Steuervorlagen haben beim Stimmvolk einen schweren Stand. Im Februar wurde die Teilabschaffung der Stempelabgabe sehr deutlich abgelehnt. Das gleiche Schicksal hatten die Erhöhung der Kinderabzüge und die Unternehmenssteuerreform III erlitten. Sie wurde erst im zweiten Anlauf angenommen, dank eines damit verknüpften Zustupfs für die AHV.
Bei der Änderung des Verrechnungssteuergesetzes, über die am 25. September abgestimmt wird, sieht es kaum besser aus. Die am Mittwoch veröffentlichten letzten Umfragen von SRG und Tamedia deuten auf einen Nein-Trend hin. Zwar gibt es immer noch relativ viele Unentschlossene, aber die tendieren in solchen Fällen erfahrungsgemäss zu einer Ablehnung.
Den Befürwortern der Reform war von Anfang an bewusst, dass es schwierig werden dürfte. Die Vorlage ist kompliziert und weit weg vom Alltag der «normalen» Menschen. Sie sind von ihr kaum betroffen, denn sie zielt nicht auf die vollständige Abschaffung der Verrechnungssteuer, wie das «Echo der Zeit» in einem missglückten Beitrag suggerierte.
Bei der Reform geht es einzig um Obligationen, die Firmen zur Kapitalbeschaffung ausgeben. Die Verrechnungssteuer mache die Schweiz bei diesem Geschäft unattraktiv, klagen die Befürworter. Profiteure seien andere Finanzplätze, vor allem Luxemburg. Die Änderung des Gesetzes soll zumindest einen Teil dieses Geschäfts in die Schweiz holen.
Allerdings hat die bürgerliche Mehrheit im Parlament die Vorlage gegenüber der Botschaft des Bundesrats in einem zentralen Punkt abgeschwächt. Das Finanzdepartement wollte die Verrechnungssteuer auf alle Firmenobligationen abschaffen. Im Gesetz, über das nun abgestimmt wird, werden jedoch nur Anleihen berücksichtigt, die neu ausgegeben werden.
Die damit verbundene Motivation ist simpel: Mit der Abmilderung sollen die Steuerausfälle minimiert werden. Denn die Bürgerlichen und die Wirtschaftsverbände wissen, dass sich Steuervorlagen mit kaum einem Argument so einfach bodigen lassen wie mit der Furcht vor Mindereinnahmen, für die womöglich die «normalen» Steuerzahler blechen müssen.
Die «milde» Verrechnungssteuer-Reform hat zumindest das Potenzial, dass sich die Ausfälle im Rahmen halten und durch Mehreinnahmen rasch kompensiert werden. Doch diese Botschaft kommt nicht an, und das liegt nicht nur an der Komplexität der Materie. Sowohl Bund als auch Wirtschaft haben in den letzten Jahren erhebliches Misstrauen erzeugt.
Das beste Beispiel ist die Unternehmenssteuerreform II, die 2008 nur ganz knapp angenommen wurde. Im Vorfeld hatten das Finanzdepartement und sein damaliger Chef Hans-Rudolf Merz (FDP) behauptet, die Einnahmeausfälle würden sich auf weniger als eine Milliarde Franken belaufen. Später mussten sie zugeben, dass sie rund zehnmal höher waren.
Diese grobe Fehleinschätzung hat Spuren hinterlassen. Viele misstrauen seither den Angaben des Bundes und verdächtigen ihn der «Trickserei». Dabei spielt es keine Rolle, dass die Einnahmen aus kapitalbasierten Steuern nicht ab-, sondern zugenommen haben. Die linke «Angstkampagne» habe sich «nie bewahrheitet», meint Economiesuisse.
Dennoch hat die Linke seit 2008 fast alle wichtigen Steuervorlagen zu Fall gebracht. Dazu trug ein weiterer Faktor bei: Sie hat erfolgreich Ressentiments gegen Grosskonzerne geschürt. Obwohl sie hohe Steuereinnahmen generieren und viele Arbeitsplätze anbieten, ist die Abneigung nicht unbegründet, denn auch sie haben viel Goodwill zerstört.
