Am 25. September stimmt der Kanton Zürich über einen Gegenvorschlag zur Initiative «Für eine nachhaltige Nutzung von Wertstoffen» (Kreislaufinitiative) der Jungen Grünen ab. Das Ziel: weniger Wegwerfgesellschaft, mehr Nachhaltigkeit, Recycling und schonender Umgang mit Ressourcen. Der Kanton Zürich ist mit diesen Bestrebungen nicht alleine. Und das hat gute Gründe.
2022 fiel der sogenannte Earth Overshoot Day auf den 28. Juli. Der Tag markiert das Datum, an dem die Menschheit alle biologischen Ressourcen verbraucht hat, welche die Erde während des gesamten Jahres regeneriert. Um zu verhindern, dass wir jährlich so deutlich mehr verbrauchen, als die Erde regenerieren kann, erfährt das Modell der Kreislaufwirtschaft zunehmend Auftrieb.
Wir erklären die wichtigsten Begriffe dazu und ordnen mit Wissenschaftlern den Stand in der Schweiz ein.
Früher hatten viele traditionelle Wirtschaftssysteme noch einen Kreislaufcharakter: Produkte, Materialien und Produktionsrückstände wie zum Beispiel biologische Abfälle oder Metalle wurden vermehrt wiederverwendet und rezykliert. Viele Rohstoffe hatten Seltenheitswert und wurden viel besser genutzt, konserviert und im Kreislauf geführt.
Karolin Frankenberger ist Professorin an der Universität St. Gallen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Fabian Takacs forscht sie zur Kreislaufwirtschaft. Sie erklärt uns:
Durch die gezielte Förderung von Rohstoffen und der zunehmenden Nutzung fossiler Brennträger wurden diese im Vergleich zu anderen Kosten mit der Zeit deutlich billiger. Und so begann die Menschheit im Zuge der Industrialisierung, zunehmend linear zu wirtschaften – die sogenannte Wegwerfgesellschaft entstand.
Das Modell einer Kreislaufwirtschaft kann also am besten verstanden werden, in dem man es in den Kontrast stellt zur heute noch mehrheitlich betriebenen linearen Wirtschaft. Diese beschreibt ein System, in dem Rohstoffe gefördert, zu Produkten verarbeitet, diese danach benutzt und schliesslich mehrheitlich verbrannt oder deponiert, also weggeworfen werden.
Die Kreislaufwirtschaft beschreibt ein ganzheitliches System. Das heisst, es umfasst den gesamten Kreislauf sämtlicher Produkte und Materialien, von ihrem Ursprung als Rohmaterialien über ihre Herstellung bis hin zur Nutzung und schliesslich zur Wiederverwendung oder zum Recycling.
Die Kreislaufwirtschaft hat zum Ziel, möglichst wenige Ressourcen zu verbrauchen und diejenigen Produkte und Materialien, die benötigt werden, möglichst im Umlauf zu halten.
Sie soll in erster Linie die Probleme der Wegwerfgesellschaft beheben: grosse Mengen an Abfall, eine Verknappung von Rohstoffen und damit verbundene Umweltprobleme.
«Kreislaufwirtschaft umzusetzen bedeutet, aktiv gegen den Klimawandel anzukämpfen, und zwar ziemlich effizient», sagt Dr. Fabian Takacs von der Universität St. Gallen. Es sei davon auszugehen, dass die Art und Weise, wie die Menschheit mit Rohstoffen umgeht – sowohl Produktion als auch Nutzung –, weltweit bis zu 70 Prozent der Klimaemissionen ausmacht. «Das ist eine gewaltige Menge», so Takacs.
Ausserdem: «Corona oder das Schiffsunglück im Suezkanal haben gezeigt, wie anfällig globalisierte Lieferketten sind», erklärt der Ökonom. Die Kreislaufwirtschaft helfe der Schweizer Wirtschaft, eine erhöhte Resilienz – also eine Widerstandsfähigkeit gegenüber von aussen kommenden Schocks – aufzubauen.
Geschlossene Materialkreisläufe erlauben dank neuer Geschäftsmodelle den Zugriff auf Produkte und Rohstoffe, die bis anhin im Abfall landeten und nur durch Neuproduktionen und Anschaffungen ersetzt werden konnten. Fabian Takacs: «Das machte Unternehmen, und damit auch die Kunden, sehr stark abhängig von Importen und Zulieferern, die mittlerweile auf der ganzen Welt verstreut liegen.» Das Ausbauen der Kreislaufwirtschaft mache die Schweiz deshalb unabhängiger und damit wettbewerbsfähig. Aber: Anfänglich könnte das laut Takacs Investitionen und womöglich das Gegenteil bedingen. Denn das Loslösen von der linearen Wirtschaft habe auch seinen Preis – zumindest kurzfristig.
Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) spielen sowohl Produkte- als auch Materialkreisläufe eine wichtige Rolle. Denn: Auch für das Recycling wird eine Menge Energie, Wasser und Chemikalien benötigt. Dementsprechend sollte ein Produkt erst recycelt werden, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Auch erneuerbare Ressourcen und Energien tragen massgeblich zum Funktionieren einer Kreislaufwirtschaft bei.
Das BAFU definiert deshalb folgende vier Bereiche, anhand derer sich die Kreislaufwirtschaft manifestiert:
Solche Kreisläufe können gefördert werden, indem Produkte vermehrt ...
Bei solchen Kreisläufen geht es in erster Linie ums Recycling. Dabei sollen Produkte zerlegt, sortenrein getrennt und Schadstoffe ausgekoppelt werden. Die dabei entstehenden sogenannten Sekundärrohstoffe (auch Rezyklate oder Recyclingrohstoffe genannt) sollen so eine möglichst hohe Qualität erreichen, damit sie vermarktet und wieder benutzt werden können.
Erneuerbare Ressourcen, also solche aus Land-, Forst- oder Fischereiwirtschaft, werden gemäss BAFU so genutzt, dass «die natürlichen Kreisläufe und Ökosysteme erhalten bleiben.»
Nicht erneuerbare Ressourcen hingegen sollen so genutzt werden, dass sie nicht in der Umwelt verteilt werden. Das heisst, sie finden durch Recycling in den oben genannten Produkte- und Materialkreisläufen immer wieder Verwendung.
In einer Kreislaufwirtschaft wird gemäss BAFU nur erneuerbare Energie verwendet. Weil aber auch diese Art von Energie Rohstoffe und natürliche Ressourcen beansprucht, soll die bereitgestellte Energie so sparsam und effizient wie möglich genutzt werden.
Es ist bekannt, dass Schweizerinnen und Schweizer zur Weltspitze gehören, wenn es um Recycling geht. Das heisst, die Schweiz hat hohe Sammelquoten und hohe Weiterverwertungsquoten bei PET, Aluminium, Glas und biologischen Abfällen. Allerdings: Hatte die Welt 2022 ihren Overshoot Day am 28. Juli, so hatte die Schweiz ihren Overshoot Day schon am 13. Mai. Von insgesamt 138 Ländern, die analysiert wurden, liegt die Schweiz dabei auf dem 89. Platz (der erste Platz, Benin, hatte seinen Overshoot Day am 26. Dezember).
Dass die Schweiz als Recycling-Meisterin vergleichsweise schlecht abschneidet, liegt laut Professorin Karolin Frankenberger daran, dass wir bei der Wiederverwertung von Produkten und Verpackungen und der Vermeidung von Abfall noch viel aufzuholen haben. Auch das BAFU schreibt: «In kaum einem anderen Land fällt gemessen an der Wohnbevölkerung derart viel Siedlungsabfall an.»
In Sachen Kreislaufwirtschaft sei der Vergleich mit dem Ausland aber ein schwieriger, da unterschiedliche Vorgehensweisen und Methoden bei den Messungen bestehen, erklärt Frankenberger. Für die Schweiz könne aber verlässlich geschätzt werden, dass zurzeit ungefähr zehn Prozent der Schweizer Unternehmen relevante Kreislaufwirtschaft-Tätigkeiten durchführen.
Die Organisation Circular Economy schätzt in einem Report, dass 2021 die Welt zu etwa 8,6 Prozent «zirkulär» sei. Das heisst: Etwas weniger als 9 Prozent aller Materialien, die weltweit in Umlauf gebracht werden, bleiben auch in Umlauf. Auch wenn ein direkter Vergleich nicht möglich ist, decken sich diese Zahlen laut Frankenberger also ungefähr mit den Zahlen zu den Schweizer Unternehmen.
Trotzdem: In Sachen Kreislaufwirtschaft ist auch in der Schweiz einiges im Gange. Das Bundesamt für Umwelt unterstützt, so steht es auf seiner Webseite, die Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft durch die Umwelttechnologieförderung und mit der Fachstelle ökologische öffentliche Beschaffung. Das BAFU arbeitet ausserdem in Vereinigungen zur Förderung von Kreislaufwirtschaft wie «Circular Economy Switzerland», «Go for Impact» oder «Ressourcen-Trialog» mit.
Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie im Nationalrat hat 2020 eine parlamentarische Initiative zur Stärkung der Schweizer Kreislaufwirtschaft verabschiedet. Eine entsprechende Änderung des Umweltschutzgesetzes soll in nächster Zeit in den beiden Räten behandelt werden.
