«Wir werden unser Dorf wieder aufbauen», sagte der Blattner Gemeindepräsident Matthias Bellwald zu den Medien, nur wenige Stunden nach dem verheerenden Gletscherabbruch im Walliser Bergdorf.
Seither ist eine Grundsatzdebatte zwischen Experten, Politiker und Betroffenen über die Zukunft von Alpentälern entstanden. Die Kernfrage bleibt aber: Soll man Blatten überhaupt wieder aufbauen? Falls ja: Wo? Zu welchem Preis und auf wessen Kosten?
An der Medienkonferenz von Mittwoch fand Staatsrat Stephan Ganzer, klare Worte: «Die Nachricht, die wir heute senden wollen ist: Das Dorf Blatten hat eine Zukunft.»
Aber wie könnte eine solche Zukunft aussehen?
Das erste Szenario ist ein Wiederaufbau des Bergdorfes, jedoch nicht am ursprünglichen Standort.
Talratspräsident Christian Rieder bestätigte gegenüber «SRF,» dass es wahrscheinlich sei, dass Blatten an einem anderen Ort «neu entsteht». Zum Beispiel in Weissenried, das bereits zur Gemeinde gehört.
In einem solchen Fall müssten die zuständigen Naturgefahren-Fachstellen der Behörden die Gefahrenkarte neu evaluieren. «Ein Wiederaufbau darf nur dort erfolgen, wo laut dieser Einschätzung auch tatsächlich Sicherheit gewährleistet ist», heisst es von offizieller Seite.
Auch für Talratspräsident Rieder steht die Sicherheit der Bevölkerung an erster Stelle: «Wir müssen genau prüfen, wo unter welchen Bedingungen ein Wiederaufbau möglich ist». Und der Schuttkegel? Der könnte begrünt werden, so Rieder.
Doch bevor an einen Wiederaufbau gedacht werden kann, gilt es, sich um die Millionen Kubikmeter Geröll im Tal zu kümmern. Dafür wiederum müsse zuerst abgewartet werden, bis die Lage sicher genug ist, um mit den Aufräumarbeiten zu beginnen.
Gegner eines Wiederaufbaus per se argumentieren, dass ein «neues» Blatten zu gefährlich sei. Der Geograf Werner Bätzing schwächt dieses Argument gegenüber dem Tagesanzeiger ab: Bei einem Bergsturz handle es sich um ein einmaliges Ereignis. Ausserdem gäbe es nirgends eine ultimative Sicherheit vor Naturgefahren.
Wäre ein Wiederaufbau aber nicht zu teuer? Bätzing verneint. Es sei falsch, das Geld für Metropolitanregionen auszugeben zu wollen. «Wenn der Mensch sich bloss noch auf die Verdichtungsräume konzentriert, wird er heimatlos in der Welt.» Der Geograf geht sogar noch weiter: Wenn es nur noch die Grossstadt, die Agglo und eine sogenannte alpine Brache gäbe, dann wäre die helvetische Identität zerstört.
Die Kosten für den Wiederaufbau der privaten Wohnhäuser würden von den Gebäudeversicherungen getragen. Da es im Kanton Wallis keine obligatorische kantonale Gebäudeversicherung gibt, liegt diese Aufgabe bei privaten Versicherungsgesellschaften.
Ein weiteres Szenario für das zukünftige Blatten wäre, dass die Geröllmassen, die das Dorf jetzt bedecken, abtransportiert werden. Blatten würde an Ort und Stelle wieder aufgebaut.
Mehrere Experten und Expertinnen schätzen dieses Szenario aber als unwahrscheinlich ein. Der Geologe Marco Buser teilt diese Beurteilung: «Bei den Millionen Kubikmetern, die das Tal zugeschüttet haben, sind die Kosten schlicht und ergreifend zu hoch.», sagt er gegenüber «20 Minuten». «Den Ort Blatten wird es so, wie er war, nicht mehr geben», so Busers Einschätzung.
Das bestätigt auch der emeritierte Geologieprofessor der Universität Genf, Walter Wildi, gegnüber dem «Blick». «Man wird das Dorf woanders wieder aufbauen müssen», sagt er. Wichtig sei dabei, dass das «neue» Blatten eher in Richtung Hang gebaut würde.
Dies sieht auch der Christian Rieder, der Talratspräsident des Lötschentals. Den Schuttkegel abzutragen sei unrealistisch – schon nur wegen der Frage, wohin mit dem Material, sagt er gegenüber «SRF».
Die letzte Variante wäre eine endgültige Umsiedlung aller Blattner und Blattnerinnen. Jenes Szenario löste schon kurz nach dem Bergsturz eine mediale Debatte aus.
So stellte der Chefredaktor der NZZ am Sonntag Beat Balzli die Verhältnismässigkeit der Investitionen infrage. Finanz- und Lastenausgleich für die Bergregionen würden an ihre Grenzen stossen.
Der Direktor des Instituts für Kulturen der Alpen, Boris Previšić, hingegen gibt zu bedenken, dass es kaum handfeste Gründe gebe, ganze Täler zu räumen. Nicht nur wegen der Verbundenheit der Menschen, sondern auch, weil es in den Tälern sichere Zonen gebe, in denen Siedlungen weiterhin gebaut werden könnten
Der Chefredaktor des Walliser Boten kritisiert, dass wenige Tage nach dem Ereignis bereits über einen Rückzug aus den Bergen diskutiert werde. Er spricht von einem «bedenklichen Angriff auf Bergdörfer». Ausserdem habe «eine Politik, die mit Milliarden Banken rettet, aber Berggebiete fallen lassen will, nicht nur das Augenmass verloren – sondern auch den Kompass.»
Francesco Walter, Gemeindepräsident von Goms, ist ähnlicher Meinung:
Ziehe man diesen Gedanken weiter, müsse man auch fordern, Kranke nicht mehr zu behandeln, schreibt Walter. Solidarität sei kein Totschlagargument, sondern ein Grundwert: «Wenn dieser plötzlich zur Belastung erklärt wird, dann ist nicht das Bergdorf das Problem – sondern unser gesellschaftliches Verständnis von Zusammenhalt.»
Die Leute müssen also zusammenbleiben. Das kann aber vielleicht gut in einem neu geschaffenen Quartier in einer Gemeinde in der Nähe sein. Wichtig ist, dass es schnell geht.
Dadurch bleibt die Region und Kultur erhalten, die Leute können in ihrer Heimat bleiben, keines der Dörfer würde übermässig aufgebläht. Die Fusion wäre solidarisch, dass das Tal gleichermassen die Infrastruktur im Tal mitfinanziert (nicht den Wiederaufbau, da helfe ich gerne, aber der normale Unterhalt).