Multinationale Unternehmen, die sich auf den globalisierten Märkten tummeln, vermitteln oft den Eindruck, sie seien nur aus Steuergründen in der Schweiz ansässig. Das gilt selbst für «alteingesessene» Firmen wie die Basler Pharmakonzerne. Die Abgehobenheit zeigt sich besonders gut bei den Managerlöhnen, die sich an amerikanischen Vorgaben orientieren.
Die wuchtige Annahme der Abzocker-Initiative 2013 hat vielleicht die schlimmsten Exzesse beseitigt. Aber auf den Chefetagen wird weiter abgezockt. Auch die Gründer des Schuh- und Sportbekleidungsherstellers On, die sich gerne bodenständig geben und ihre Swissness betonen, orientieren sich bei der Vergütung an amerikanischen Verhältnissen.
Wenn es geschäftlich aber schiefläuft, wird sofort der Bund um Hilfe angefleht, etwa beim Grounding der Swissair und der Gründung der Swiss oder bei der Rettung der UBS. Neustes Beispiel ist der Stromkonzern Axpo, für den der Bundesrat notfallmässig den Rettungsschirm aktivieren musste. Das Verständnis dafür hält sich in Grenzen.
Und da wären noch die Skandale, die sich die Multis geleistet haben. Besonders bunt hat es zuletzt die zweite Grossbank getrieben, die Credit Suisse. Sie liess Kaderleute beschatten und verlochte Milliarden mit spekulativen Geschäften. Ihr kurzzeitiger VR-Präsident nutzte gerne den Privatjet und foutierte sich um geltende Corona-Regeln.
Es kann niemanden erstaunen, dass das Image der Grosskonzerne ramponiert ist und die Konzernverantwortungsinitiative nur wegen des Ständemehrs abgelehnt wurde. Und es erstaunt erst recht nicht, dass die Linke nun auch die Verrechnungssteuer-Vorlage mit dem Argument bekämpft, es würden «Sonderrechte für Konzerne und Grossanleger» geschaffen.
«Der Subtext ist klar: Grosskonzerne und überhaupt ‹das Kapital› sind böse und etwas Schlechtes für Normalbürger», meint die NZZ. Die Kampagne der Befürworter, die etwa die Vorteile der Gesetzesänderung für den Service Public und Investitionen in erneuerbare Energien wie alpine Solaranlagen betonen, kann dagegen kaum ankommen.
Es ist möglich, dass das Verrechnungssteuergesetz in einer Woche angenommen wird. Wahrscheinlicher aber ist ein Nein. Wenn Bürgerliche und Wirtschaftsverbände danach ihre Wunden geleckt haben, sollten sie sich gründlich überlegen, wie sie das ramponierte Vertrauen wiederherstellen können. Von den Konzernen selbst ist wenig zu erwarten.
Eine Gelegenheit wären die im Februar präsentierten Vorschläge der EU-Kommission für eine verschärfte Konzernverantwortung, die sogar über die Forderungen der Schweizer Volksinitiative hinausgehen. Noch sind sie nicht definitiv beschlossen, aber die Bürgerlichen könnten dafür sorgen, dass die Schweiz in einem solchen Fall nachzieht.
Wahrscheinlicher ist, dass sie mit betretener Miene behaupten werden, die Schweiz könne die verschärften EU-Regeln «leider, leider» so nicht übernehmen. Sie müssen sich dann einfach nicht wundern, wenn auch die nächste Steuervorlage bachab geht.
Das System ist das Problem. Man kommt nur irgendwo hin, wenn man Glück hat oder schon so reich ist, dass man bei klugem Investieren sich noch reicher macht. Geht man normal arbeiten und kriegt einen Lohn dafür, so kann man froh sein, reicht es fürs Leben und kann was beiseite legen. Aber reich wird man damit nicht.
Kommen dann noch die Würgerlichen und behaupten, irgendeine Steuersenkung für Reiche und Konzerne helfe allen, ohne es mit Fakten belegen zu können, so endet es in einem Disaster für sie.
Für mich deutet das schlicht darauf hin, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung nicht ihren gerechten Anteil an unsere Gesellschaft leistet.
Und bis das besser wird (vielleicht illusorisch), ist es mMn. gegen die Interessen der Mehrheit, eine Steuersenkung für die allergrössten Unternehmen und deren Inhaber gutzuheissen.