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Wie sieht die Zukunft von Blatten aus? Drei mögliche Szenarien

A destroyed house in the water from the river Lonza after the formation of a lake on the last houses of the village of Blatten collapsed after a massive avalanche, triggered by the collapse of the Bir ...
«Das Dorf Blatten hat eine Zukunft», sagt Staatsrat Ganzer an der jüngsten Medienkonferenz. Doch wie soll diese aussehen? Bild: keystone

Wie sieht die Zukunft von Blatten aus? 3 mögliche Szenarien

05.06.2025, 17:2705.06.2025, 17:27
Lena Schibli
Lena Schibli
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«Wir werden unser Dorf wieder aufbauen», sagte der Blattner Gemeindepräsident Matthias Bellwald zu den Medien, nur wenige Stunden nach dem verheerenden Gletscherabbruch im Walliser Bergdorf.

Seither ist eine Grundsatzdebatte zwischen Experten, Politiker und Betroffenen über die Zukunft von Alpentälern entstanden. Die Kernfrage bleibt aber: Soll man Blatten überhaupt wieder aufbauen? Falls ja: Wo? Zu welchem Preis und auf wessen Kosten?

An der Medienkonferenz von Mittwoch fand Staatsrat Stephan Ganzer, klare Worte: «Die Nachricht, die wir heute senden wollen ist: Das Dorf Blatten hat eine Zukunft.»

Aber wie könnte eine solche Zukunft aussehen?

Blatten bleibt, aber nicht an derselben Stelle

Das erste Szenario ist ein Wiederaufbau des Bergdorfes, jedoch nicht am ursprünglichen Standort.

Talratspräsident Christian Rieder bestätigte gegenüber «SRF,» dass es wahrscheinlich sei, dass Blatten an einem anderen Ort «neu entsteht». Zum Beispiel in Weissenried, das bereits zur Gemeinde gehört.

weissenried blatten
Der Weiler Weissenried (rot) gehört zur Gemeinde Blatten und wurde von der Schuttmasse nur knapp verfehlt. Hier könnte das «neue» Blatten entstehen.Bild: map.geo.admin

In einem solchen Fall müssten die zuständigen Naturgefahren-Fachstellen der Behörden die Gefahrenkarte neu evaluieren. «Ein Wiederaufbau darf nur dort erfolgen, wo laut dieser Einschätzung auch tatsächlich Sicherheit gewährleistet ist», heisst es von offizieller Seite.

Auch für Talratspräsident Rieder steht die Sicherheit der Bevölkerung an erster Stelle: «Wir müssen genau prüfen, wo unter welchen Bedingungen ein Wiederaufbau möglich ist». Und der Schuttkegel? Der könnte begrünt werden, so Rieder.

Doch bevor an einen Wiederaufbau gedacht werden kann, gilt es, sich um die Millionen Kubikmeter Geröll im Tal zu kümmern. Dafür wiederum müsse zuerst abgewartet werden, bis die Lage sicher genug ist, um mit den Aufräumarbeiten zu beginnen.

KEYPIX - A aerial view captured one day after a massive avalanche, triggered by the collapse of the Birch Glacier, shows the destruction it caused as it swept down to the valley floor and demolishing  ...
Es sind Bilder der Zerstörung in Blatten, VS. Nun stellt sich die Frage, wie die Zukunft des Bergdorfes aussehen könnte. Bild: KEYSTONE

Gegner eines Wiederaufbaus per se argumentieren, dass ein «neues» Blatten zu gefährlich sei. Der Geograf Werner Bätzing schwächt dieses Argument gegenüber dem Tagesanzeiger ab: Bei einem Bergsturz handle es sich um ein einmaliges Ereignis. Ausserdem gäbe es nirgends eine ultimative Sicherheit vor Naturgefahren.

«Prinzipiell gilt, dass es nirgends und nie eine hundertprozentige Sicherheit vor Naturgefahren gibt.»
Werner Bätzing, Geograf

Wäre ein Wiederaufbau aber nicht zu teuer? Bätzing verneint. Es sei falsch, das Geld für Metropolitanregionen auszugeben zu wollen. «Wenn der Mensch sich bloss noch auf die Verdichtungsräume konzentriert, wird er heimatlos in der Welt.» Der Geograf geht sogar noch weiter: Wenn es nur noch die Grossstadt, die Agglo und eine sogenannte alpine Brache gäbe, dann wäre die helvetische Identität zerstört.

Die Kosten für den Wiederaufbau der privaten Wohnhäuser würden von den Gebäudeversicherungen getragen. Da es im Kanton Wallis keine obligatorische kantonale Gebäudeversicherung gibt, liegt diese Aufgabe bei privaten Versicherungsgesellschaften.

Das «neue» Blatten soll wie das alte werden

Ein weiteres Szenario für das zukünftige Blatten wäre, dass die Geröllmassen, die das Dorf jetzt bedecken, abtransportiert werden. Blatten würde an Ort und Stelle wieder aufgebaut.

Mehrere Experten und Expertinnen schätzen dieses Szenario aber als unwahrscheinlich ein. Der Geologe Marco Buser teilt diese Beurteilung: «Bei den Millionen Kubikmetern, die das Tal zugeschüttet haben, sind die Kosten schlicht und ergreifend zu hoch.», sagt er gegenüber «20 Minuten». «Den Ort Blatten wird es so, wie er war, nicht mehr geben», so Busers Einschätzung.

