Frau Bundesrätin, wenn Sie morgens aufstehen, fühlen Sie sich sicher?
Doris Leuthard: (Lacht.) Ja. Das grösste Risiko in meinem Leben ist wohl, dass ich von einem Auto überfahren werde.
Im weltweiten Durchschnitt werden Atomkraftwerke aus Sicherheitsgründen nach 26 Jahren abgestellt. Das älteste Schweizer AKW hingegen läuft schon seit 47 Jahren – und ein Ende ist nicht in Sicht. Können Sie das verantworten?
Die Schweiz hat einen anderen Weg gewählt: Wir erteilen keine befristeten Bewilligungen, mit denen die Betreiber das Werk dann «auslaufen» lassen, sondern unbefristete – mit der Bedingung, dass stetig in die Sicherheit investiert wird. Die Betreiber müssen laufend nachrüsten. Entscheidend ist die Sicherheit, nicht das Alter. Die Aufsichtsbehörde (Ensi) kontrolliert das.
Sind unsere AKW gegen einen Flugzeugabsturz gerüstet? In Terrorzeiten ist das eine reale Gefahr.
Natürlich gibt es in diesem Bereich ein Restrisiko. Aber es ist dermassen minim, dass es vertretbar ist. Wenn dieses Risiko zu gross wäre, müssten alle AKW sofort abgeschaltet werden – auch Leibstadt, das gemäss der Atomausstiegsinitiative noch bis 2029 weiterlaufen darf.
Wie lange wird die Schweiz noch Atomstrom produzieren?
Ein Element ist natürlich das Alter der AKW, jedes kommt an sein Ende und dann ist klar, dass es nicht mehr ersetzt wird. Das zweite Element dürfte in den nächsten Jahren gerade bei den drei ältesten AKW viel entscheidender sein: die Rentabilität. Wenn sich die tiefen Stromkosten nicht bald erholen, müssen sich die Betreiber die Frage stellen, ob sich Investitionen noch lohnen und sie weiterproduzieren wollen.
2011 beschloss der Bundesrat den Atomausstieg. Mit Ausnahme von Mühleberg wissen wir aber immer noch nicht, wann die Schweizer AKW abgeschaltet werden. Die Energiestrategie ist doch ein Etikettenschwindel!
Davon kann keine Rede sein: Der Ausstieg ist beschlossene Sache. Mit der Energiestrategie wurde im Gesetz verankert, dass keine neuen AKW mehr gebaut werden. Der Umbau der Energieversorgung braucht aber Zeit. Mit der Initiative müssten bereits 2017 drei AKW abgeschaltet werden. Es ist nicht möglich, den wegfallenden Strom per Knopfdruck mit genug einheimischen Erneuerbaren zu ersetzen. Schon die Bewilligungsverfahren dauern länger. Bleiben die bestehenden Werke bis zum Ende am Netz, reden wir von einem Zeitraum von 15, vielleicht 20 Jahren. Das ist in der Energiepolitik wenig.
Beznau I und Leibstadt sind beide vom Netz. Das ist doch der beste Beweis dafür, dass unsere AKW langsam, aber sicher veraltet sind.
Im Gegenteil: Es ist ein Beweis dafür, dass die Aufsichtsbehörde ihren Job gut macht. Die beiden Fälle sind aber nicht gleich: Beznau ist älter, da müssen die Betreiber bald entscheiden, ob die Rechnung für sie noch stimmt. Leibstadt ist jünger.
Der Bund setzt auf mehr erneuerbare Energien. Da sind fixe Abschaltdaten doch ideal – so haben die Betreiber Planungssicherheit.
Wir haben keine Planwirtschaft. Die Investoren entscheiden frei, wann und in welche Energien sie investieren. Die Erneuerbaren brauchen beim derzeitigen Marktumfeld Fördermittel. Diese kommen zwar mit der Energiestrategie 2050, doch diese tritt nicht vor 2018 in Kraft. Es ist daher nicht möglich, mit den einheimischen Erneuerbaren bereits 2017 parat zu sein, um den wegfallenden Strom zu kompensieren. Der Zeitplan der Initiative ist zu ambitioniert.
Wird die Initiative angenommen, fordern die Betreiber Schadenersatz. Derzeit verdienen sie aber ohnehin kaum Geld. Warum sollten sie dann entschädigt werden?
Alle Juristen sind sich einig, dass die Forderungen gestellt werden können. Es geht nur um die Höhe des Schadenersatzes und darüber werden wohl Gerichte entscheiden. Entscheidend ist übrigens nicht der Gewinn, sondern der Umsatz: Solange ein Werk läuft, trägt es mit der Stromproduktion dazu bei. Wird es vorzeitig abgeschaltet, bleiben die Fixkosten, aber es gibt keine Erträge mehr. Abschaltdatum und Stilllegung sind nicht dasselbe.