Auch in den Kantonen mehrt sich der Effort, die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Am 25. September stimmt zum Beispiel der Kanton Zürich über einen Gegenvorschlag zur Initiative der Jungen Grünen ab. Dabei werden Kanton und Gemeinden aufgefordert, günstige Rahmenbedingungen für einen «schonenden Umgang mit Rohstoffen, Materialien und Gütern sowie für die Schliessung von Stoffkreisläufen» zu schaffen und Massnahmen zu treffen. Der Kanton Zürich wäre bei einer Annahme der erste Kanton, der die Kreislaufwirtschaft in seiner Verfassung verankert.
Auch der Kanton Bern ist dran: Anfang September hat der Grosse Rat einen Vorstoss als Postulat überwiesen. Dabei soll geprüft werden, wie der Kanton Bern günstige Rahmenbedingungen und Anreize zur Förderung der Kreislaufwirtschaft schaffen kann.
«Wir stellen im Laufe der letzten drei Jahren einen extremen Anstieg des Interesses fest», sagt Dr. Fabian Takacs von der Uni St. Gallen. Immer mehr Firmen, quer durch verschiedene Industrien, wie Textil, Kunststoff, Verpackungs- oder Haushaltsgeräte, interessierten sich stärker dafür.
Es gebe in der Schweizer Unternehmerszene, die bekannt sei für Innovation und Erfindergeist, verschiedene Beispiele von Pionieren. Diese seien teilweise bei jungen Start-Ups zu suchen, die Mehrweg-Lösungen für Verpackungen im Food-Bereich erschaffen. «Aber – und das ist ganz zentral – oftmals auch bei bereits seit Generationen existierenden KMU-Betrieben», so Takacs. Diese würden, aus «purer Motivation, etwas für ihre Nachkommen zu schaffen», nachhaltige, zirkuläre Lösungen erarbeiten. Auch grosse Unternehmen, beispielsweise in der Bauindustrie, warteten mit neuen Lösungen auf. So gäbe es Maschinenpärke, die mittels Leasing, Reparaturprojekten und Aufwertungen nach Kreislauf-Prinzipien revolutioniert wurden.
Auch die Handelszeitung berichtete kürzlich von Lösungen aus verschiedensten Branchen. So lancierten Bauern ein Rücknahme- und Verwertungssystem für Silofolien und Netze, und in der Textilindustrie startete jüngst das Swiss Textile Recycling Ecosystem, das wichtige Akteure aus der gesamten textilen Wertschöpfungskette zusammenbringt, um nach Kreislauf-Lösungen zu suchen. Trotz alledem: Es bleibt noch sehr viel zu tun.
Fabian Takacs und Karolin Frankenberger untersuchten kürzlich in einer Studie, welche Barrieren für die Kreislaufwirtschaft in Schweizer KMUs noch bestehen. Ihr Fazit: Auch wenn interessante Ansätze existierten, zeige sich, dass noch einiges auf die Schweizer Wirtschaft wartet.
Oftmals sind nicht technische Barrieren die Haupt-Hindernisse. Vielmehr gebe es Asymmetrien in den Märkten entlang von Wertschöpfungsketten zwischen grossen Zulieferern und Abnehmern im Vergleich zu KMUs. Manchmal sei das Problem auch schlicht die fehlende Bereitschaft zur Kooperation entlang dieser Wertschöpfungsketten.
Ein wichtiger Punkt sind zudem die Konsumenten. Zwar gibt es in der Schweiz mittlerweile rund 190 Repair-Cafés. Trotzdem würden die Schweizerinnen und Schweizer nach wie vor sehr stark nach dem Convenience-Prinzip kaufen und damit verschiedene Prinzipien der Kreislaufwirtschaft erschweren.
Könnte die aktuelle, zwar missliche Lage – Stichwort Strommangel, steigende Rohstoffkosten – der Kreislaufwirtschaft einen zusätzlichen Boost geben? «Bestimmt», sind sich Takacs und Frankenberger einig: «Wenn nun in den kommenden Jahren Rohstoffknappheiten wieder vermehrt zutage treten, werden Geschäftsmodelle rund um die KW automatisch wieder lukrativer.» Verschwendung sei ein Luxus, den wir uns nur dank billigen Rohstoff- und Produktionskosten noch leisten können.
Wer noch einen alten Laptop hat: Spendet ihn doch uns; kann in jedem digitec abgegebn werden und wir probieren daraus eine Perspektive für andere in der Schweiz zu schaffen, die sich ein Gerät nicht leist können - beispielsweise Lehrlinge oder Stellsuchende (gibt einige).
Danke und sorry für die Eigenwerbung 🙈