Es gibt politische Themen, die können trockener und technischer nicht sein. Eines davon ist die Stempelsteuer. Sie existiert seit Jahrhunderten und hatte den Zweck, Steuereinnahmen für den Staat zu schaffen, wenn etwas offiziell mit einem «Stempel» oder einer «Stempelmarke» bestätigt werden muss. Heute muss sie dann bezahlt werden, wenn eine Firma sich neues Geld holt oder wenn mit Wertschriften gehandelt wird.
Diese Steuer hatte von Anfang an den Zweck, dem Staat Geld einzubringen. So wurde sie vor gut 100 Jahren national vereinheitlicht, damit sich die Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg wiederaufpeppeln kann. Und sie blieb bis heute eine zuverlässige Einnahme – auch wenn sie zunehmend abgeschwächt wurde. In den kommenden Monaten könnte sie aber definitiv fallen: Seit 2009 diskutiert das Parlament über die «schrittweise Abschaffung» der Stempelsteuer, letzte Woche gelang der bürgerlichen Mehrheit ein überraschender Sieg.
Überraschend deshalb, weil der Vorstoss zur Abschaffung der Stempelsteuer sechs Jahre in der Schublade lag. In der Fachsprache nannte man das «Sistierung». Man wollte allfällige Überschneidungen zu anderen Steueränderungen verhindern.
Am 2. Juni kam die Stempelsteuer aber wieder auf die Traktandenliste. Finanzminister Ueli Maurer sagte damals: «Wenn Sie aber die Sistierung nicht aufheben, können Sie nicht darüber diskutieren.» 16 Tage später war nicht nur die Diskussion abgeschlossen, das Parlament schaffte es gar, eine bestimmte Stempelsteuer komplett abzuschaffen – praktisch an der Öffentlichkeit vorbei.
Das Thema schien so trocken und technisch gewesen zu sein, dass es unter dem Radar vieler Politbeobachterinnen und -beobachtern fiel. Bei der Gratiszeitung «20 Minuten» oder beim Boulevardblatt «Blick» wurde der Entscheid mit keiner einzigen Zeile erwähnt.
Im Parlament gings um die Abschaffung der Stempelsteuer in drei Punkten. Einer davon war jene, die bezahlt werden muss, wenn sich eine Firma neues, frisches Geld holt. Möglich ist das, indem beispielsweise eine Aktiengesellschaft zusätzliche Aktien «schafft». Wie das genau funktioniert, wird weiter unten erklärt. Was schonmal gesagt sein muss: Diese sogenannte «Emissionsabgabe auf Eigenkapital» brachte dem Bund enorm viel Geld.
Genau genommen eine Viertelmilliarde Franken im Schnitt jedes Jahr, wie neuste Zahlen der Eidgenösissischen Steuerverwaltung auf Anfrage von watson erstmals zeigen. Geht es nach National- und Ständerat, sollen diese Steuereinnahmen wegfallen.
Gegen diese Stempelsteuer-Abschaffung wehrt sich nun die Linke, namentlich die SP. Sie kündigte am vergangenen Freitag das Referendum dagegen an – und boten damit ein kleines Déjà-vu-Erlebnis: Vor ziemlich genau 20 Jahren gab es schon einmal eine Reduktion bzw. Abschaffung bei Stempelsteuern.
Die Argumente klangen damals ähnlich wie heute: «Hüten Sie sich vor Steuergeschenken an Reiche!», sagte 1991 der SP-Nationalrat Ernst Leuenberger. «Mit jedem Monat, den wir verlieren, verlieren wir volkswirtschaftliches Einkommen, Steuern und Arbeitsplätze. Das ist unverantwortlich!», hiess es von SVP-Nationalrat Christoph Blocher.
Auch heute argumentiert die Linke damit, dass es um Steuergeschenke für Reiche gehe. Bei den Bürgerlichen setzt man nun aber auf eine andere Logik und nennt die Covid-Pandemie als Argument dafür: Firmen würden jetzt vom Steuervogt geplagt werden, wenn sie sich neues Geld holen wollen, um Arbeitsplätze und Unternehmensstandorte zu garantieren, so FDP-Ständerat Ruedi Noser.
Und Bundesrat Ueli Maurer? Auch er argumentierte dafür und erwähnte ebenfalls ein Corona-Beispiel (obwohl die Stempelsteuer-Abschaffung fast zwölf Jahre vor der Pandemie im Parlament vorgeschlagen wurde): «Da will jemand investieren. Er hat eine Firma und steckt Eigenkapital in diese. Wenn jemand investiert, dann schafft er Arbeitsplätze und die Firma wächst. Er bezahlt mehr Steuern für die Firma und Arbeitsplätze entstehen. Das sind auch wieder Leute, die Steuern bezahlen. Also schaffen wir mit Unternehmensgründungen und mit Kapitalerhöhungen Wohlstand.»
SP-Präsident Cédric Wermuth erinnert in diesem Zusammenhang: «Der Bund hat zur Bewältigung der Pandemie Milliarden ausgegeben – und das zu Recht.» Er fände es aber eine «bodenlose Frechheit», dass nun die Bevölkerung dafür zahlen müsse, während Grosskonzerne «Steuersenkungen geschenkt» bekämen. Dagegen wehre er sich.
Bloss: Wann er sich dagegen wehren kann, ist noch offen. Seine Partei wird erst in den kommenden Tagen vom Bundesrat das grüne Licht für die Unterschriftensammlung bekommen. Erst wenn die 50'000 beglaubigten Unterschriften zusammen sind, kann das Volk darüber entscheiden. Ein Abstimmungstermin wäre frühestens im Winter 2021/2022 möglich.
Ihr Ausgang dürfte auch vom Parlament mitbestimmt werden. Die «schrittweise Abschaffung der Stempelsteuer», wie es die FDP 2009 forderte, wird nämlich fortgesetzt. Von den drei zurzeit diskutierten Abschaffungen wurde bislang nur eine referendumsfrei zu Ende debattiert. Weitere Referenden könnten also noch drohen. Wermuth dazu: «Die Bürgerlichen geben die Salamitaktik selbst zu. Wir freuen uns auf die eine oder weitere Abstimmungen!» Sein bürgerlicher Konterpart FDP-Ständerat Ruedi Noser: «Da habe ich überhaupt keine Angst.»