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Coronavirus: Wirtschaftshistoriker Straumann zur Krise in der Schweiz

Wirtschaft vs Gesundheit
Bild: watson/keystone/shutterstock
Interview

Wirtschaft vs. Gesundheit? «Epidemiologen und Ökonomen müssen jetzt zusammenspannen»

Die einen fürchten sich vor einer unkontrollierten Verbreitung des Coronavirus, die anderen vor einem zu grossen Schaden für die Wirtschaft durch den Lockdown. Der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann sagt im Interview, wie Epidemiologen und Ökonomen jetzt zusammenarbeiten müssen.
01.04.2020, 09:5202.04.2020, 06:31
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Wir sind jetzt in der dritten Wochen des Lockdowns und schon wird gefordert, dass es jetzt eine möglichst baldige Rückkehr zur Normalität brauche. Ist das nicht verfrüht?
Tobias Straumann: Zur Normalität, so wie es vor der Coronakrise war, kann man sicher noch nicht zurückkehren. Aber wir sollten jetzt möglichst bald darüber diskutieren, wie die Wirtschaft langsam wieder hochgefahren werden kann. Die Gefahr ist, dass man nun das vorläufige Ende der Massnahmen des Bundesrates abwartet und dann am 19. April nicht weiss, wie es weitergehen soll.

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«Die Gefahr, den Ausstieg aus der Krise zu verschlafen, ist viel grösser.»

Vor allem Bürgerliche wollen, dass die Wirtschaft so schnell wie möglich wieder aktiviert wird. Epidemiologen warnen vor solchen Schnellschüssen. Wie sehen Sie das?
Am 20. April wieder alles aufzumachen, wäre fatal. Aber es ist sicher möglich, einige Lockerungen zu machen. Es gibt bestimmte Läden, die öffnen können, ohne dass sie gegen die Hygienevorschriften verstossen. Abstand halten, Hände waschen, all das muss natürlich aufrechterhalten werden. Es kommt jetzt auf die Details an. Es braucht kleine Schritte an verschiedenen Stellen. Das macht schon sehr viel aus. Und nur so kann man eine Krise überwinden.

Tobias Straumann Prof. fuer Wirtschaftsgeschichte, der Universitaeten Zuerich und Basel, spricht ueber "Arbeitsmarkt und Zuwanderung: Worauf es ankommt", waehrend dem Europa Forum, am Montag ...
Bild: KEYSTONE
zur Person:
Tobias Straumann ist Wirtschaftshistoriker und Titularprofessor an der Universität Zürich. Er ist Spezialist für die Geschichte von Wirtschafts- und Finanzkrisen.

Ist es jetzt nicht gefährlich, schon von Lockerungen der Massnahmen zu sprechen, bevor die eigentliche Krise überhaupt richtig begonnen hat? Das vergangene Wochenende hat gezeigt: Die Leute beginnen, die Massnahmen auf die leichte Schulter zu nehmen.
Nein. Die Gefahr, den Ausstieg aus der Krise zu verschlafen, ist viel grösser. Wir haben es schon verschlafen, rechtzeitig auf die Ausbreitung des Virus zu reagieren. Wir haben Italien zugeschaut und abgewartet. Das darf uns nicht nochmal passieren. Wir müssen uns jetzt Gedanken machen, was danach kommt. Das Argument, diese Diskussion nicht führen zu dürfen, finde ich eigenartig. Das ist ja gerade die grosse Stärke unserer Demokratie, dass wir über solche Dinge sprechen dürfen und so gemeinsam gute Lösungen finden, die von der grossen Mehrheit mitgetragen werden.

Gut, Sie wollen also darüber diskutieren. Haben Sie konkrete Vorschläge?
Wie gesagt, kommt es jetzt auf Details an. Wir müssen uns überlegen: Wie könnte sich ein Schuhladen organisieren, damit er wieder öffnen kann? Wie ein Coiffeursalon? Das muss man jetzt ganz konkret mit den Ladenbesitzern anschauen – unter Einbezug von Epidemiologen. Dabei entstehen kreative Lösungen, an die sich die Kunden anpassen können.

«Die Diskussion Wirtschaft oder Gesundheit ist ärgerlich! Wir müssen uns doch nicht für das eine oder andere entscheiden.»

Kreative Lösungen und Kunden, die sich anpassen. Ist das nicht ein Tropfen auf den heissen Stein?
Wenn ein Schuhladen wieder öffnen kann und mit Einhaltung der Sicherheitsvorschriften wieder etwas Umsatz generieren kann, dann macht das schon viel aus, ja. Auch wenn es vielleicht nur ein Viertel dessen ist, was er vorher eingenommen hat. Immerhin läuft das Geschäft wieder. Wenn hingegen die Läden über lange Zeit zubleiben und gar nichts passiert, droht ein Absturz.

