiss, dass das ab heute verboten ist. Das könnte ein Mann mit einem Sprengstoffgürtel sein, ist doch klar, dass man da Angst hat.» Die Frau redet sich in Rage: «Ich bin froh, dass diese Vogelscheuchen verboten sind. Als ich so eine das erste Mal gesehen habe, habe ich laut aufgeschrien.» Es habe Juden in Lugano, gar Hare Krishnas, das gehe ja alles, aber die Muslime, die unbedingt auf ihren Traditionen beharren müssten, die gingen einfach zu weit.
Auf die Frage, ob sie denn Muslime kenne, sagt sie mit einer Selbstverständlichkeit: «Ja, die Putzfrau meiner Freundin ist Muslimin, und in meinem Haus lebt eine muslimische Familie. Die sind bestens integriert.» Doch Verhüllungen seien gar nicht in Ordnung, Integration hin oder her. Die Polizei solle ruhig dafür sorgen, dass Schleier verschwinden.
Davon sind die Luganesi offenbar überzeugt: «Du kannst das nicht mehr tragen», sagt mir ein älterer Herr, als ich mich gerade hinter einer Hausecke aus meinem Niqab schälen will. «Die werfen dich in eine Zelle!» Dort endete dieser Tag nicht, auch wenn Burkas und Niqabs im Tessin jetzt kriminell sind. Wohl weil die Empörung ungleich grösser ist als das Phänomen und die Durchsetzung nicht so einfach, wenn die Scheinwerfer nicht mehr an sind. (dwi/rar)