«Blatten wird es so, wie er war, nicht mehr geben.»
Marco Buser, Geologe

Das bestätigt auch der emeritierte Geologieprofessor der Universität Genf, Walter Wildi, gegnüber dem «Blick». «Man wird das Dorf woanders wieder aufbauen müssen», sagt er. Wichtig sei dabei, dass das «neue» Blatten eher in Richtung Hang gebaut würde.

Dies sieht auch der Christian Rieder, der Talratspräsident des Lötschentals. Den Schuttkegel abzutragen sei unrealistisch – schon nur wegen der Frage, wohin mit dem Material, sagt er gegenüber «SRF».

So hübsch war Blatten vor dem Bergsturz – und so sieht es jetzt aus

Video: watson

Umsiedlung der Dorfbewohner

Die letzte Variante wäre eine endgültige Umsiedlung aller Blattner und Blattnerinnen. Jenes Szenario löste schon kurz nach dem Bergsturz eine mediale Debatte aus.

So stellte der Chefredaktor der NZZ am Sonntag Beat Balzli die Verhältnismässigkeit der Investitionen infrage. Finanz- und Lastenausgleich für die Bergregionen würden an ihre Grenzen stossen.

«Der Rückzug der Zivilisation reduziert das Schadenspotenzial. Wo weniger ist, geht weniger kaputt.»
Beat Balzli, Chefredaktor NZZ am Sonntag

Der Direktor des Instituts für Kulturen der Alpen, Boris Previšić, hingegen gibt zu bedenken, dass es kaum handfeste Gründe gebe, ganze Täler zu räumen. Nicht nur wegen der Verbundenheit der Menschen, sondern auch, weil es in den Tälern sichere Zonen gebe, in denen Siedlungen weiterhin gebaut werden könnten

Der Chefredaktor des Walliser Boten kritisiert, dass wenige Tage nach dem Ereignis bereits über einen Rückzug aus den Bergen diskutiert werde. Er spricht von einem «bedenklichen Angriff auf Bergdörfer». Ausserdem habe «eine Politik, die mit Milliarden Banken rettet, aber Berggebiete fallen lassen will, nicht nur das Augenmass verloren – sondern auch den Kompass.»

Francesco Walter, Gemeindepräsident von Goms, ist ähnlicher Meinung:

«Wer heute vorschlägt, Blatten im Lötschental oder andere betroffene Dörfer einfach aufzugeben, argumentiert, als wären wir Ballast für die Gesellschaft, den man aus Kostengründen abwerfen sollte. Das ist nicht nur zynisch, es ist entmenschlichend.»

Ziehe man diesen Gedanken weiter, müsse man auch fordern, Kranke nicht mehr zu behandeln, schreibt Walter. Solidarität sei kein Totschlagargument, sondern ein Grundwert: «Wenn dieser plötzlich zur Belastung erklärt wird, dann ist nicht das Bergdorf das Problem – sondern unser gesellschaftliches Verständnis von Zusammenhalt.»

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Gletscherabbruch in Blatten VS
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Gletscherabbruch in Blatten VS

Der Fluss Lonza ist vom Geröll vollständig aufgefüllt worden. Das Wasser staut sich nun in einem entstandenen See auf.

quelle: keystone / jean-christophe bott
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So hübsch war Blatten vor dem Bergsturz – und so sieht es jetzt aus
Video: watson
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66 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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tr3
05.06.2025 17:57registriert April 2019
Von mir aus sollen sie bauen. Ich glaube aber an Szenario 4: Bis Baubeginn werden soviele Jahren ins Land gezogen sein, dass sich die meisten Blattner anderswo eingerichtet haben und gar kein Bedarf mehr besteht.
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Madison Pierce
05.06.2025 18:44registriert September 2015
Als Landbewohner weiss ich, dass ein Dorf mehr ist als ein paar Häuser mit Garten. Es ist eine Gemeinschaft, fast eine Familie, teilweise über Generationen verflochten. Nachbarschaften, Vereine, Traditionen. Wer mal hier und mal dort wohnt und es nur schon in Betracht zieht, für eine neue Stelle umzuziehen, kann das vielleicht nicht nachvollziehen. (Wobei dieser Lebensstil natürlich völlig in Ordnung ist!)

Die Leute müssen also zusammenbleiben. Das kann aber vielleicht gut in einem neu geschaffenen Quartier in einer Gemeinde in der Nähe sein. Wichtig ist, dass es schnell geht.
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makwert
05.06.2025 18:33registriert November 2023
Ich denke eine erweiterte Version 1 wäre eine gute Lösung: Blatten mit Wiler, Kippel und Ferden fusionieren und die wiederaufzubauenden Häuser über die drei Dörfer verteilen.

Dadurch bleibt die Region und Kultur erhalten, die Leute können in ihrer Heimat bleiben, keines der Dörfer würde übermässig aufgebläht. Die Fusion wäre solidarisch, dass das Tal gleichermassen die Infrastruktur im Tal mitfinanziert (nicht den Wiederaufbau, da helfe ich gerne, aber der normale Unterhalt).
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