Die Krise des schweizerischen Detailhandels hat Folgen. 3400 Kleinläden sind in fünf Jahren verschwunden, das ist jeder zehnte Laden. Das zeigt die neueste Erhebung des Bundesamts für Statistik. Zurück bleiben leere Schaufenster. Ersatz muss her, und die Vermieter blicken leicht verzweifelt auf die Gastronomie. Kaffees oder Bars könnten Lücken in den Einkaufskulissen schliessen, auch Take-aways von Coop oder von Migros. Internationale Gastroketten kommen in Frage, die Burger verkaufen oder Sandwichs. Egal, was es ist, Hauptsache, die Leere füllt sich.
Die Hoffnung lebt, weil Gastroketten sich gerade einen Wettlauf liefern um freie Standorte in der Schweiz. Alle haben sie ehrgeizige Pläne. Gekleckert wird nicht, Klotzen ist angesagt. In 15 Filialen will die Genfer Kette «Luigia» neue Pasta und Pizza auftischen. Bereits 40 Shops hat die Sandwich-Kette Subway. An 50 Orten will Kentucky seine Fried Chicken an den Mann, an Frau oder Kind bringen. Neu will die Mailänder Restaurantkette «Panino Giusto» locken mit italienischen Sandwichs, und zwar an 20 Orten. Und im Kampf um Burger-Fans werden neue Filialen eröffnet von «Five Guys», «Holy Cow» oder «Hans im Glück». Noch mehr wachsen in der Schweiz will selbst der Branchen-King McDonalds.
Und die Hoffnung lebt, weil die Gastronomie zuletzt Stellen geschaffen hat. Rund 14'000 Stellen kamen in den letzten zwei Jahren hinzu. Das ist ein Zuwachs von 8 Prozent. Damit hat die Gastronomie ein höheres Tempo vorgelegt als die Gesamtwirtschaft, die auf ein Job-Wachstum von rund 3 Prozent kam. Die Schweiz erlebt einen Gastroboom. Damit können Verluste aufgefangen werden, die der Detailhandel erlitten hat. Der hat in der gleichen Zeit rund 1600 Stellen abgebaut. Eine Wende zeichnet sich nicht ab, im Gegenteil. Der Onlinehandel hat erst begonnen, die Branche zu wandeln.
Werden Modeläden von Schnellverpflegern ersetzt? Das beste Beispiel dafür findet sich an der Zürcher Bahnhofstrasse, in der Nähe des Hauptbahnhofs. «Vor zehn Jahren gab es dort noch mehr Kleiderläden oder andere Detailhändler», sagt Robert Weinert, Experte beim Immobilienberater Wüest Partner. Mit dem Aufkommen des Onlinehandels habe ein Trend zu Gastronomie eingesetzt. «Mittlerweile ist der Anteil von Take-away oder Fastfood-Ketten bedeutend höher.»
Zürich setzt das Beispiel, andere folgen. «In Bern, Basel, Genf oder in Winterthur ist ein ähnlicher Trend zu beobachten», sagt Weinert. Es ist die Folge eines gesellschaftlichen Wandels. Es wird heute mehr in Bahnhöfen eingekauft und in deren unmittelbarer Umgebung. Wo Passanten und Pendler strömen, da zieht es Betriebe hin. Die Mieten steigen. Weinert: «In der Umgebung von Verkehrsknotenpunkten wird oft am meisten gezahlt.» Das können sich Modeläden nicht leisten, die vom Onlinehandel geplagt werden. Sondern es ziehen hocheffiziente Gastroketten ein oder Food-Läden.
Auf den Schuhladen folgt eine Thaifood-Kette. Solche Abfolgen sind weit verbreitet. Doch gibt es sie auch in Einkaufsstrassen kleinerer Städten? Und wie lange kann so ein Gastroboom gut gehen, ehe es knallt?
Die Gastronomie hat in den grösseren Städten längst überschossen. Dennoch ist kein Ende des Booms zu erkennen. So lässt sich das Urteil zusammenfassen, das Peter Herzog abgibt. Der Experte sagt: «Es hat einen Überfluss an Angeboten. Zu viele Betriebe balgen sich um zu wenige Gäste, und vielerorts ist die Auslastung zu gering.» Was sich wiederum niederschlage in den Finanzen. Herzog: «Die Rechnung geht schon lange nicht mehr auf.»
Und doch könne es lange so weiter gehen, auch zehn oder fünfzehn Jahre. Herzog: «Die Vermieter entscheiden: Finden sie nichts Besseres, senken sie die Miete – der Gastronom überlebt.» So darf im Erdgeschoss eines Gebäudes ein Kaffee oder ein «Zero-Waste-Shop» bleiben. Die Leere bleibt gefüllt. Dafür tun sich andere Löcher auf, und zwar in den Bilanzen. «Die Vermieter verdienen weniger Geld und müssen Abschreibungen vornehmen.»
Welche Ausmasse hat dieser Gastroboom? Laut Herzog spielt er sich in Zürich oder Bern ab, vielleicht in Basel-Stadt. Dagegen sei nichts zu spüren von einem Boom in Aarau, Solothurn oder Schaffhausen. Ein Grund: «Sie spielen keine Rolle in den Planungen der grossen Gastroketten.» Diese beschränken sich auf grosse Städte, selbst dort auf die besten Orte. «In ihrem Geschäft ist Umsatzgrösse alles.»
In mittelgrossen oder kleinen Städten spielen andere Mechanismen. Altes Geld lenkt den Lauf der Dinge stärker. Es wird nicht nur auf Rentabilität geachtet. Läden mit Büchern oder Kleidern halten sich eher. Doch ist der Wandel meist nur aufgeschoben. Modeläden ziehen sich zurück und werden nicht ersetzt durch standardisiertes Kaffee, Sandwich&Co. «Das muss keine Katastrophe sein. Es entsteht Raum für originelle Gastronomie vielleicht im Verbund mit Kaffees und Lesungen.»
Wie viel hilft ein Gastroboom nach dem grossen Lädelisterben? Die Antwort wird dadurch erschwert, dass die Schweiz recht wenig weiss über ihre leeren Läden. Die Leere bei den Wohnungen lässt sich gut vermessen (siehe rechts). Derlei lässt sich hingegen nicht sagen von der Leere in den Einkaufskulissen. Fredy Hasenmaile, Immobilien-Ökonom von der Grossbank Credit Suisse, sagt, nur zu Grosszentren gebe es offizielle Zahlen. Bereits zu den Mittelzentren sei nichts vorhanden, zu kleinen Städten ohnehin nichts. «Und das wenige, was es an offiziellen Zahlen gibt, ist beschönigend.»
Hasenmaile sind etliche Verkaufsflächen bekannt, die sich kein Ladenbetreiber mehr leisten wollte. Danach lief das immerzu gleiche Spiel ab. Die leere Fläche wird irgendwie anders genutzt. Damit verschwindet sie aus den Statistiken. Gemessen am Total aller Verkaufsflächen steht weniger Fläche leer in einer Stadt – und die sogenannte Leerstandziffer sinkt. Die Statistik signalisiert eine beruhigende Entwarnung. Doch der Vermieter verdient weniger Geld. Hasenmaile: «Man könnte meinen, alles sei bestens. Dem ist leider nicht so.»