Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat einem Algerier Recht gegeben, der derzeit in Orbe VD im Gefängnis sitzt. Er erachtet die gegen den Mann nach Verbüssung der Freiheitsstrafe ausgesprochene Verwahrung als rechtswidrig.
Der Algerier war 2011 vom Bezirksgericht Lausanne unter anderem wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hätte im Juli 2017 aus der Haft entlassen werden sollen. Doch dann entschied die Waadtländer Justiz, den Mann zu verwahren. Das Bundesgericht bekräftigte diese Massnahme 2019. Sein Verteidiger zog den Fall im Sommer 2019 an den EGMR.
In einem am Dienstag veröffentlichten Urteil gaben die Strassburger Richter dem Häftling Recht. Sie stellten insbesondere fest, dass es keinen «kausalen Zusammenhang» zwischen dem ursprünglichen Urteil aus dem Jahr 2011 und der sieben Jahre später verhängten Verwahrung gab.
«Während keine neuen Elemente eine erneute Überprüfung der Schuld» dieses Mannes erlaubten, verhängte die Waadtländer Justiz «eine zusätzliche Strafe, die darauf abzielte, die Gesellschaft vor Straftaten zu schützen, für die der Betreffende bereits verurteilt worden war», betonte der Gerichtshof. Er kommt zum Schluss, dass dessen fortgesetzte Verwahrung gegen Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstösst, der sich auf das Recht auf Freiheit bezieht.
Bertrand Demierre, der Anwalt des Inhaftierten, sagte der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf Anfrage, dass dieses Urteil unter das Verbot der Doppelbestrafung falle. Es sei zwar möglich, im Nachhinein eine Strafe zu verhängen, aber dann müsse die Substanz der Angelegenheit erneut geprüft werden, was bei seinem Mandanten nicht der Fall gewesen sei.
Zudem habe dieser keine angemessene psychologische Betreuung erhalten, sondern sich mit «Pseudo-Behandlungen» begnügen müssen.
Wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde die Schweiz dazu verurteilt, dem Häftling 25'000 Euro Genugtuung zu zahlen, zuzüglich 22'000 Euro für die Gerichtskosten. (sda)