Beschwingt fliegt der Schmetterling vor dem grossen Wohnzimmerfenster herum. Der Kleine Fuchs geniesst den warmen Februartag im Garten. Tatsächlich steuern wir auf einen Februar-Wärmerekord zu. «Seit 1864 erreichte bisher einzig der Februar 1990 eine Abweichung von 4 Grad Celsius über der Norm», sagt Stefan Bader von der Klimainformation von Meteo Schweiz. Jetzt steht der Februar bei 4,3 Grad Celsius über dem langjährigen Schnitt. Auf dem dritten Rang dieser Wärmerangliste liegt der Februar 2020 mit 3,6 Grad.
Meteo Schweiz beobachtet an 160 Stationen 26 verschiedene Pflanzenarten, um die Vegetationsentwicklung zu beschreiben. Schon während der warmen Tage Anfang Januar wurden an wenigen Standorten des phänologischen Beobachtungsnetzes erste blühende Haselsträucher erfasst. Ihre Blüten konnten sich so früh entwickeln, weil die Temperatur im Dezember hoch war. Mit dem milden Wetter ab dem 24. Januar blühten die Haselsträucher dann an vielen Stationen auf. «Generell liegen die Blühtermine je nach Station eine bis sechs Wochen vor dem durchschnittlichen Blütedatum», sagt Bader.
«Ein vorzeitiger Austrieb wegen des warmen Februars ist derzeit nicht zu erwarten – zumal wieder etwas kältere Temperaturen prognostiziert sind», sagt Rea Furrer vom Schweizer Obstverband. Vor allem die Nächte sind noch kalt, was der Winterruhe der Obstkulturen entgegenkommt. In einzelnen Fällen kann es zu vorzeitigem Austrieb kommen, was aber nicht ungewöhnlich ist. Grundsätzlich schützen sich die Pflanzen im Winter durch die Winterruhe. «Um die Pflanze ‹aufzuwecken›, braucht es verschiedene Reize. Die Temperatur spielt zwar eine Rolle, aber auch andere Faktoren, wie beispielsweise die Tageslänge, sind ausschlaggebend», erklärt Furrer.
Schmetterlinge machen jetzt, was sie immer machen, wenn es einen warmen Tag gibt: Sie fliegen aus. «Das ist somit an sich nichts Aussergewöhnliches», sagt Toni Bürgin, Präsident der St.Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft. Zu sehen sind jetzt Tagfalter, die in Unterschlüpfen wie Grasbüschen, Geäst oder trockenen Räumen im Estrich oder Ähnlichem überwintern. Das machen in der Schweiz der Kleine Fuchs, das Tagpfauenauge und der Zitronenfalter. Bürgin selbst hat bereits im Januar im hoch gelegenen Skiort Wildhaus einen ersten Kleinen Fuchs beobachtet, wie er erzählt.
Die Schmetterlinge profitieren davon, dass ab Mitte Februar schon ein Blütenangebot zur Verfügung steht. «Zahlreiche Frühblüher wie Schneeglöckchen, Hufflattich oder Buschwindröschen», sagt Biologe Bürgin. Ende Februar kommen dann die Weidenblüten dazu. Sollte es nochmals zu einem Kälteeinbruch kommen, ziehen sich die Falter wieder in geschützte Verstecke zurück, wo sie auf den Frühling warten. «Sie können, wie etwa der Zitronenfalter, dank Frostschutz-Proteinen in der Haemolymphe auch Minustemperaturen tiefgefroren überstehen», sagt Bürgin. Dass sie überwintert haben, sieht man ihnen zuweilen an den Flügeln an, die sind stumpf in den Farben und an den Rändern zum Teil etwas ausgefranst.
In vielen Skiorten ist es frühlingshaft grün. Vom bündnerischen Flims aus geht der Blick beispielsweise weit hinauf bis zur Schneegrenze. «In den Bergen sind die Schneehöhen noch überdurchschnittlich», sagt Bader. Auf dem Davoser Weissfluhjoch oder auf dem Säntis sind sie sogar deutlich höher als im Mittel. In Arosa liegt die Schneehöhe im Durchschnitt, in Andermatt deutlich darunter.