Inwiefern?
Dann kippt es systemisch. So wie bei der Finanzkrise. Dann kommt es zu einer Kettenreaktion. Die Leute gehen pleite, können ihre Miete nicht mehr bezahlen. Die Vermieter können ihre Kredite nicht mehr bedienen. Die Banken beginnen, die Kredite dort zurückzuholen, wo sie noch können. Das trifft die gesunden Unternehmen. Dann interessiert sich auch kein Mensch mehr dafür, was jetzt in den Spitälern läuft. Weil es dann um Arbeitsplätze geht und acht Millionen Menschen betroffen sind. Soweit darf man es nicht kommen lassen.

Heisst das, die Rettung der Wirtschaft muss höher gewichtet werden als die Rettung unseres Gesundheitssystems?
Die Diskussion Wirtschaft oder Gesundheit ist ärgerlich! Wir müssen uns doch nicht für das eine oder andere entscheiden. Wir haben einen grossen Spielraum. 80 Prozent der Bevölkerung arbeiten ja immer noch. Und wo nicht gearbeitet wird, gibt es für die Einzelnen Lösungen. Um die Krise zu bewältigen, muss man sehr banal und konkret werden. Und zusammenarbeiten. Epidemiologen und Ökonomen müssen zusammenspannen. Gegeneinander auszuspielen bringt jetzt nichts. Ich bin überzeugt, dass beides möglich ist: Das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu schützen, ohne dass die Wirtschaft einen zu grossen Schaden nimmt.

In der «NZZ am Sonntag» wurde kürzlich die Frage gestellt, ob die Kur teurer ist als die Krankheit selber. Ist der Preis, den wir im Kampf gegen das Virus bezahlen, zu hoch?
Nein, bis jetzt überhaupt nicht. Bis zum 19. April können die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns gut abgefedert werden. Wenn wir danach jeden Millimeter, den wir für Anpassungen haben, ausnutzen, bin ich ziemlich optimistisch, dass es gut kommt.

«Was bringt es mir, zu wissen, dass ein Menschenleben nun eine halbe Million wert ist?»

Gesundheitsökonomen berechnen jetzt, wie viel ein Menschenleben kosten darf. Was finden Sie?
Was bringt es mir, zu wissen, dass ein Menschenleben nun eine halbe Million wert ist? Oder dass es weniger wert ist, je älter eine Person ist? Solche Fragen sind doch jetzt völlig überflüssig. Wir brauchen jetzt keine Preise für alte Leute, wir brauchen konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Es ist ja unglaublich, was in den letzten zwei Wochen geleistet wurde. Die Lernkurve ist extrem steil. Die Spitäler haben sich neu organisiert, die Kapazitäten wurden raufgefahren. Jetzt haben wir nochmals drei Wochen Zeit, es noch besser zu machen, weiter zu lernen und geeignete Massnahmen zu ergreifen.

Was können wir aus früheren Krisen lernen?
Das Wichtigste ist, aufzupassen, dass der wirtschaftliche Einbruch nicht systemisch wird. In der Finanzkrise hat man genau diesen Fehler gemacht und viel zu lange zugewartet. Aber abgesehen davon kann man diese Krise jetzt nicht mit früheren vergleichen. Diese Pandemie ist aussergewöhnlich. Alles in allem bin ich aber überzeugt, dass man eine grosse Wirtschaftskrise verhindern kann. Indem man das eine tut, aber das andere nicht lässt. Weiterhin bei den Sicherheitsmassnahmen streng sein, aber dort, wo man kann, schrittweise und langsam lockern. So kommen die Unternehmen und die Wirtschaft langsam wieder in die Gänge.

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75 Kommentare
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Markus97
01.04.2020 10:26registriert August 2018
Die Sache ist halt das eine jahrelange Rezession auch Tote fordern wird (Nur subtiler) , während sie den Lebenden ein Grossteil ihrer Lebensqualitäz nimmt. Ich finde es gut, dass der Bundesrat abwägt.
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Mimo Staza
01.04.2020 10:37registriert März 2020
- Watson macht ein Interview mit einer Fachperson, weil Watson denkt, die Person hätte was wichtiges zu sagen.

- Fachperson sagt im Interview: "Die Diskussion Wirtschaft oder Gesundheit ist ärgerlich! Wir müssen uns doch nicht für das eine oder andere entscheiden. Wir haben einen grossen Spielraum."

- Watson denkt sich: "Wirtschaft vs. Gesundheit?" wäre doch ein toller Titel.
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Berner_in
01.04.2020 11:16registriert September 2018
Herr Straumann hat‘s auf den Punkt gebracht:
Wir kommen da nur einigermassen heil heraus, wenn Epidemiologen und Ökonomen zusammenspannen.

Gemeinsam mit dem Bundesrat können so Szenarien erörtert und kreativ wirksame Alltagslösungen gefunden, welche die Dinge in die richtige Richtung bewegen.
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