Stichwort Versorgungssicherheit: Trotz Ausfällen von Beznau I und Leibstadt brennen die Lichter noch.
Ja, aber wenn die Initiative durchkommt, müssten 2017 drei AKW abgeschaltet werden. Um dies mit Importen zu kompensieren, braucht es darauf ausgerichtete Netze und Transformatoren, um den Strom auf die 220-Kilovolt-Ebene zu bringen. Für Mühleberg ist das so rasch nicht möglich. Damit nimmt das Risiko für Netzinstabilitäten zu. Sie erinnern sich: Im letzten Winter haben die Medien Alarm geschlagen, weil der Schweiz der Strom ausgehe.
Im Frühling gab es Entwarnung.
Genau, weil Swissgrid zusammen mit den Betreibern Massnahmen ergriffen hatte. Der Bundesrat hat zudem Notfallkonzepte zur Rationierung des Stroms bereit. Wir müssen aber vermeiden, dass eine Ausnahmesituation zum Normalfall wird.
Wie würde der Bundesrat reagieren, wenn es zu einem Stromengpass kommen würde?
Der Bund könnte mittels Verordnung in den Markt eingreifen. Die belgische Regierung rationiert derzeit den Strom für die Haushalte zwischen 10 und 14 Uhr.
Das ist Angstmacherei.
Nein. Fakt ist: Der für Mühleberg nötige Transformator und der Ausbau der entsprechenden Stromleitung ist bis 2017 nicht möglich. Mit einem Ja zur Initiative wird das Risiko für Netzinstabilitäten erhöht.
Wenn die Netzstabilität so zentral ist, weshalb hat man den Umbau des Netzes nicht schon längst an die Hand genommen?
Der Umbau des Stromnetzes findet seit Jahren statt. Doch das Paradebeispiel für die Probleme zeigte sich im Aargau: Das Plangenehmigungsverfahren in Riniken dauerte 23 Jahre! Zur Erweiterung der Netzkapazitäten braucht es Baubewilligungen und damit auch die Akzeptanz der Bevölkerung. Links-Grün unterschätzt, dass der Netzumbau nicht über Nacht möglich ist. Politisch mag ein rascher Atomausstieg wünschbar sein, doch der Bundesrat muss für die Versorgungssicherheit sorgen. Dazu gehört auch der Transport des Stroms.
Sie warnen davor, dass die Schweiz bei einem Ja Dreckstrom aus dem Ausland importieren müsste. Ist das nicht scheinheilig? Eine Dreckstromabgabe haben Sie – und auch das Parlament – abgelehnt.
Die Dreckstromabgabe ist nicht am politischen Willen, sondern an juristischen Gründen gescheitert. Es handelt sich um eine Diskriminierung, die wir als WTO-Mitglied nicht machen können. Wenn wir im nächsten Jahr drei Kernkraftwerke abstellen, dann müssen wir über längere Zeit importieren: Kohlestrom aus Deutschland und Atomstrom aus Frankreich.
Das Dreckstromproblem kann man mit Ökostromzertifikaten lösen.
Der Zertifikatenmarkt funktioniert mehr schlecht als recht. Und seien wir ehrlich: Physikalisch aus der Steckdose fliesst Kohlestrom. Sie können nicht eine Garantie abgeben, dass der importierte Strom sauber ist.
Der Strommix in Deutschland wird immer umweltfreundlicher.
Ja, aber in Deutschland beträgt der Anteil der Kohle am Strommix immer noch annähernd 50 Prozent. Die Deutschen haben für die Kohlekraftwerke noch kein Abschaltdatum festgelegt.
Gibt das Referendum zur Energiestrategie 2050 der Initiative Auftrieb?
Ich habe keine Angst vor der Abstimmung über die Energiestrategie ...
... weil Sie genug Subventionen verteilen?
Wir erhöhen den Netzzuschlag von 1,5 auf 2,3 Rappen pro Kilowattstunde. Wir verteilen also nicht viel mehr Geld.
Der Atomausstieg wurde 2011 mit einer Frauenmehrheit im Bundesrat beschlossen. Wäre solch ein Entscheid heute noch möglich?
Vor zehn Tagen haben die Betreiber von sich aus die drei Gesuche für den Bau neuer Kernkraftwerke zurückgezogen. Der Bau neuer AKW ist ökonomisch nicht sinnvoll. Dieses Argument überzeugt heute auch Männer. (aargauerzeitung.ch)
Etwas heuchlerisches gibt es kaum und zudem ist Atomstrom etwa genau so dreckig, wenn man mal gesehen hat, wie im sibirischen Krasnokamensk Uran abgebaut wird, wobei ganze Landstriche unbewohnbar werden!
ich wohne in der leicht erhöht und seh auf die stadt runter, und kann jeweils nicht glauben, wieviel fläche da eigentlich verschenkt wird, bzw wieviel potential da möglich ist.