Was den Niederschlag betrifft, erhielt die Alpensüdseite im Februar verbreitet überdurchschnittliche Mengen. Stabio im Tessin registrierte bisher über 160 Prozent der normalen Regenmengen. In den übrigen Gebieten der Schweiz waren die Regen- und Schneemengen meist unterdurchschnittlich. Zum Beispiel meldet Sion bisher nur 11 Prozent und Zermatt nur 10 Prozent der durchschnittlichen Niederschläge. «Allerdings: In den kommenden Tagen werden regional noch einige Niederschläge erwartet, vor allem im Süden. Diese Angaben können sich also noch ändern, allenfalls auch deutlich», sagt Bader von Meteo Schweiz.
Auch die Vögel reagieren auf die Erwärmung. «Es gibt einige Vogelarten, die im Moment häufiger beobachtet werden als in den letzten Jahren. Beispiele sind Kiebitz, Ringeltaube, Zilpzalp und Mönchsgrasmücke», sagt Livio Rey von der Schweizerischen Vogelwarte in Sempach. Allerdings gilt das nicht für alle Arten. Langfristig könnte das aber dazu führen, dass Arten, die normalerweise im Winter in den Mittelmeerraum ziehen (Kurzstreckenzieher), gar nicht mehr nach Süden fliegen. Als Beispiele nennt Rey Rotmilan, Weissstorch oder Ringeltaube. Keinen Einfluss haben im Moment die warmen Februar-Temperaturen auf die sogenannten Langstreckenzieher, die jeweils nach Afrika ziehen. Diese Vögel kommen erst im April oder Mai zurück.
Langfristig hat die Erwärmung aber schon einen Einfluss: Kurzstreckenzieher und Standvögel profitieren eher von milden Wintern, da sie besser überleben können, wenn es weniger Schnee und Kälte hat. Diese Vögel können je nachdem früher brüten oder eine Brut mehr pro Jahr aufziehen. Im Gegensatz dazu haben die Weitreisenden Probleme: Sie sind genetisch darauf ausgerichtet, zum Zeitpunkt der höchsten Nahrungsverfügbarkeit zurückzukehren, damit sie ihre Jungen optimal ernähren können. «Wenn die Winter immer wärmer sind und der Frühling immer früher beginnt, die Vögel aber nicht früher zurückkehren, verpassen sie den optimalen Zeitpunkt zum Brüten. Dadurch geht langfristig der Bestand zurück», sagt Rey. Ausserdem leiden sie unter Dürren, Extremwetter und Lebensraumzerstörung auf dem Zugweg zwischen Brutgebiet und Winterquartier.
Teilweise haben auch Bergvögel Probleme, wenn es immer weniger Schnee gibt. Der Schneesperling etwa sucht Nahrung für seine Jungen bevorzugt an frisch geschmolzenen Schneerändern. Wenn nun immer weniger oder gar kein Schnee mehr liegt, finden sie weniger Nahrung für die Jungen. Dadurch sinkt der Bruterfolg, und der Bestand geht zurück. «Das ist besonders dramatisch, weil die Schweiz eine hohe internationale Verantwortung für die Erhaltung von Berg-Arten wie dem Schneesperling hat», sagt Livio Rey.
Greifvögel gelangen dagegen eher zur Nahrung, wenn keine geschlossene Schneedecke liegt. Sie profitieren grundsätzlich von weniger Schnee. «Wie viele Mäuse es hat, hängt aber nicht nur von der Temperatur ab. Die Gleichung höhere Temperatur gleich mehr Mäuse ist so also etwas zu vereinfacht», sagt Rey.
