Die Richter folgten damit der Staatsanwaltschaft, welche die Anklage im Verlauf des vier Tage dauernden Prozesses in einer spektakulären Kehrtwende selbst fallen gelassen hatte. Sie verwiesen bei ihrem Urteil insbesondere auf die gerichtsmedizinischen Gutachten. Diese stellten fest, dass es unmöglich sei, mit Sicherheit zu sagen, dass Mike Ben Peter aufgrund des Polizeieinsatzes und insbesondere aufgrund des Festhaltens in Bauchlage gestorben sei.
«Das Gericht kann nicht von den forensischen Gutachten abweichen», sagte Gerichtspräsident Pierre Bruttin. Der Herzkreislaufstillstand sei demnach unabhängig davon eingetreten, wie Mike Ben Peter positioniert wurde.
Das Gericht kam auch zum Schluss, dass die sechs Stadtpolizisten nicht gegen ihre Sorgfaltspflicht verstossen hatten. In diesem Punkt wich es von der Staatsanwaltschaft ab, die der Ansicht war, dass die Polizisten Mike Ben Peter zu lange in Bauchlage festgehalten hatten.
Letztendlich kamen die Richter zu dem Schluss, dass «kein kausaler Zusammenhang» zwischen dem Polizeieinsatz und dem Tod des Nigerianers bestand. «Die Ursachen für seinen Tod sind multifaktoriell», betonte Bruttin. Das Gericht spreche die sechs Polizisten daher frei, sagte er.
Der Anwalt der Familie des Opfers, Simon Ntah, hatte seinerseits eine Verurteilung gefordert. Seiner Meinung nach haben die Polizisten bei der Festnahme unverhältnismässig viel Gewalt angewendet.
Er wollte sich nach dem Urteilsspruch nicht äussern. Eine Berufung ist jedoch sehr wahrscheinlich, da der Anwalt mehrfach angedeutet hatte, dass er notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen werde.
Die Verkündung des Urteils führte zu heftigen Reaktionen. «Schande» oder «Komplizenschaft der Justiz» riefen einige Personen im Gerichtssaal. Eine Person aus dem Publikum schrie: «Schande», andere riefen: «Justiz als Komplizin», «Das ist zu einfach». Der Präsident rief das Publikum zur Ordnung auf, um seine Lesung zu beenden.
Die Witwe von Mike Ben Peter und sein Bruder, die bei der Urteilsverkündung anwesend waren, wurden beim Verlassen des Gerichtsgebäudes mit Applaus bedacht. «Das ist nicht fair. Ich werde Gerechtigkeit für meinen Mann erwirken. Ich bin eine Löwin und werde nicht aufgeben. Ich werde zurückkommen», sagte die Witwe.
Als die Menschen den Gerichtssaal verliessen, kam es zu tumultartigen Szenen. Draussen riefen die Demonstranten in Sprechchören «Gerechtigkeit für Mike». Als der Kommandant der Lausanner Stadtpolizei Olivier Botteron, der im Publikum anwesend war, mit einem Polizeisprecher herauskam, buhten die Demonstranten die beiden aus und riefen «Mörder». Botteron und Sprecher kehrten um.
Richter, Anwälte, angeklagte Polizisten und einige Begleitpersonen verliessen das Gerichtsgebäude schliesslich durch den Hintereingang.
Zahlreiche Demonstranten betraten daraufhin das Gerichtsgebäude, um ihre Wut über das Urteil kundzutun. Die Rufe der Demonstranten unter den Klängen von «Polizei überall, Gerechtigkeit nirgends» dauerten über 30 Minuten, bevor wieder Ruhe einkehrte.
Auf Seiten der Verteidigung brachte der Anwalt eines der Polizisten, Jean-Emmanuel Rossel, seine Erleichterung zum Ausdruck. «Ich bin seit langem der Meinung, dass der Fall zu einem Freispruch führen sollte. Die Gutachten kamen zum Schluss, dass das Eingreifen der Polizisten nicht für den Tod von Mike Ben Peter verantwortlich war», sagte er.
Stadtpolizei-Kommandant Botteron sprach auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA von einer «Erleichterung für die beteiligten Polizisten und auch für mich, aber auch für alle Polizisten des Kantons». Er fügte hinzu: «Wir waren alle von diesen tragischen Ereignissen betroffen und sprechen der Familie unser Beileid aus.»
Mike Ben Peter hatte sich 2018 in Lausanne den Polizisten bei einer Drogenkontrolle widersetzt. Um den 39-Jährigen in Schach zu halten, schlugen die Polizisten ihn und setzten Pfefferspray ein, bevor sie ihn überwältigten und auf den Bauch legten.
Der Mann starb am nächsten Tag an einem Herz-Kreislauf-Stillstand, nachdem er vor Ort notversorgt und anschliessend ins Universitätsspital Chuv in Lausanne gebracht worden war.
Der Fall sorgte über die Westschweiz hinaus für Schlagzeilen. Seit dem Todesfall fanden in den Strassen der waadtländischen Hauptstadt mehrere Demonstrationen statt, bei denen Rassismus und Polizeigewalt angeprangert wurden.
Es wurden Vergleiche gezogen zwischen dem Nigerianer Ben Peter und dem Afroamerikaner George Floyd, der 2020 in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota von einem weissen Polizisten getötet worden war.
(rst/aeg/sda)