Seit über einem Jahrzehnt bin ich Strafverteidiger. Und es ist noch immer mein Traumberuf.
Man benötigt ein feines Gespür, einerseits für den Mandanten oder die Mandantin, andererseits für die involvierten Strafverfolgungsbehörden. Während des Prozesses ist es essenziell, dass der Strafverteidiger zum richtigen Zeitpunkt das Richtige macht. Deplatzierter Aktivismus ist hinderlich – es ist nicht sinnvoll, gegen jede Haftanordnung, -verlängerung oder Beschlagnahme eine Beschwerde einzulegen. Ich gehe da ganz gezielt und ruhig vor – wie ein Chirurg während einer Operation.
Viele meiner Kolleginnen und Kollegen empfehlen den Mandanten, von dem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch zu machen. Ich sehe das ganz anders und rate meinen Mandantinnen fast immer dazu, eine Aussage zu machen. Denn erst ihre Aussage macht aus dem Bündel Papier, welches der Staatsanwalt oder die Richterin vor sich liegen hat, einen Menschen. Der Mensch muss erklären, warum er die Tat beging, oder, weshalb er unschuldig ist.
Das Spannendste an meinem Beruf ist, dass ich mit Menschen arbeiten kann. Ich lerne die unterschiedlichsten Leute aus den verschiedensten sozialen Schichten kennen. Pro Jahr habe ich ungefähr 30 Gerichtsverhandlungen, rund drei pro Monat. Da haben sich schon einige angehäuft über die Jahre hinweg. Ich habe wirklich schon fast jeden Verbrechertypen, den man sich vorstellen kann, verteidigt.
Ihr fragt euch sicher, wie ich damit umgehe, dass ich Mörder, Vergewaltiger oder Kinderschänder verteidigen muss. Ich kann nur entgegnen: Jeder Mensch hat das Recht auf eine Verteidigung.
Mein Credo ist: Je schlimmer das Verbrechen ist, desto wichtiger ist es, dass diese Person wirkungsvoll verteidigt wird. Selbst wenn ein Mensch etwas Furchtbares gemacht hat, hat er das Recht, dem Gericht zu erklären, warum er das gemacht hat. Diese Menschen haben oft viele traumatische Erlebnisse hinter sich. Ich sehe das überhaupt nicht als Entschuldigung an – vielleicht jedoch als Erklärung. Klar, es gibt viele, die solche Dinge erleben mussten und nicht straffällig wurden. Aber jeder Mensch wird von Traumata anders geformt.
Ich habe schon einen Mann verteidigt, der jedes einzelne seiner Kinder sexuell missbraucht hat. Einige von euch können bestimmt nicht nachvollziehen, wie ich das mit mir selbst vereinbaren kann.
Ich erkläre es euch: Diese Menschen sind mit einer sexuellen Neigung auf die Welt gekommen. Sie spüren das schon lange, bevor sie zu Tätern werden, doch sie kämpfen dagegen an. Wenn diese Personen einen Schicksalsschlag in der Familie oder sonst was erleben, kommt die Neigung zum Vorschein. Sie können die Neigung nicht mehr länger unterdrücken – dann werden sie zum Straftäter.
Was diese Leute machen, ist fürchterlich. Und das wissen sie auch. Genau diese Menschen benötigen aber jemanden, der für sie erklärt, wie es dazu gekommen ist, dass sie zu Tätern wurden. Sie brauchen einen Verteidiger, der sich für sie einsetzt. Dann kann man auch über Therapieansätze sprechen, die dafür sorgen können, dass das nie wieder passiert.
Mein Beruf hat sicherlich gewisse Kehrseiten. Ich werde von Opfern oder deren Angehörigen angefeindet. Aber das Strafmass bestimmt schlussendlich das Gericht, nicht ich. Diese Anfeindungen sehe ich als «Abfallprodukt» der Arbeit als Strafverteidiger. It's part of the game. Ich habe auch schon eine Todesdrohung bekommen von meinen Mandanten. Ich bin aber zu meinem Glück keine ängstliche Person.
Als erfolgreicher Strafverteidiger begegnet man oft auch Neid. Doch Neid und Drohungen, das sehe ich gewissermassen als spezielle Form der Anerkennung und das darf man letztlich als Lob verstehen.
Bei den Gerichtsverhandlungen trete ich vorwiegend als Pflichtverteidiger der Angeklagten auf. Das mache ich, weil meine Mandanten so nicht ein völlig überrissenes Anwaltshonorar bezahlen müssen. Da gibt es gelegentlich Mandanten und Mandantinnen, die denken, dass ich keine gute Arbeit leisten würde, weil ich «nur» Pflichtverteidiger bin in ihrem Fall. Für mich spielt es doch keine Rolle, ob ich als Pflicht- oder Wahlverteidiger arbeite. Die Qualität meiner Arbeit ist immer gleich gut.
Aber diese mühsamen Mandantinnen sind klar in der Unterzahl. Die gibt es überall. Mit zwei Drittel macht es Spass, zusammenzuarbeiten, die sind vernünftig. Die anderen Mandanten, also die Unvernünftigen, schaden sich oft selbst, indem sie nicht auf meine Ratschläge hören wollen. Sie wünschen etwa eine zu frühzeitige Entlassung aus der Untersuchungshaft. Ich erkläre ihnen dann, dass ich das für nicht sinnvoll halte, weil das den Prozess unnötig in die Länge zieht und letzten Endes die Untersuchungshaft so sogar länger andauert. Darauf folgt ein langes Hin und Her.
Das kann frustrierend sein. Mein Ziel ist es, in einem Strafverfahren optimale Resultate zu erzielen. Das kurzfristige Ziel ist, die Untersuchungshaft zu vermeiden. Denn diese ist für die Mandanten belastend. Das langfristige Ziel ist, dass der Mandant eine möglichst tiefe Strafe erhält oder idealerweise freigesprochen wird.
Die andere Seite, die Staatsanwaltschaft, hat mich nie gereizt. Für mich war immer klar, für welche Seite ich mich einsetzen möchte. Es ist für mich viel reizvoller, David zur Seite zu stehen, anstatt Goliath anzufeuern.
Denn Goliath ist in diesem Beispiel die Strafverfolgungsbehörde und der Staatsanwalt oder die -anwältin. Diese haben einen riesigen Apparat hinter sich. Sie haben fast unbeschränkte finanzielle Mittel. Polizisten ermitteln für sie. Zudem haben sie Sachverständige und Mitarbeitende in Labors, die ihnen bei der Untersuchung helfen. Sie haben alles, um den Sachverhalt aufzuklären und können das dann in einem zweiten Schritt vor Gericht so vertreten.
Der Beschuldigte hingegen hat nichts. Die einzige Person, die ihm zur Seite steht, ist die Verteidigerin oder der Verteidiger. Und genau da sehe ich mich.
Skunk42
Blanda
rational: Korrekt.
gesellschaftlich: notwendig
persönlich: Chapeau... ich könnte das nicht
Jackie Brown