Die Vögel, die den Winter in Europa verbringen, müssen immer mit Kälteeinbrüchen rechnen und sind entsprechend gut daran angepasst. Die Vögel, die Kälteeinbrüche schlecht ertragen, überwintern in Afrika südlich der Sahara und kommen erst zurück, wenn es keine oder fast keine Kälteeinbrüche mehr gibt.
Derzeit stehen Erle und Hasel in allen Regionen in der Schweiz in Blüte. «Ihre Pollen erreichen bei milden Temperaturen bis und mit Mittwoch oft starke Belastungswerte», sagt Roxane Guillod, Expertin beim Allergiezentrum Schweiz (aha!). Diese dürften jedoch infolge der kommenden Regenfälle und durch die erwarteten tieferen Temperaturen zurückgehen. Gestartet ist die Pollensaison in der zweiten Januarhälfte. Die Pollenstarttermine seien in den letzten Jahren unterschiedlich gewesen, erklärt Guillod. «Letztes Jahr rekordverdächtig früh mit dem Pollenflug bereits zum Jahreswechsel. Letztlich sind der Start und der Verlauf der Pollensaison immer wetter- und temperaturabhängig.»
Generell könne man sagen, dass die Saison von Hasel, Birke und Esche aufgrund der Klimaveränderungen etwa zwei bis drei Wochen früher als vor dreissig Jahren beginne, sagt Guillod. «Die Gräser stehen im Mai rund zehn Tage früher in Blüte und gewisse Pflanzen blühen länger in den Herbst hinein. Menschen mit Heuschnupfen können also – je nachdem, auf welche Pollen sie allergisch sind – früher im Jahr und womöglich auch länger leiden.»
Es sei grundsätzlich so, dass Pollenallergien zunehmen: Vor rund hundert Jahren war noch weniger als 1 Prozent der Schweizer Bevölkerung betroffen, heute leidet jeder Fünfte an Heuschnupfen. «Die Gründe für diese Zunahme sind vielfältig, die genauen Zusammenhänge noch etwas unklar», sagt die Allergieexpertin.
Wer auf Pollen reagiert, sollte den Kontakt mit Pollen möglichst vermeiden und seine vom Arzt verschriebenen Medikamente griffbereit haben, meist Antihistaminika und ein Kortisonpräparat. Heuschnupfen sollte immer ärztlich abgeklärt und medikamentös behandelt werden. Sonst kann ein allergisches Asthma entstehen. Im Alltag ist es ausserdem gut, draussen eine Sonnenbrille zu tragen, Kleider nicht im Schlafzimmer ausziehen, abends die Haare zu waschen und nur kurz stosszulüften.
Wer derzeit niest, sich aber nicht sicher ist, ob es sich um eine Erkältung oder um einen allergischen Schnupfen handelt, kann dies mit dem Schnupfentest beim Allergiezentrum Schweiz herausfinden. Beschwerden wie juckende, tränende und gerötete Augen, Jucken in der Nase, im Gaumen oder in den Ohren deuten auf eine Pollenallergie hin. Und anders als bei einer Erkältung ist das Nasensekret bei einer Pollenallergie eher wässrig.
Der warme Februar fügt sich in einen milden Winter ein. Im landesweiten Mittel sei eine Wintertemperatur im Rekordbereich zu erwarten, sagt Meteorologe Bader. Rang 1 oder 2, je nach den Temperaturen bis Ende Februar. Diese werden zwar generell leicht zurückgehen. Der bisher mildeste Winter 2019/20 seit Messbeginn mit einer Abweichung von 2,7 Grad könnte aber durch diesen Winter abgelöst werden.
Ich freue mich schon auf den Sommer mit Temperaturen über 40 Grad. Ironie Off.
Wie wird es wohl in 10/20 Jahren aussehen, wenn jedes Jahr 1 Grad wärmer wird? Nein ich möchte jetzt noch nicht daran denken.
Freut euch bis Ende 21. Jahrhundert auf Temperaturen wie in Labrador, wenn der Golfstrom ernsthaft stockt.